Andi Wahl lässt die Hosen runter.
Ich will einmal publizistischen Exhibitionismus betreiben und vor Ihnen sozusagen die Hosen runter lassen. Normalerweise bin ich ja ein zurückhaltender Mensch, aber nachdem mich das Schicksal so hart geschlagen hat, muss ich einige Dinge einfach los werden. Sollte ich Sie mit meinem Gerede über mich selbst peinlich berühren, so möchte ich Sie schon zu Beginn um Entschuldigung und Nachsicht bitten.
Ich habe zwei Vorbilder, die mir, vor allem in verzweifelten Stunden, Halt und Kraft geben. Beide sind Frauen und beide sind nicht real sondern literarische Figuren. Das ist einmal die „Geier-Walli“, bekannt für ihre Unbeugsamkeit und Sturheit. Und zum Anderen ist es die „Goldmarie“. Goldmarie deshalb, weil sie mit einem fröhlichen Pragmatismus ausgestattet ist. Sie geht durch ihre Märchenwelt und macht mit ruhiger Selbstverständlichkeit das, was eben gerade zu tun ist. Schüttelt das Bäumchen, zieht das Brot aus dem Ofen und beutelt Tuchent und Polster, dass die Federn nur so fliegen. Diese beiden Figuren bezeichnen quasi die beiden Pole meines Handelns. Oszillierend zwischen Sturheit und Pragmatismus. Ein klarer Fall für die Goldmarie in mir war die Bitte der KUPF-Zeitung, hier einen Artikel zur bevorstehenden Nationalratswahl abzusondern. Dabei ist es nicht so, dass die Redaktion in mir einen messerscharfen Analytiker oder gar einen geistreichen Kommentator entdeckt hätte. Nein, der Auftrag ereilte mich alleine deshalb, weil mein Nachname „Wahl“ lautet. Und ich mache es, weil es eben zu machen ist.
Dabei gibt es kaum ein Thema, über das ich in letzter Zeit weniger nachgedacht hätte, als über diese Wahl. Sie ist nämlich aus mehreren Gründen nutz- und witzlos. Denn wen sollte man schon wählen, wenn schon die Partei, die sich zum Ziel gesetzt hat, als die menschenfreundlichste zu gelten, einwanderungswillige Menschen streng nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit selektieren möchte? Jetzt bestreite ich nicht, dass dies eine legitime Position innerhalb eines pluralistischen Politsystems sein kann. Aber bitte von Parteien wie der CSU oder den Tories. Oder, um es an Personen klar zu machen: Positionen, wie man sie in den 1980ern von Margaret Thatcher oder Franz-Josef Strauß erwarten durfte. Wen bitte soll ein einigermaßen anständiger Mensch wählen, in einer Parteienlandschaft, wo der „linke Rand” durch Positionen markiert wird, die vor 20 Jahren noch als extrem rechts galten? Mir sind die Parlamentsparteien allesamt so weit davon gezogen, dass ich sie kaum noch als Pünktchen am Horizont erkennen kann. Unser aller Landeshauptmann Josef Pühringer zitiert gerne Konrad Adenauer (den er auch als sein Vorbild bezeichnet) mit dem Ausspruch, dass die Politik den Menschen voranschreiten müsse – aber nur soweit, dass sie von den Menschen auch noch gesehen werden könne. Wo, bitte, kann sich einer wie ich beschweren? Aber eh wurscht! Denn Nationalratswahlen in Österreich haben, allem Anschein nach, ohnehin nur noch eine folkloristische Funktion. Viele politische Gestaltungsmöglichkeiten, so wir sie nicht ohnehin an die EU abgegeben haben, wurden in den letzten Jahren von der österreichischen Politik nicht mehr genutzt. Nur noch Markt und Standort zählen und fernab jeder öffentlichen Kontrolle werden Handelsabkommen unterzeichnet, die weitreichende Auswirkungen auf Jahrzehnte haben.
Die Neutralität wurde von allen Parlamentsparteien bereits vor Jahren abgeschafft. Nur darüber, wie sie es uns beibringen sollen, streiten die Parteien noch. Schau ich ins Parlament, so kann ich überall nur den selben neoliberalen Wein in verschiedenfärbigen Schläuchen entdecken. Diesen Wein trink ich nicht, und so können mir auch die Schläuche gestohlen bleiben! Verzeihung! Sie haben natürlich recht. Jetzt sind die Geier-Walli und ihre Sturheit mit mir durchgegangen. Wird nicht mehr vorkommen. Schließlich bleibt uns ja noch der freie Wettbewerb der Ideen und Ideologien. Aber auch das ist eine Fehlanzeige. Nicht, dass es in Österreich keine ideologischen Auseinandersetzungen mehr gäbe. Die gibt es sehr wohl, aber sie werden nicht auf dem politischen Feld ausgetragen. Denn auf diesem sind sich (siehe oben) alle einig. Ideologien werden heutzutage in Managementausbildungen, Selbsterfahrungsseminaren und Einzel-Coachings geschmiedet und verbreitet. Ideologien kommen heute nicht mehr als Massenware daher, sondern geben vor, für jeden Kunden/Klienten eigens zugeschneidert zu werden. Freilich allesamt nach ähnlichen Schnittmustern.
Aber zurück zu den Wahlen. Nach eingehender Betrachtung können wir also festhalten, dass wir am besten gar nicht hingeschaut hätten. Persönlich löse ich das Problem dieser Wahl so wie ich es immer löse: Ich kandidiere auf irgend einem hinteren Listenplatz für die KPÖ. Das hab ich schon immer so gemacht und es ist auch weiterhin ein schönes Zeichen meiner prinzipiellen Unzufriedenheit. Außerdem verlangt ja die Geier-Walli ihren Platz in meiner Brust.
Andi Wahl ist Bau- und Kulturarbeiter und schreibt Bücher.