oder: Das queere Objekt der Performance
Let’s twist again. Performance in Wien von 1960 bis heute. Herausgegeben von C. Dertnig und S.Seibold und rezensiert von Johanna Schaffer.
In einem Gespräch, das Stefanie Seibold und ich für einen kleinen Artikel in der Kupf führten (Kupf Nr.22/4/2007), betonte Seibold die historisch zeitgleiche Entstehung von Performance-Kunst und Feminismus sowie deren Doppelnutzung durch Frauen. Dass Performances sich als politisch besetzbares ästhetisches Format besonders eignen, hat wohl auch damit zu tun, dass Performances neben vielen Dingen vor allem eines können: ein Publikum erzeugen. Denn im Gegensatz zum Ausstellen einer Arbeit in Ausstellungsräumen, wo Besucher_innen als einzelne Betrachter_innen produziert werden, bedeutet Performance neben der Bewegung hinaus aus dem Atelier auch eine Form der Adressierung von vielen, die sich als Publikum konstituieren – eine potentiell politische Menge also. Let’s twist again. Performance in Wien 1960 bis heute haben Carola Dertnig und Stefanie Seibold 2006 als zweisprachiges Buch herausgegeben. Es ist Resultat umfassender Forschungsarbeiten der Künstlerinnen, die beide im Bereich der Performance arbeiten und unterrichten – Dertnig in Wien, Seibold in Linz. Erstmals zu sehen waren die Ergebnisse ihrer Recherchen in einer gleichnamigen Ausstellung 2002 in Wien. Zum Glück für alle, die an feministisch-queerer Kunstproduktion und deren (auch lokaler) Geschichte interessiert sind, gibt es auch das Buch, die Bilder, die Interviews. Darin spannt sich ein Feld des Beweglichen, Ephemeren und kämpferisch Glamourösen auf, das vornehmlich Wien-basiert ist und dreißig Jahre zurück reicht. Sehr entschieden liegt der Schwerpunkt der ausgewählten Arbeiten, die das Handlungsfeld beschreiben, auf feministischen, lesbisch/schwulen und außerordentlich queeren Formen. Gezeigt werden Arbeiten, Ereignisse und Akteur_innen, die enorm wichtig für die diversen künstlerischen, politischen und sexuellen Szenen waren, von der offiziellen Kunstgeschichte nachhaltig ignoriert werden, und aus heutiger Sicht in verblüffender Radikalität und Konsequenz eine bürgerliche zweigeschlechtlich-heterosexuelle Geschlechterordnung untergraben. Besonders spannend zu entdecken, wie sehr in dem Buch künstlerische und aktivistischer Performances miteinander kommunizieren.
Carola Dertnig, Stefanie Seibold (Hg.), Let’s twist again. Performance in Wien von 1960 bis heute. Was man nicht denken kann, das soll man tanzen. Eine psychogeograische Skizze. [Performance in Vienna from 1960 until today. If You Can’t Think It, Dance It. A psychogeographic map.] Übers. Heide Pfenningbauer, Margarethe Clausen, Benjamin Jowett, Quick Translation, John S. Southard. Gumpoldskirchen, Wien: D.E.A. Verlag 2006
Johanna Schaffer forscht, lehrt und übersetzt zu queer-feministisch-antirassistischer Repräsentationskritik und ist im halben Beschäftigungsausmass auf zwei Jahre als Assistentin an der Kunstuniversität Linz in der Abteilung Kunsttheorie, Kunstgeschichte/ Gender Studies angestellt.