Selbstorganisation und Kontrolle

Ein Aufruf zur widerständigen Reflexion und Praxis

von Ariane Sadjed, Marion Stöger und Rubia Salgado.

Selbstorganisation ist eine zentrale Strategie für MigrantInnen, die bezahlte Arbeit und ihrer Ausbildung entsprechende Tätigkeiten wollen. Selbstvertretung der wirksamste Schritt in Richtung Antirassismus am Arbeitsmarkt. 1

Dies ergab nicht zuletzt die Reflexion von migrantischen arbeitsmarktpolitischenProjekten aus der ersten Equal-Antragsrunde als deren Konsequenz sich die Equal Entwicklungspartnerschaft wip – work in process 2 – rund um migrantische Selbstorganisationen formierte, an der auch maiz 3 beteiligt ist. Was heißt das für soziale Systeme, die außerhalb der vorgegebenen Normen operieren, um (über-)leben zu können?

Aus naturwissenschaftlicher Perspektive ist Selbstorganisation die Fähigkeit komplexer Systeme, ihre innere Ordnung ohne äußere Steuerung selbsttätig zu entwickeln und aufrechtzuerhalten. Selbstorganisation ist mithin eine Form der Systementwicklung, bei der der ordnende, gestaltende Einfluss nicht von außen zugeführt wird, sondern von den Elementen des Systems selbst ausgeht. Die soziale Systemtheorie beschreibt Veränderungen von Gesellschaft und sozialen Systemen nicht durch rationale Planung, sondern durch die Evolution jedes Systems nach der ihm eigenen Gesetzlichkeit und durch Wechselbeziehungen zwischen den Systemen. Externe Einwirkungen auf solche Systeme werden folglich eher als Impulse für die Herausbildung neuer Formen einer möglichen – jedoch von außen kontrollierten – Selbstorganisation gesehen. 4

Zu berücksichtigen ist der Unterschied zwischen der Anwendung des Begriffes der Selbstorganisation im betriebswirtschaftlichen Kontext und der Bedeutung von Selbstorganisationen als Organisationsform innerhalb der Gesellschaft. Im ersten Fall bezieht sich der Begriff auf das Misstrauen gegenüber Kräften der Planung und auf die Kraft der einzelnen Elemente, sich selbst zu organisieren; paradoxerweise wird die Selbstorganisation an der Basis von der Führung initiiert: „Diese Selbstorganisation bewegt sich dann freilich in den Bahnen, welche die Unternehmensleitung vorgibt.” 5 Im zweitem Fall beziehen wir uns auf widerständige Formen von Organisationen, welche durch ihr Entstehen die Legitimität hierarchisch-bürokratischer Politikformen explizit bestreiten und sich abseits neoliberaler Konzeptionen von Ich-AGs oder Bürgergesellschaftsvorstellungen verstehen.

Aber bis wann ist die Autonomie von Selbstorganisationen gegeben? Solange sie eine kleine Einheit sind? Je mehr die Organisation wächst, desto eher müssen die Strukturen bürokratisiert werden, damit der Staat steuern und überwachen kann. Lenkung erfolgt meistens nicht über inhaltliche Interventionen, sondern über Subventionsvergabe. So werden Sozial- und Bildungsarbeit von staatlicher/ europäischer Seite zumindest teilfinanziert, während Kulturarbeit, ganz zu schweigen von politischer Selbstrepräsentation, auch wenn dies oftmals der Grund für die Organisationsgründung war, maximal durch einmalige Preise finanzielle Beachtung finden. Die damit verbundene Neuordnung von Selbstorganisationen führt in nicht wenigen Fällen zu einer Entpolitisierung und zu straffen, hierarchischen Strukturen. Es bleibt die Forderung nach einer Grundfinanzierung für alle Selbstorganisationen. Und es bleiben Herausforderungen an AkteurInnen in Selbstorganisationen: Wie das Widerständige kontinuierlich erhalten und erzeugen? Wie sich als Selbstorganisation weiterdenken, ohne in die Falle neoliberaler Entwicklungen und Logik zu geraten? Wie sich zwischen der Überzeugung eines Rechts auf Subventionen und dem Trend zur verstärkter Kontrolle seitens der SubventionsgeberInnen positionieren?

Nicht zuletzt angeregt durch die Beteiligung an der oben erwähnten Partnerschaft versucht maiz sich mit diesen und weiteren daraus resultierenden Herausforderungen zu beschäftigen, sowohl auf einer internen Ebene der Reflexion als auch im Austausch mit interessierten Gruppen. Als Ergebnis dieser Auseinandersetzung planen wir gemeinsam mit anderen Selbstorganisationen für dieses Jahr eine Reihe von öffentlichen Veranstaltungen zum Thema. Selbstorganisation und Kontrolle.

Dieser Text dient u.a. als eine Einladung an Selbstorganisationen zur Beteiligung am Prozess der Vorbereitung des Programms! 6

Ariane Sadjed, Marion Stöger und Rubia Salgado sind Mitarbeiterinnen von maiz für das Equal Modul empica.

1 Selin Prakash-Özer, Ariane Sadjed, Marion Stöger (2005): Anforderungen an antirassistische Bildungsberatung – Bedarfsanalyse und Ressourcen. (Studie erstellt im Rahmen des Projekts empica von maiz – http://www.maiz.at/cms/upload/pdf/Bildungsberatung.pdf 2 Die Entwicklungspartnerschaft wip – work in process – migrantische Selbstorganisationen und Arbeit wird von der IG Kultur Österreich finanzverantwortlich, von maiz inhaltlich koordiniert und von BMWA und ESF im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative Equal gefördert. Im Rahmen von wip führt maiz das Projekt empica – Empowerment through Improvement of Counsellors Activities durch. Informationen zur Partnerschaft: www.work-in-process.at 3 mailto:maiz@servus.at 4 www.isw-institut.de/lehre/ws2005/Selbstorganisation.pdf 5 Kaufmann, Stefan (2004): Netzwerk. in: Bröckling, Ulrich / Krasmann, Susanne / Lemke, Thomas (Hg.): Glossar der Gegenwart, Frankfurt a.M, S.186. 6 Kontakt: Rubia Salgado / mailto:maiz@servus.at