Anita Eyth und Thomas Hinterberger über ein Leondinger NS-Denkmalprojekt.
„Seit Ende des Kalten Krieges“, schrieb der Zeithistoriker Oliver Rathkolb Ende März 2007 in einem Zeitungskommentar, „ist die Welt komplexer geworden“. Nicht zuletzt deshalb „drängen Politik und Wissenschaft in Richtung Rückversicherung und Stabilisierung durch Suche nach festen Geschichtsbildern zur Absicherung Identität stiftender, aber derzeit erodierender nationaler und europäischer Mythen und Meistererzählungen.“ Das rückt auch in Österreich erneut die Frage in den Vordergrund, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind.
Eine probate Möglichkeit sieht Rathkolb in einer Erneuerung der „Visualisierungs- und Interpretationskonzepte von historischen Spuren in Österreichs Vergangenheit“, bei der – Disziplinen übergreifend – etwa die Geschichtswissenschaften gemeinsam mit der Soziologie und Architektur kritische Fragen stellen und, wie er es beschreibt, „mehrdimensionale Wege entwickeln“. Sein Appell sieht eine Abkehr von einer „nationalstaatlichen Selbstbespiegelung“ vor und fordert eine „kritische Reflexion unter Einbindung der Perspektiven von außen“. Damit könnte eine Voraussetzung geschaffen werden, „jene Traumata, Brüche, aber auch Kontinuitäten und Leistungen, die wir laufend in geschichtspolitischen Debatten verhandeln, in einen zukunftsorientierten Diskurs einzubringen“.
Während zu hoffen bleibt, dass diese Rufe in akademischen Zirkeln nicht ungehört verhallen, hat sich ein ambitioniertes Projekt im oberösterreichischen Leonding längst daran gemacht, reflexive Pfade zu beschreiten, die vor allem in die Richtung einer zeitgemäßen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit weisen. Die kleine Stadtgemeinde gilt aufgrund der Bezüge zu Adolf Hitlers Biographie vielen noch immer als Pilgerstätte alter und junger Nazis. Vergebens suchte man in Leonding bisher nach einer Versinnbildlichung der historischen und gesellschaftlichen Realitäten des Terrorregimes. Dessen Tötungsmaschinerie hat insbesondere in Oberösterreich mit dem Konzentrationslager Mauthausen, seinen vielen Nebenlagern sowie mit Hartheim nachhaltige Spuren hinterlassen. Im offiziellen Gedächtnis der Stadt blieb die Vielzahl der Opfer jedoch unerwähnt. Die Leidensgeschichten, der Widerstandskampf und die Warnung an die Nachgeborenen warteten Jahrzehnte lang auf eine deutlich wahrnehmbare Erzählung.
Mit „Nachklang – Widerhall“ hat der Verein Kult-Ex ein Denkmal geschaffen, das über die offizielle Eröffnung am 11. Mai hinaus am Alten Kirchenplatz auf Sichtbarkeit abzielt und diese um akustische Wahrnehmungszugänge erweitert. Gelingen soll dies über eine drei Meter hohe Klangsäule im Inneren der Stadt, die einen dauerhaften und künstlerisch gestalteten Korridor zwischen Gegenwart und Vergangenheit errichtet. Gesprochene Texte von Autorinnen und Autoren, die zum Thema arbeiten, sowie von Widerstandskämpferinnen und Betroffenen, die literarisch tätig sind, bilden nunmehr eine hörbare Textskulptur, die von den Gräueln und der Deportation der NS-Jahre erzählt und zugleich ermuntert, dass Widerstand und politisches Handeln in Zeiten extremer Repression notwendig und auch möglich sind. Alle Beiträge sind zugleich auf der multimedialen Online-Plattform abrufbar.
Auch der Schriftsteller Franzobel ließ anlässlich der diesjährigen Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Gunskirchen in seiner Eröffnungsrede aufhorchen. „Nein, es ist nicht sinnvoll, sich mit den Opfern des Nationalsozialismus zu beschäftigen, wenn man es sich im historischen Leid bequem macht, man damit sein Gewissen streichelt und alle Ungerechtigkeiten der Gegenwart ausblendet.“ Aber: „Es ist sehr wohl vernünftig, sich intensiv und immer wieder mit dieser dunklen Zeit zu beschäftigen, wenn man daraus Lehren zieht, wenn man begreift, dass auch in jedem von uns ein Täter steckt, niemand ist davor gefeit, und wir müssen ständig aktiv sein, dürfen diesen Tätern mit ihren menschenverachtenden Taschenfeiteln keine Chance geben, nicht im Kleinen und im Großen schon gar nicht.“ Der Verein Kult-Ex hat es sich nicht bequem gemacht, sondern mit „Nachklang – Widerhall“ ein Zeichen gesetzt, das wahrnehmbar bleibt. Historische Erinnerung wird im multimedialen Konzept jedenfalls mit Unmittelbarkeit versehen und damit auch erneut konkret. Der Diskurs um eine Revitalisierung der europäischen Erinnerungskultur sollte somit mehr als nur einen Blick auf Leonding werfen.
Projektinformationen und literarische Beiträge unter:
www.nachklang-widerhall.at
Zudem ist ein Hörbuch erschienen
Doppel-CD (160 Minuten)
ISBN: 978-3-200-00877-9
Bestellungen: www.doew.at (Publikationen; Widerstand und Verfolgung)
Der Erlös aus dieser CD wird folgenden Initiativen gespendet:
Deserteurs- und Flüchtlingsberatung Wien, Kupfermuckn und Laura-Gatnerhaus für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Anita Eyth und Thomas Hinterberger sind Vorstandsmitglieder des Vereins Kult-Ex