Über Guy Debord und die Situationistische Internationale. Eine Rezension von Andre Zogholy.
Guy Debord und die Situationistische Internationale (SI) erfahren in den letzten Jahren auch im deutschsprachigen Raum (wieder) vermehrte Aufmerksamkeit. Tendenziell lag und liegt der Schwerpunkt in der Rezeption eher bei kunst-, kultur- und medientheoretischen Fragestellungen. Nicht unbeteiligt sind sicher das Buch „Lipstick Traces” von Marcus Greil, aber auch das „Handbuch der Kommunikationsguerilla” der autonomen a.f.r.i.k.a. gruppe. Durch ebenjene Verknüpfung von Theorie und Praxis, einer möglichen Änderung des Lebens im Alltag, lieferte das Handbuch für Kommunikationsguerilla im Anschluss u.a. an die SI mögliche weitere praxisorientierte Technologien künstlerisch- kulturellen Widerstandes.
Wenig Beachtung – so eine der Grundannahmen der Herausgeber von „spektakel – kunst – gesellschaft – fanden bisher (marxistisch orientierte) gesellschaftskritische Aspekte, die Debords Kunst- und Kulturkritik, vor allem im Übergang von einer (Anti-)Kunstmaschine hin zu einer revolutionären Maschine zugrunde liegen. Der Band „spektakel – kunst – gesellschaft“ versammelt Vorträge, die auf dem gleichnamigem Symposium im Januar 2005 in der Kunsthalle Exnergasse im Wiener WUK gehalten wurden, sowie weiterführende Beiträge.
Nach einer gelungenen Einführung in die Thematik durch Biene Baumeister Zwi Negator umkreist der Band auf vielfältige Art und Weise verschiedenste Aspekte der SI, vor allem von Guy Debord. Neben mehr oder minder altbackenen Vergleichen eines Spektakels nach Debord mit einer Kulturkritik der Frankfurter Schule (v.a. Adorno), über kunsthistorische Abhandlungen bis hin zu Verknüpfungen mit marxistischer Theorie oder auch mit der Bewegung der französischen Kulturprekären wird somit ein breites Spektrum abgedeckt.
Den Herausgebern geht es darum, „Debord und die SI in ihrem revolutionären Anspruch ernst zu nehmen“. Gerade das wird bei manchen der Beiträge zum Fallstrick. So holt z.B. Stephan Grigat zu einem rechthaberischen Rundumschlag gegen Malmoe (eine „linke österreichische Zeitgeistpostille“), Hardt und Negri, sowie gegen „heutige Linke, die in ihrer poststrukturalistischen Ausprägung … immer öfter in Geplapper enden“ aus. Unbedacht der Umstand, dass gerade poststrukturalistische Ansätze zahlreiche Anschlüsse und Verbindungslinien zu Debord und der SI aufweisen (z.B. Verknüpfung einer Alltagsorientierung mit poststrukturalistischer Mikropolitik) und weitaus interessantere Anknüpfungen als z.B. an Adorno zulassen.
Neben einer längst überfälligen Beschäftigung im Zusammenhang mit der Ausblendung der Shoa durch die SI und Debord, der in diesem Band nachgegangen wird, vermisse ich eine Auseinandersetzung mit anderen blinden Flecken: Hierarchische, machistische Geschlechterverhältnisse im konkreten, die SI-Organisation im Allgemeinen. Der zunehmende Größenwahn des Anführers Debord, sektiererische Ausschlusspraxen, das interne Nichteinlösen der eigenen Vorgaben, das Scheitern am Theorie-Praxis-Bezug wären solche blinden Flecken, deren Untersuchung auch die Tatsache der Rekuperation der SI und Debords erklären könnten. Aber auch lustvolle Momente im Handeln der SI, Bekenntnisse zum permanenten Rausch in der permanenten Revolution werden durch die oftmals verbissene Rezeption ausgeblendet.
In Widerspruch mit den Worten der Herausgeber im Vorwort, auf inhaltliche Vorgaben zu verzichten, bleibt eine Publikation, die an den eigenen hohen grundlegenden Vorgaben, die gesellschaftskritischen Aspekte Debords und der SI zeitgemäß genauer zu beleuchten, zumindest teilweise scheitert.
Andre Zogholy ist Vorstandsmitglied der KUPF und Aktivist bei quJochÖ – experimentelle Kunst- und Kulturarbeit.
Spektakel – Kunst – Gesellschaft. Guy Debord und die Situationistische Internationale. Stephan Grigat, Johannes Grenzfurthner, Günther Friesinger (Hg.), Verbrecher Verlag Berlin, 256 Seiten, ca. 14,00 Euro, ISBN: 3-935843-61-5, 2006