Marty Huber kann über Ried nicht viel sagen. Genausowenig wie über Alkoven, Gmunden, Rohrbach, Wels, Perg…
Über Ried kann ich nicht viel sagen … aber Baden in Ried scheint ein besonders wichtiger Teil der Kultur zu sein. Über Ried kann ich nicht viel sagen, ich wurde dort nur geboren, bin dort in die Schule gegangen, oder besser gesagt in mehrere Schulen gegangen. Die eine brachte mir eine Matura, die andere eine nicht abzuschließende Fortbildung im Hauptfach „Kontinuität des österreichischen Rassismus und Antisemitismus“. Über Ried kann ich nicht viel sagen, außer vielleicht dass die Leute immer noch gerne bezahlen, um in der Jahnturnhalle Haider, Strache oder sonst wen zu hören, dass jedes Ausländerhetzevolksbegehren dort durchschnittlich viele Stimmen erhält. Ein Ried, was ja übrigens Sumpf heißt, wo zu meiner Schulzeit rechtsradikale Zeitschriften wie „AUF“ oder „Halt“ an der Schule verteilt wurden, wo ein angesehener Rechtsanwalt zum Todestag von Rudolf Heß die schwarze Fahne hisste.
Über Ried kann ich nicht viel sagen, außer dass ich mich an die Euphorie erinnere – 1989, als die Mauer fiel und ich als Schülerin unzählige Säcke mit Altkleidern sammelte, Decken gegen die Kälte in Temesvar, Häuser wurden renoviert, um Flüchtlingen aus Rumänien eine menschenwürdige Unterkunft zu bieten. Warum auch immer die Menschen euphorisch waren, sie halfen, vielleicht auch aus Freude über den Zusammenbruch des Kommunismus, und ich inmitten dieser Woge von „die Grenzen sind offen“. Nichts mehr ist davon geblieben …
Über Ried kann ich nicht viel sagen, außer dass jeder Pipifaxverein Extrawürsteln bekommt. Etwaige Senioren, die Dienstag Abend den Schulturnsaal für ihre Tischtennisneigungsgruppe belagern, das Hauptschullehrerinnenvolleyballturnier, das sich dort mittwochs trifft, die Herrensauna, die froh ist unter sich zu sein, der Gesangsverein und die Tarockrunden, Mütterrunden, Elternabende, katholische Jungschartreffen, gibt es einen Unteroffiziersclub der Kaserne? Wahrscheinlich, ich weiß es nicht. Extrawürsteln wohin das Auge blickt. Und süßer Senf dazu. Aber halt, fühlt sich nicht doch noch irgendjemand durch den NudistInnenbadetag bedroht? Gab es nicht schon mal irgendwo eine Bauchtanzgruppe für Schwangere, hauptsächlich besucht von Österreicherinnen mit Landler- und nicht mit Migrationshintergrund? Werden wir nicht doch noch überrollt von den exotischen Früchten des umsichgreifenden Salsa, Merengue, Bachata? Was auch immer OberösterreicherInnen mit Landlerhintergrund gegen badende Musliminnen haben können, ist doch nur Ausdruck größtmöglicher Unsicherheit. Wer sich gleichzeitig über überzogene Normierungsgebarungen der EU endlos aufregen kann und es aber nicht aushält, dass andere Menschen andere Kleidung tragen, kann nur wie Bauchspeck von Fett von schwerer Verunsicherung durchzogen sein. An dem Prinzip der Extrawurst kann es nicht liegen, denn wir lieben Extrawürste und eigentlich sind wir mit ihnen auch nicht neidig. Und jede Extrawurst schaut auch anders aus und ist nicht zu verwechseln mit der Extra-Wurst, die ist schon sehr durch den gleichmacherischen Fleischwolf gedreht worden.
Also noch mal: Wer bedroht hier wen? Wer muss genauso viele Steuern zahlen und hat mehr Pflichten (wie Nachweise über die Kenntnisse der deutschen Sprache, über entsprechend großen Wohnraum, etc …), aber weniger Rechte (darf z.B. nicht wählen gehen und bekommt auch keine Extrawurst)? Wer bekommt für die gleichen Steuern die schlechtere Ausbildung, die schlechtere Arbeit und das Recht auf Beleidigtwerden? Nicht umsonst werden muslimische Frauen angegriffen: in ihren zugeschriebenen Rollen als Bewahrerinnen der Tradition und als Bedrohung anderer Traditionen, sei es nun durch einen Badetag, oder durch eventuelles Kopftuch tragen. Der einzige, der etwas Mut bewiesen hat, war der Pächter des Hallenbades, der diesen Badeabend für muslimische Frauen ermöglichte. Ansonsten Feigheit überall. Dass Ried nun auch offizielles Aufmarschgebiet rechtsextremer Verbände wie des BfJ (Bund freier Jugend) wird, hat in den letzten Tagen nur etwa 20 GegendemonstrantInnen bewegt. Aber wo sind die 2000 Oberstufen-SchülerInnen der Schulstadt, wo ist der kulturpolitische … Mittwoch, die linken KatholikInnen, das Schifabrik Fischer-Hochhaus? Aber vielleicht geht es denen so wie mir: Ich kann über Ried nicht viel sagen, genauso wenig wie über Alkoven, Gmunden, Rohrbach, Ebensee, Braunau, Enns, Wels, Perg, Steyr, usw …
Marty Huber ist Sprecherin der IG Kultur Österreich, queere Aktivistin und Dramaturgin.