Gehen, zuhören, nachdenken und eintauchen in fremde Welten – rät Andi Wahl.
Der Kulturverein TRIBÜNE in St. Georgen an der Gusen bemüht sich seit Jahren um zeitgeschichtliche Themen. Am 5. Mai wurde nun ein beispielgebender Audioweg eröffnet. Andi Wahl hat ihn besucht.
Man stellt sich nicht einfach vor ein Haus und starrt in dessen Garten. Das ist eine Frage der Kinderstube. Mit einem Gefühl der Beklemmung stehe ich vor dem Haus Untere Gartenstraße 14, in der Mühlviertler Gemeinde Langenstein, und betrachte die beiden Granitsäulen, die den Eingang umrahmen. Eine Frauenstimme, deren Anweisungen ich seit gut 13 Minuten folge, hat mich dazu aufgefordert. Dieses Haus war das Bordell des ehemaligen Konzentrationslagers Gusen I. Das Dach haben die neuen Besitzer neu gemacht, erfahre ich eben aus dem MP3-Player, den mir Christoph Mayer umgehängt hat. Die Besitzer des Hauses sprechen selbst auf dieser Tonaufnahme. Erzählen, wie sie erst die zahlreichen Kojen heraus reißen mussten, um aus dem ehemaligen KZ-Bordell ein Wohnhaus zu machen. Der Umstand, dass die Bewohner des Hauses die Geschichte selbst erzählen, beruhigt mich. Die Leute wurden offenbar eingebunden in dieses Projekt und sind wohl damit einverstanden, dass ich hier stehe und auf ihren Eingang starre. Dennoch halte ich den Blick gesenkt. Ich möchte niemanden provozieren, keinem zu nahe treten. Und schon gar nicht möchte ich in diesem Moment jemandem in die Augen sehen müssen. Das alles hier ist auch so schon schwer genug auszuhalten.
Der von Christoph Mayer gestaltete AUDIOWEG GUSEN führt mich durch die beinahe verschwundene KZ-Anlage Gusen I und II. Die Stimme aus dem MP3-Player führt mich durch eine Wohnanlage, wie sie friedvoller nicht sein könnte. Sogar die Schritte der virtuellen Begleiterin sind zu hören. Ich bleibe stehen, betrachte eine Häuserflucht in der Spielplatzstraße. Hier, genau bei diesem Haus mit der saftig grünen Hecke, begannen die Krankenbaracken. Keine Ärzte, keine Medikamente, keine Betten. Nur ein wenig Stroh, auf dem die Menschen dahinsiechten, bis sie starben. Je nach Zählweise starben in den Lagern Gusen I-III zwischen 35.800 und 44.600 Menschen. Als eine Frau erzählt, dass sie unfreiwillig Zeugin wurde, wie im Lager Kinder abgeladen wurden, reiße ich mir die Kopfhörer von den Ohren. So hart gesotten bin ich nicht. Die Kinder steckten in Säcken und wurden mit Ho-Ruck gegen eine Wand geschleudert. Aus den zuckenden Säcken sickerte Blut, das der Frau in einem Rinnsal vor die Füße lief. Aber die sauberen Fassaden, der strahlend schöne Frühlingstag und das Vogelgezwitscher sind jetzt auch nicht auszuhalten. Also weiter durch diese wunderschöne Gegend und ihre grausame Geschichte.
Christoph Mayer, selbst in St. Georgen an der Gusen aufgewachsen und seit einigen Jahren als Künstler in Berlin tätig, ist mit diesem Audioweg ein Stück Zeitgeschichtedokumentation gelungen, das mich vor Ehrfurcht beinahe niederknien lässt. In einer 96minütigen Führung durch ein verschwundenes Konzentrationslager mit angeschlossenen Industriebetrieben kommen in Summe 25 Menschen zu Wort. Bewohner der auf dem Gelände des ehemaligen KZs geschaffenen Wohnsiedlungen, Häftlinge und Täter. Alle diese Interviews hat Mayer selbst geführt, und man kann nur vage erahnen, wie viel Beziehungsarbeit hinter diesen Tondokumenten steckt. Beeindruckend auch die zahlreichen und unterschiedlichen Geschichten, Rituale und Konstruktionen, die sich Menschen zurecht legen, um mit dem Geschehenen einigermaßen zu Rande zu kommen.
Mit dem AUDIOWEG GUSEN wird aber auch ein weiterer Meilenstein in einem zähen und nun schon Jahrzehnte dauernden Ringen gesetzt. Das 1965 auf Betreiben ehemaliger Häftlinge errichtete Mahnmal rund um den Krematoriumsofen wurde erst 1997 von der Republik Österreich übernommen. Die offizielle Geschichtsschreibung weigert sich bis heute, die Bedeutung der Lager Gusen I-III anzuerkennen. Die historische Forschung und Dokumentation und die Gedenkarbeit wurden, vor allem in den letzten zehn Jahren, von engagierten Bürgern aus St. Georgen und Langenstein sowie dem Kulturverein Tribüne geleistet.
Herausragende Persönlichkeit und Anlaufstelle für alle, die sich mit dem Thema KZ-Gusen auseinandersetzen, ist hier Rudolf Haunschmied vom Gedenkdienstkomittee Gusen. Haunschmied muss sich oft mit einem historischen Forschungsapparat auseinandersetzen, der zum Einen nur zögerlich bereit ist, seine Versäumnisse einzugestehen und zum Anderen dies durch Überheblichkeit zu kaschieren versucht. Die Aufarbeitung der Geschichte des KZ-Gusen und die sich daraus ergebende Gedenkarbeit zeigen, mit welcher Beharrlichkeit und Zähigkeit sich Zivilgesellschaft nicht von den „Offiziellen“ unterkriegen lässt. Und das ist – bei allen Grausamkeiten, die hier stattgefunden haben – doch ein erfreulicher Hoffnungsschimmer.
www.gusen-memorial.at audioweg.gusen.org
Andi Wahl, Bau- und Kulturarbeiter, beschäftigt sich seit Jahren mit zeitgeschichtlichen Themen und ihrer Vermittlung. Seit kurzem besitzt er eine Abricht-Dickenhobel-Maschine und noch im Mai soll eine Kreissäge, auf die er schon seit Jahren spart, geliefert werden.