„Alles so schön bunt hier …“

Zum Verhältnis zwischen Kulturinitiativen und Demokratie anhand persönlicher Erinnerungen von Andi Wahl.

 

Welchen Einfluss haben Kulturinitiativen auf ihre Umwelt, respektive die Gesellschaft? Und befördert dieser Einfluss – wie lange Zeit von Kulturinitiativen und der KUPF behauptet wurde – die Demokratie? Versuch einer Annäherung zum Verhältnis zwischen Kulturinitiativen und Demokratie anhand persönlicher Erinnerungen.

Zwei Dinge kommen mir, befragt ob Kulturinitiativen zur Demokratisierung der Gesellschaft beitragen, in den Sinn. Dies ist einmal die Behauptung, dass Kulturinitiativen eine »Schule der Demokratie« seien, mit der auch ich jahrelang bei Medien und SubventionsgeberInnen hausieren ging. Was mir aber weiters noch in den Sinn kommt, ist die Warnung des damaligen Kulturaktivisten und heutigen Aktionskünstlers Martin Reiter, doch um Gottes Willen nicht die eigene Presseaussendung zu glauben. Kurz, unsere damalige Behauptung, durch die Mitarbeit in Kulturinitiativen würde man Demokratie lernen, war nur wenig mehr als ein PR-Gag. – ’tschuldigung, Ende der Achtzigerjahre haben wir eben alles versucht um die Arbeit von Kulturinitiativen mit Bedeutung aufzuladen. Und »Schule der Demokratie« war allemal besser als »kultureller Nahversorger « oder »regionale Emanzipation«. Das Tragisch-Komische daran war nur, dass wir es (trotz der Warnung Martin Reiters) auch wirklich glaubten.

Demokratie entsteht in der Praxis Mir ist bis heute keine Kulturinitiative bekannt, die sich gründete, um Demokratie zu lernen oder gar zu lehren 1. Der Grund vieler Kulturvereinsgründungen war der Wunsch einer großen Anzahl von Menschen, endlich frei atmen zu können. Zu erstickend war vielerorts der ländliche Mief aus Traditionskultur, Proporz und dem selbstgefälligen Fuhrwerken lokaler Platzhirsche. Der Anspruch, diese Verhältnisse zu verändern, kam erst später. Zuerst mussten einmal (reale und soziale) Räume geschaffen werden, die es Menschen erlaubten, einigermaßen unbeeinflusst zumindest einen Teil ihres Lebens selbst zu gestalten. Franz Fend, damals Kulturaktivist in Vöcklabruck, erinnert sich: »War es Jahre zuvor nicht gelungen, Räume für ein autonomes Jugendzentrum zu erkämpfen, versuchten wir Ende der Siebziger-Jahre mittels Kulturarbeit Orte zu schaffen, wo wir unbehelligt sein konnten.«2 Aber schon dieses Für-Sich-Sein-Wollen war den Honoratioren im höchsten Maße suspekt und wurde als subversiver Akt empfunden. Die demokratisierenden Aspekte der Kulturinitiativen entstanden erst in der Auseinandersetzung mit regionalen Platzhirschen, die nicht nur ihre Kontrollmöglichkeiten beschränkt sahen, sondern sich oftmals auch noch blöd anreden lassen mussten. Hier ist am ehesten eine demokratische Funktion von KIs festzumachen. In ihren Angriffen auf herrschende Strukturen, Institutionen und Persönlichkeiten. Denn dadurch mussten diese zeigen, in welchem Maße ihre Vorrangstellung (noch) gerechtfertigt war. Dies war wohl auch der genuine Auftrag regionaler Kulturinitiativen im demokratiepolitischen Kontext. All das, was als erhaben, hehr, ehrwürdig oder gar ewig präsentiert wurde, auf seine tatsächliche Substanz hin abzuklopfen. (Dieser Auftrag wurde natürlich unzureichend erfüllt, und es bedarf auch heute noch weiterer Anstrengungen.) Mag sein, dass die KulturaktivistInnen sich dadurch selbst ihre Obrigkeitshörigkeit ausgetrieben haben und so mitgeholfen haben, eine Vorbedingung für Demokratie zu schaffen: das selbstbewusste Subjekt, das sich einmischt, wo immer es ihm notwendig erscheint. Kurz, der demokratisierende Effekt regionaler Kulturarbeit – soweit ich es überblicke – war wohl ein sehr indirekter. Gestärkt wurde aber sicherlich das Bewusstsein, dass man durch Engagement etwas erreichen und verändern kann.

Können hier Lehren gezogen werden? Wohl kaum. Die heutige Situation ist eine gänzlich andere. Das Phänomen, dem wir heute gegenüber stehen, lässt sich wohl mit dem Schlagwort der »Entpolitisierung der Politik« beschreiben. Die Politik hat ihren Gestaltungsanspruch aufgegeben. Entscheidungen werden Expertengremien überlassen. Die Politik versucht gar nicht mehr, sich selbst Fachkompetenz anzueignen, sondern »bezieht« diese direkt von Lobbyisten 3. Politik sieht ihre Aufgabe hauptsächlich in der Gewährleistung eines möglichst reibungslosen Ablaufs eines Steuerungs- und Reglungssystems. Das Ganze nennt sich dann »Good Government« 4 und meint im Wesentlichen eine effiziente Verwaltung und die Einführung von Managementmethoden im öffentlichen Bereich. (Eine für die freie Kulturszene etwas paradoxe Situation, weil hier gesamtgesellschaftlich eine Entwicklung im Gange ist, die viele Kulturinitiativen bereits vor Jahren, mit dem Siegeszug des Kulturmanagements, durchlaufen haben.) Auf eine Politik Einfluss nehmen zu wollen, die sich selbst nur noch als »Schmiermittel des Systems« begreift, wäre wohl vergebene Liebesmühe.

Demokratisierung unter diesen Umständen müsste wohl einhergehen mit der Transparentmachung tatsächlicher Entscheidungsprozesse und –zusammenhänge. Etwas, das Kulturinitiativen nicht leisten können. Wobei wir wieder einzig bei der Stärkung des selbstsicheren, rotzfrechen, reflektierten und kritischen »demokratischen Subjekts« angelangt wären. Für Kulturinitiativen heißt das wahrscheinlich immer noch, dort zu sein, wo vor Ort Auseinandersetzungen toben.

Andi Wahl ist Bau- und Kulturarbeiter. Nach jahrelangem fleißigen Sparen besitzt er eine eigene Kreissäge.

1) Das wären wohl auch ziemlich unsympathische ZeitgenossInnen gewesen. Ähnlich einer demokratiepolitischen Heilsarmee. 2) Fend, Franz: Leninistische Volkstümler und basisdemokratische Provokateure; in: „Eine hervorragende und ausgewogene Darstellung der Kulturplattform Oberösterreich, ihrer Geschichte sowie ihrer wichtigsten Themen und Widersprüche“, Linz 2006, S. 77 – 82, hier S. 78 (Hervorhebung von mir) 3) Natürlich könnte man nun, mit dem nötigen guten Willen, in der Abwanderung von informellen Entscheidungsbefugnissen aus der repräsentativen Demokratie hin zu Expertengruppen und Lobbyisten, eine Stärkung der direkten Demokratie sehen. 4) In politikwissenschafltichen Zusammenhängen wird eher der Begriff »Governance« verwendet.