Linz wird niemals Graz werden!

Michael Petrowitsch über Graz03 und Linz09.

 

Eingedenk der Tatsache, dass bei einer Veranstaltung der IG Kultur Österreich der „gewerkschaftliche“ Gedanke im Kulturbetrieb als „Relikt der 80er Jahre“ bezeichnet und als weitgehend abgehakt angesehen wurde, hier ein bescheidener, augenzwinkender Versuch mit fordernder Textsorte den apolitischen verwässerten und also sozialpartnerschaftlichen Tendenzen am Fallbeispiel Linz09 ein wenig entgegen zu treten.

Mit diskursivem Schwadronieren ist kein Staat zu machen, schon gar nicht bei einem 60 Millionen Projekt. Zum Thema: Als verpflichtende Sofortmaßnahmen müssen folgende Dinge angesehen werden: Die Einrichtung eines unabhängigen Programmbeirats, der spartenübergreifend zu urteilen vermag. Transdisziplinäre Projekte dürfen nicht durch die Beurteilung von ein, zwei Personen abhängig gemacht werden. Ein systemischer Kulturbegriff ist gefordert, bei einem Projekt wie Linz09 muß dies mehr als selbverständlich sein.

Als dringlich ist die Drittelung/Fünftelung des vorhandenen Kapitals anzusehen, um den Projekten eine Anlauf- und Auslaufphase zu garantieren. Ebenso muss eine garantierte Flüssigmachung eines bestimmten Prozentsatzes des Gesamtkapitals für die freie Szene als vorrangig angesehen werden. Projekte aus der sog. freien Szene (ich verstehe darunter jene Organisationsstrukturen, die sich nicht in öffentlicher Trägerschaft befinden) sind Teil der kulturellen Wertschöpfung sowie des wirtschaftlichen Lebens, das erst durch Kultur ermöglicht wurde. Dies muss vor allem Touristikern immer wieder erklärt werden. Initiativen sind keine BittstellerInnen, Förderung ist kein Gnadenerweis, FördergeberInnen sind VerwalterInnen von Allgemeingütern. Die traditionelle Auffassung der Kulturpolitik, die nur auf die klassischen Disziplinen und die Entwicklung des Kultursektors fokussiert ist, muss zu Gunsten eines systemischen cultural planning aufgegeben werden, Linz kann hier eine Vorreiterrolle spielen. Auf der Linz09-Homepage findet sich eine Eintragung, die man von Graz als Topos kennt.

Jenes Bild der Brücke zwischen Ost und West u.ä. oder etwa der Verweis auf das neue „wiederaufbauende Europa“. Dies sind überlebte Vorstellungen angesichts der geopolitischen Situation. Eine Neupositionierung scheint auch im Falle von Linz angebracht. Nachhaltigkeit ist das Umundauf im Wirtschaftstalk und NLP-Sprech, in welchem mittlerweile Kultur als Betätigungsfeld entdeckt wird. Die christliche Wertegemeinschaft, der wir angehören, erzwingt geradezu etwas Sinnstiftendes zu schaffen. Wenn wir etwas erzeugen, seien es Worte oder Taten, muss es einen bleibenden Wert haben. Hausbauen etwa gilt als sinnstiftend, nachhaltige Verbesserungen der Situation von MigrantInnen nicht. Das nachhaltigste Projekt von graz03 war die Firmengründung der MarketingexpertInnen, die sich selbstständig gemacht haben und berechtigt (!) die aufgebauten Kontakte nützen, anderswo lägen sie brach. So gesehen war graz03 auch so eine Art JungunternehmerInnenförderung, ein gangbarer Weg für Linz09?

Ein Beispiel aus dem Grazer Kulturbericht aus dem Jahr 04 zeigt folgendes: Die Vereinigten Bühnen Graz kommen auf eine Bezuschussung von 17, 6 Mio. Euro, jene der freien Theaterszene auf gerade mal 0,8 Mio Euro. Wie sieht es mit der Auslastung aus? Oper, Schauspielhaus und Next Liberty kommen in der Spielzeit 2002/2003 auf insgesamt 295.000 BesucherInnen, die freie Theaterszene indes auf knapp 100.000. Die Unverhältensmäßigkeit ist augenscheinlich! Linz09 wäre eine kulturpolitische Chance, Ungleichgewicht jener Sorte zu beseitigen, in Graz ist dies nicht gelungen.

Daran anknüpfend ist die Frage auf zu werfen, mit welchem politischen Bewusstsein eine Intendanz ausgestattet sein muss/darf. Ob sie etwa eine klare Haltung gegenüber der Bundespolitik einnehmen kann und will und sich zu dieser oder jener tagespolitisch relevanten Frage äußert: Eine breite Fassung des Kulturbegriffes sei eingefordert, der nicht beim Abtanzen in der interdisziplinären Diskothek hängen bleiben darf. Der Kulturhauptstadtauftrag, der zwischen Marketing, Tourismus und solidargesellschaftlichem Ruck hin und her pendelt, muss einen deutlichen Überhang zum Solidargesellschaftlichen aufzeigen.

Mit Boris Groys wissen wir, dass die Sprache, die unsere Gesellschaft heutzutage vorzugsweise benutzt, um über sich selbst zu sprechen, die Sprache des Geldes ist. Geld ist das, was die Gesellschaft trotz ihrer Fragmentierung und Heterogenität auf wundersame Weise verbindet. Wir reden über Oberflächenreize wie Geld, die den Kulturschaffenden fördert oder für ihn zumindest jene Rahmenbedingungen schafft, um zu produzieren. Die bescheidene Forderung möge also lauten, dass Umverteilung ab 2010 fortgeführt wird. Linz09 kann so etwas wie ein Start sein, Umverteilungen voran zu treiben und Strukturen zu verändern. Diese prozessualen Veränderungen werden, historisch bedingt, nicht von oben serviert werden, dies müssen die vorhandenen Gruppierungen in OÖ vorantreiben. Sei dies etwa im MigrantInnenkontext oder einem anderen „Randsegment“. Randsegmente müssen Teil des öffentlichen Bewusstseins werden und im urbanen und nichturbanen Zusammenhang wahrnehmbar sein. Ein Projekt wie Linz09 kann die Vorraussetzungen dafür schaffen.

Michael Petrowitsch leitet das www.pavelhaus.at und ist Obmann der www.igkultursteiermark.at