Lesen Sie hier die Langversion des Interviews nach, das Klemens Pilsl mit dem Infoladen Wels geführt hat. Eine gekürzte Print-Version erschien in der KUPFzeitung #121
Seit 2004 ist der Infoladen Wels Mitglied der KUPF – und hebt sich organisatorisch wie inhaltlich deutlich von sonstigen Initiativen ab. Infoläden sind seit den frühen 1980ern ein europaweites Phänomen und im Kern politische Anbieter und Vertriebe für alternative Medien und radikale Informationen abseits des Mainstream. Und weil auch die KUPF sich manchmal irrt, hat sie sich anläßlich des 10-Jahre-Jubiläums des Infoladen Wels mit einem Portrait desselben beauftragt – obwohl´s ja eigentlich noch ein Jahr dauern wird. Egal: 9 Jahre sind auch schon viel und Klemens Pilsl, selbst ehemaliger Infoladi aus Linz, hat trotzdem gerne ein Interview geführt.
Das Interview (09.Mai 2007) mit Mäxx vom Welser Infoladen fand im Internet statt. Eine gekürte Version ist nachzulesen in der KUPF-Zeitung 121/07 oder [hier|
Hi! Erzählt mir doch am Anfang ein wenig über die Geschichte und Motivation des Infoladen Wels.
Der Infoladen Wels wurde 1998 gegründet, das erste Vereinslokal befand sich passenderweise in der Karl-Loy-Straße (Loy war in der „Welser Gruppe“ aktiv, einer Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus). Damals wie heute war der Infoladen Treffpunkt für unterschiedlichste politische AktivistInnen. Schwerpunkte waren zu dieser Zeit die Antifa-Arbeit (in den 1990ern gab es auch in Wels ein sehr starkes Neonaziproblem), Burggartenbesetzungen und auch Tierrechte (damals waren einige VeganerInnen beim Infoladen aktiv, die u. a. Demos gegen Zirkusausstellungen organisiert haben). Die Motivation war seit jeher, erstens einen Treffpunkt abseits von Konsumwahn und -zwang anzubieten und zweitens politische Informationen abseits der Mainstreammedien in Form von Büchern, Flugblättern und Broschüren anzubieten – zu Themen wie Antifaschismus, Feminismus, Kapitalismuskritik, Nationalsozialismus uvm.
Und wie sieht eure Struktur aus? Wieviele Menschen arbeiten aktiv mit, wie vielen dient der Laden als Anlaufstelle? Wie schaut die Geschlechterstreuung aus? Wie trefft ihr Entscheidungen? Warum seid ihr als Verein organisiert? Und wie kommt ihr zur Buchhandlung?
Die Zahl der Leute, die beim Infoladen aktiv sind, ändert sich laufend. Im Laufe der Jahre haben viele Menschen in irgendeiner Form mitgemacht, manche haben sich rasch wieder verabschiedet, manche sind länger geblieben, einige vom „Urgestein“ der Infoladen-Gründung im Jahr ’98 sind aber noch übrig. Leider „verlieren“ wir immer wieder AktivistInnen dadurch, dass sie nach Wien ziehen, um dort zu studieren. Im Moment sind rund 10 Personen beim Infoladen aktiv, der „Ladn“ dient vor allem Menschen als Anlaufstelle, die einen gemütlichen Aufenthaltsort in unserer durchkommerzialisierten Gesellschaft suchen, die etwas gegen Faschismus und Rassismus machen möchten, die Subkulturen (Punk, SHARP-Skins usw.) angehören etc. Leider sind es nur wenige Menschen, die sich kritisch mit den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen auseinandersetzen möchten. Was die Geschlechterstreuung betrifft, ist es erfreulicherweise so, dass – im Gegensatz zu vielen anderen linken Projekten und Gruppen – auch sehr viele Frauen bei uns aktiv sind. Seit einigen Monaten gibt es sogar eine eigene Frauengruppe innerhalb des Infoladens, die eigene Veranstaltungen (Vorträge, Frauenfeste etc.) durchführt (interessierte Frauen sind jederzeit willkommen). Entscheidungen werden grundsätzlich im Plenum getroffen, d. h. wir versuchen, Konsensentscheidungen zu wichtigen Fragen zu treffen. Von Mehrheitsentscheidungen halten wird wenig. Wir haben einen Verein gegründet, um uns im gesetzlichen Rahmen zu bewegen, auch bietet es etwa beim Veranstalten von Konzerten Vorteile. Das Buchhandelsgewerbe wurde gegründet, um jedes im Handel erhältliche Buch bestellen zu können. Vorher konnten wir nur bei linken Verlagen bestellen, die auch an Vereine, die kein Buchhandelsgewerbe haben, Bücher zum rabattierten Preis liefern.
Eure bekanntesten Aktivitäten sind die „Burgartenbesetzungen“ und eure Antifa-Arbeit, vor allem zum BFJ . Könnt ihr die beiden Themen und eure Position und Aktivitäten kurz erläutern? Und was macht ihr sonst noch?
Die Burggartenbesetzungen werden seit 1997 durchgeführt, um gegen das im Welser Burggarten herrschende Alkohol- und Rasensitzverbot zu demonstrieren. Seit damals haben wir unzählige symbolische Sit-Ins (untermalt mit musikalischen und kulinarischen Genüssen) durchgeführt. Es geht uns hier aber nicht nur um den Burggarten, sondern generell um eine Ablehnung der Politik der Verbote. Es ist unserer Meinung nach zu einfach, missliebige Personen wie alkoholisierte Jugendliche, Obdachlose usw. durch Verbote aus der Öffentlichkeit zu verdammen. Damit werden lediglich Probleme verdrängt anstatt sie zu lösen. Wie die aktuelle Diskussion um Alkoholverbote (für Jugendliche) zeigt, sind diese Burggartenbesetzungen nach wie vor aktuell! Wir wollen mit den Besetzungen auch Stellung beziehen gegen miserable Wohnbedingungen (Stichwort: „Wohnsilos“), Videoüberwachung, Law-and-Order-Politik. Hingegen treten für menschenwürdige Lebensbedingungen mit natürlich belassenden, frei verfügbaren Freiräumen (ohne Beton) sowie für eine sinnvolle Nutzung von vorhandenen Immobilien ein. In Wels stehen etwa unzählige Geschäftslokale und Gebäude seit Jahren leer, während Tausende auf Wohnungssuche sind.
Der „Bund freier Jugend“ (BFJ) ist – wie ja bekannt ist – eine oberösterreichische Neonazibewegung, die seit etwa 2002 aktiv ist. Wir haben seit dieser Zeit zusammen mit anderen AntifaschistInnen die Aktivitäten dieser Gruppierung verfolgt und haben auch versucht, diese aufzuzeigen. Auch haben wir versucht, auf die großteils stillschweigende Toleranz von Politik, Behörden und Polizei gegenüber diesen Leuten hinzuweisen. In Zusammenhang mit dem BFJ wurde neuerlich bestätigt, dass es besonders bei Jugendlichen ein nicht unwesentliches Potential für rechtsextremes Gedankengut gibt. Der BFJ hat etwa im März 2006 in Ried/Innkreis eine Demonstration mit rund 150 TeilnehmerInnen durchgeführt – vorwiegend Jugendliche. Auch nachdem vor kurzem drei führende Kader verhaftet worden sind, bleibt die Naziorganisation weiter aktiv. Im Internet wird zu Spenden aufgerufen, auch Aufkleber wurden großflächig etwa in Wels, Linz und Salzburg verteilt.
Die meisten österreichischen Läden arbeiten stark szenereferentiell und haben keine bis wenig Relevanz außerhalb ihrer Kultur – was ja auch wichtig sein kann. Der Welser Laden unterschiedet sich da stark. Ihr betreibt eure Buchhandlung sehr offensiv, ihr beschäftigt euch öffentlichkeitswirksam mit Neonazi-Strukturen in OÖ, gebt Interviews für die Mainstream-Presse usw. Was ich by-the-way alles recht gut finde; kle Was sind da eure Beweggründe, warum unterschiedet ihr euch doch recht deutlich von anderen Läden?
Wir wollen ganz einfach kein „linker Diskutierzirkel“ sein, der von Selbstbeweihräucherung lebt und – abgekapselt und unbeachet von der restlichen Welt – ein stilles Dasein führt. Wir nützen die vorhandenen Medienstrukturen für unsere Zwecke und versuchen, unsere Positionen zu verbreiten. Vielleicht liegt unser Verständnis eines Infoladens auch an der schwierigen Ausgangsposition für einen solchen in einer Provinzstadt wie Wels. In Großstädten wie Wien oder Graz gibt es sozusagen ein linkes Stammpublikum, das einen Infoladen besucht. In Wels ist es schon schwieriger, Gleichgesinnte zu finden. Aus diesem Grund betreiben wir mit unserem Infoladen und der Buchhandlung ein sehr offenes Konzept und haben auch keine Berührungsängste, etwa mit Gruppen zusammenzuarbeiten, die nicht unbedingt aus dem linksradikalen Spektrum kommen, etwa ATTAC oder der Grünalternativen Jugend.
Wie ist euer Verhältnis zu den anderen Infoläden in Österreich? Gibt es da manchmal Spannungen – z.B. weil Leute vom Infoladen Gespräche mit der Polizei führen?
Das Verhältnis zu den anderen Infoläden ist sehr gut, es gibt auch regelmässige Vernetzungstreffen, bei denen mensch sich austauscht. Spannungen gibt quasi nie. Vor einiger Zeit ist das von dir angesprochene Gerücht kursiert, dass der Infoladen Wels mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeitet. Dieses Gerücht ist vermutlich aus zwei Ereignissen entstanden. Einmal haben wir bei einem der jährlich veranstalteten Treffen des BFJ („Tag der volkstreuen Jugend“) versucht, den Treffpunkt herauszufinden (Die Zeitschrift „Profil“ berichtete darüber). Wir haben dazu mehrere Teams in Autos organisiert, die den Nazis nachfahren sollten. Wenn wir dies nicht mit der Polizei abgesprochen hätten, wäre diese Aktion unmöglich gewesen. Bei einer Veranstaltung im Infoladen Wels zum Thema „Irak“ ist es einmal zu einem Gespräch eines Infoladen-Mitglieds mit einem anwesenden Staatspolizisten gekommen, was auf andere anwesende offensichtlich befremdend gewirkt hat. Grundsätzlich ist zu sagen: Es gibt keinerlei Zusammenarbeit zwischen dem Welser Infoladen und der Polizei und auch keinerlei Informationsweitergabe 😉
Das Konzept Infoladen existiert ja seit den beginnenden 1980ern, damals war der Hauptanspruch noch, Informationen abseits der herrschenden Kanäle und Medien zu vertreiben. Ist das heute, wo jeder Bahnhof-Shop linksradikale Lektüre verkauft und das Internet alle möglichen und unmöglichen Infos zur Verfügung stellt, noch zeitgemäß? Hat sich da das Konzept nicht ein wenig überlebt und wirkt inzwischen altmodisch? Natürlich haben Infoläden abseits der propagandistischen Kernfunktion noch eine soziale Funktion, aber für die bräuchte man ja keinen Infoladen …
Es ist offenbar tatsächlich etwas aus der Mode gekommen, sich ein Buch oder ein Flugblatt in die Hand zu nehmen. Wenn ein Buch gekauft wird, dann häufig über einen Internetanbieter, das merken wir leider auch bei unserem Buchverkauf. Wir denken nicht, dass sich das Konzept des Anbietens alternativer Medien überlebt hat. Die Mainstreammedien bewegen sich in einem Spektrum von linksliberal bis rechtsaußen, wirklich linke Tageszeitungen gibt es in Österreich etwa nicht. Auch das Buchangebot in üblichen Buchhandlungen zu diesem Thema ist nicht gerade überwältigend (Mal abgesehen von Büchern von Autoren wie Moore oder Chomsky). Insofern ists wohl sehr gut, dass es Infoläden gibt, wo eine Fülle von linker, kapitalismus- und gesellschaftskritischer Literatur und auch die entsprechende „kompetente Beratung“ angeboten wird. Auch die Funktion eines Infoladens als „Oase“ abseits der glitzernden, vollklimatisierten Einkaufspassagen an den Stadträndern ist nicht zu unterschätzen. Wenn das Innenstadtsterben in Wels so weiter geht, sind wir bald das alteingesessenste Geschäft in der Innenstadt. 😉
Eine andere Kritik haben die Dead Kennedys recht charmant in ihrem Song „Anarchy for sale“ umschrieben: ist es möglich, mit dem Verkauf von popkulturellen Polit-Accessoires (Buttons, Batches, …) und fairgehandeltem Kaffee kapitalistische Verwertungslogiken zu sprengen? Oder dient man nicht vielmehr als Speerspitze für einen „sozialen Kapitalismus“, bei dem die ehrenamtlichen VerkäuferInnen nicht mal Lohn erhalten und noch stolz darauf sind? Und bietet man damit nicht die Möglichkeit für Konsum ohne Gewissensbisse für selbsterklärte Politkids?
Wir machen uns da nicht die Illusion, dass wir mit dem Verkauf von Büchern, T-Shirts, Buttons etc. die kapitalistische Gesellschaft umkrempeln können. Die Einnahmen aus dem Verkauf dieser Sachen dienen rein der Finanzierung des laufenden Betriebs, unserer Veranstaltungen und Aktionen und um neue Literatur ankaufen zu können. Die Leute, die bei uns als „VerkäuferInnen“ ehrenamtlich hackeln, machen das aus Überzeugung und weil sie Wissen, dass das Geld einem guten Zweck zu kommt. Wir denken halt auch, dass es innerhalb des Kapitalismus (fast) unmöglich ist, sich diesem System völlig zu entziehen, schließlich muss jede/r von irgendwas leben. Insofern ist es wohl auch falsch, Gewissensbisse beim Kauf eines Produktes zu haben, egal ob im Infoladen oder woanders.
Die Grenzen zwischen rinks und lechts verschwinden zunehmend: Faschisten tragen Pali-Tücher und lesen Karl Marx, gestandene „Linke“ fordern die Auflösung Israels und Nazis tätowieren sich Che-Guevare-Portraits auf den Unterarm. Sieht sich der Infoladen Wels als „links“, oder gar als „linksradikal“? Oder sind das abgelaufene Etiketten ohne Aussagekraft, konservative Floskeln einer Moderne, die längst versagt hat?
Wir sehen uns als linksradikal, insofern wir die Gesellschaft von Grund auf zu einer besseren Welt verändern möchten. Momentan ist es „in“, sich in der Mitte zu positionieren, wohl um ja nirgends anzuecken. Die „Mitte“-Politik, wie sie etwa von SPÖ und ÖVP propagiert wird, entpuppt sich aber nicht selten als ziemlich rechts im Sinne von immigrationsfeindlich, neoliberal usw.
Auf eurer Homepage finden sich viele Hinweise und Texte zu Anarchismus. Ist das eine wichtige Ideenlehre für Euch? Ist die Forderung nach einer unmittelbaren und sofortigen „anarchistischen Welt“ angesichts der globalen Situation verantwortbar?
Unser Grundverständnis ist bestimmt ein anarchistisches, d.h. wir lehnen eine Vertretung der Menschen durch korrupte PolitikerInnen, die Teil der kapitalistischen Gesellschaft sind, ab. Wir treten für direkte Demokratie und Selbstbestimmung abseits von kapitalistischer Verwertungslogik ein. Uns ist jedoch auch klar, dass der Gedanke an eine anarchistische Gesellschaft sehr utopisch ist, die meisten Menschen dafür auch nicht bereit sind. Aus diesem Grund sind wir auch dafür, die alltäglichen Ausbeutungen, Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten (innerhalb des kapitalistischen Systems) zu beseitigen bzw. zu beenden, ohne dabei jedoch auf eine grundsätzliche Kapitalismuskritik zu vergessen. Mit einer rein reformistischen Politik a la Besteuerung von Spekulationsgewinnen geben wir uns nicht zufrieden.
Jetzt wieder retour vom Großen zum Kleinen: der Infoladen Wels ist seit 2004 bei der KUPF. Wie kommt eine Politorganisation mit Buchhandlung zur KUPF? Wie ist euer Verhältnis zur KUPF?
Gegenüber Bündnissen sind wir generell positiv gesinnt, weil wir denken, dass mensch vereint mit anderen Gruppen und Vereinen mehr erreichen kann. Auch unser Bekanntheitsgrad wird dadurch gefördert. Zur KUPF haben wir ein sehr gutes Verhältnis, sie hat uns beispielsweise (zusammen mit einem Steuerberater) dabei geholfen, ein geniales Konzept für unser Buchhandelsgewerbe zu entwerfen, das in Österreich wohl einmalig ist und sehr viele Vorteile für unser politisches Projekt bringt.
Und die obligate Abschiedsfrage: habt ihr Zukunftspläne? Wie geht’s weiter mit Euch?
Natürlich haben wir Zukunftspläne. Nachdem unsere „Lieblingsfeinde“ vom BFJ nun vermutlich für einige Zeit auf Eis gelegt werden, haben wir Zeit, uns neben antifaschistischen Themen auch anderen Dingen zu widmen. Wie bisher wollen wir subkulturelle Konzerte (Ska, Punk etc.) veranstalten, die Frauengruppe plant weitere Vortragsveranstaltungen und Feste, auch ansonsten wird es weiterhin Vortragsveranstaltungen zu diversen interessanten Themen geben. Wir möchten uns mehr mit der Lokalpolitik in Wels auseinandersetzen. Diese machte ja in letzter Zeit durch eine beispiellose Hetze gegen MigrantInnen auf sich aufmerksam. Auch der Lebenssituation in der Stadt Wels und der Kritik an untragbaren Wohnbedingungen oder überhaupt fehlenden Wohnraum wollen wir unsere Aufmerksamkeit widmen. Der Erfolg des Projektes Infoladen hängt natürlich von den AktivistInnen ab. Interessierte Leute sind bei uns jederzeit gerne willkommen!
Danke für das Interview!
Links
http://de.wikipedia.org/wiki/Infoladen
http://www.infoladen-wels.at
http://treibsand.servus.at
http://www.infoladen.at
Klemens Pilsl arbeitet in der KAPU/Linz ([www.kapu.or.at|http://www.kapu.or.at)