Franz Fend hat sich in der Wühlkiste der Bildungsangebote umgetan.
Es tut sich was auf dem Feld der Bildung und Ausbildung. Wie es scheint, wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Das staatliche Bildungssystem wurde heruntergewirtschaftet zu einem Ausbildungsbetrieb, der bestenfalls kurzfristige Berufsanforderungen zu vermitteln mag. Die Universitäten können mangels an Ressourcen schon längst keine fundierten wissenschaftlichen Ausbildungen garantieren. Mit den neuen Studienplänen, die nun als neuen akademischen Grad eine Bachelor vorsehen, wird aus der Not eine Tugend gemacht. Die Sprache ist verräterisch: Bachelor heißt, frei übersetzt, Geselle. Das war man früher, wenn man eine Lehre abgeschlossen hat. Rein auf berufliche Erfordernisse ausgerichtete Fähigkeiten werden hier vermittelt, deren Halbwertszeiten immer kleiner werden. Als offizielle Gegenstrategie versuchen die bildungspolitisch Verantwortlichen ein Elitenkonzept zu etablieren, das als groß angelegtes Ausschlussverfahren wenigen Auserwählten (von wem?) bieten soll, was früher allgemeines Ziel universitärer Bildung gewesen ist. Selbst der unvermeidliche Wortspender Konrad Paul Liessmann entlarvt die herrschende Bildungspolitik und deren elitäre Appendizes definitiv als „Projekt der Gegenaufklärung“.
Im Pflichtschulsektor wird debattiert, ob Lehrer ihre Schüler wieder mit dem Rohrstab disziplinieren und züchtigen dürfen sollen. Die Schule soll zumindest als Zurichtungsanstalt, wie es früher die Gefängnisse und die Psychiatrischen Kliniken taten, ihre Funktion haben. Ansonsten taumelt man, von Angstschüben gebeutelt, von Pisa-Test zu Pisa-Test. Jenen Überprüfungen, die doch nur feststellen wollen, ob das jeweilige Schulsystem, ausreichend Humankapital für die Wirtschaft zur Verfügung stellt und ob die Fähigkeiten dieses Menschenmaterials auch den Erfordernissen der neoliberalen Ökonomie entsprechen.
Flankiert wird das öffentliche Ausbildungswesen von einer Unzahl privater Angebote, die das, was staatliche Bildung nicht zu schaffen imstande war, komplimentieren sollen und was die umfassende Verwertung des Menschen durch den entfesselten Markt kaputt gemacht hat, wieder reparieren sollen. Und dabei sagenhafte Profite realisieren. Die Palette reicht von zweifelhaften IT-Kursen bis zu Gedächtnis-Trainings, von Marathon- Lauf-Trainings bis zu Abnehm-Seminaren. Man möchte ja fit sein im Job und die Konkurrenten überflügeln können. Es gibt nichts, was man nicht kaufen könnte, am unbegrenzten Markt der bildungsmäßigen Heilsversprechungen. Bei der VHS Linz kann man sich soziale Kompetenz von undurchsichtigen Unternehmensberatern zertifizieren lassen, andernorts werden Lach-, Flirt-, und Trauerarbeitsseminare zum Verkauf angeboten. Merkwürdige Ausbildungen in Emotionsmanagement, Atemtherapien, Feng Shui, Wegwerfseminare (zur Steigerung der Mobilität?), kreatives Visualisieren, Gesundheit durch Streicheleinheiten bei Touch for Health Kursen, Stressabbau durch Streicheln oder Sensitive Berührungskunst runden das Angebot ab. Esoterik ist längst nicht mehr Sache abgedrehter Wirrköpfe und bekiffter Religionsfanatiker, sie ist in das Zentrum des Bildungswesens vorgedrungen.
Die Ausbildungsangebote am Kultursektor unterscheiden sich kaum vom übrigen vorherrschenden Angebot. Ein eigenartig schmeckender Eintopf aus Vulgärbetriebswirtschaft, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit mit einer Brise Kunstvermittlung wird hier meist serviert. Die Verwandtschaft solcher Ausbildungen mit dem Fremdenverkehr und der Gastronomie ist verblüffend. Hier wie dort wird in prekären Arbeitsverhältnissen gejobbt. Freundlich zu den DJ Özis und Hansi Hinterseers und Otto Schenks der Kulturindustrie müssen alle sein. Der Unterschied besteht nur darin, dass sich Kulturmanager besser anhört als Saisonkellner, Liftwart oder Schilehrer.
Hinzu kommen die staatlich verordneten Ausbildungszwänge für jene, die auf dem enger werdenden und gleichzeitig neoliberal beschleunigten Arbeitsmarkt keinen Job finden können. Mehr als 62.000 Menschen waren alleine im März dieses Jahres in Schulungen des Arbeitsmarktservices. Die wenigsten von ihnen freiwillig. Verweigerern von sinnlosen Computerkursen wird das Arbeitslosengeld gestrichen. Das Prinzip des lebenslangen Lernens, dem man ohnehin mit großer Skepsis begegnen sollte, wird hier mit existenziellem Zwang durchgesetzt. Das Lernen, das hier quasi bis zum letzten Atemzug eingefordert wird, soll hier keineswegs dazu dienen, Menschen zu einer selbst bewussten und selbst bestimmten Teilnahme an der Gestaltung des Zusammenlebens befähigen. Vielmehr sollen brauchbare, also ökonomisch verwertbare Arbeitskräfte produziert werden. Ob diese Maßnahmen (wieder so ein verräterischer Begriff) jemals eine Auswirkung auf den Arbeitsmarkt hatten, und haben werden, kann niemand beantworten. Aber das ist ja auch nicht die Intention dieser Veranstaltungen.
Vermittelt werden soll zweierlei: Wer nicht lernend spurt ist das Arbeitslosengeld los und jenen, die (noch) nicht arbeitslos sind, wird signalisiert, sie mögen sich lernend fit halten, um möglichst viele der jeweils geforderten Qualifikationen vorweisen zu können, ansonsten sie heillos ins Hintertreffen geraten würden. Employability ist angesagt. Dieser Begriff beschreibt den Zwang zur permanenten Anpassung an die ökonomischen Verwertungsvorgaben, dem die Arbeitskräfte in der Marktgesellschaft unterliegen, wie dies der Bildungswissenschafter Erich Ribolits formulierte. Mit dem Slogan vom lebenslangen Lernen sei einmal ganz was anderes gemeint, als das laufende Update von Humanverwertungseinheiten, meint Ribolits. Wie recht er hat.
Es wird noch große politischer und gesellschaftlicher Anstrengungen bedürfen bis in die Bildungsdebatte wieder das humanistische Ideal, welches besagt, dass Menschen durch den Erwerb von Wissen zu einer vernünftigen Lebensgestaltung befähigt werden sollen, Einzug hält. Ganz zu schweigen vom Humboldschen Diktum, dass Bildung die Horizonte im umfassenden Sinne zu erweitern habe oder wie Günther Anders es beschrieb, dass es darum gehe Zusammenhänge zu „erfahren“ um sich kritisch gesellschaftliche Wirklichkeit anzueignen und diese auch, bei Bedarf, zu verändern.
Franz Fend ist Publizist, lebt und arbeitet in Linz.