Niemals gender ohne studies!

Alles gender – alles roger? fragt Hanna Schatz

 

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Obwohl es scheinbar überall ist, ist es irgendwie schwer zu fassen, dieses Gender. Es hat seinen Ursprung in den feministischen Wissenschaften, in der Frauenpolitik, in der feministischen Entwicklungspolitik. Die Europäische Union hat sich zum Prinzip Gender Mainstreaming bekannt, genauso die Österreichische Bundesregierung und das Land Oberösterreich. Jeder Betrieb, der etwas auf sich hält, hat eine Gender-Beauftragte oder, wie das Land Oberösterreich einen Gender-Beauftragten. Leitlinien und Broschüren entstehen zuhauf und scheinbar überall wird irgendetwas von irgendwem „gegendered”.

Gender hat Einzug in den politischen Mainstream gehalten. Frauenpolitik scheint passé, Gender- oder Geschlechterpolitik in, feministische Politik ein Unwort. Betrieben wird sie nicht mehr von engagierten Frauen unterstützt durch Erkenntnisse feministischer Wissenschaft, sondern von allen. Untermauert einzig durch den unerschütterlichen Glauben an sich selbst. Ich bin Frau oder Mann, deshalb weiß ich Bescheid.

Die Auswirkungen sind fatal: „Gender Mainstreaming bedeutet in allen Politikbereichen, auf allen Ebenen bei sämtlichen Entscheidungen die unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen von Frauen und Männern wahrzunehmen und auf die Gleichstellung der Geschlechter hinzuwirken.” So, oder so ähnlich lauteen die Definitionen des Gender Mainstreaming in Infobroschüren, die in den letzten Jahren leicht abgewandelt für den jeweiligen Einsatzbereich im Überfluss produziert wurden.

Das heißt: Frauen und Männer sind gänzlich verschiedene Wesen mit unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen. Diese Unterschiede gilt es zu suchen und festzumachen, damit sie bei Entscheidungen, egal in welchem Bereich und von wem sie getroffen werden, in jedem Fall Berücksichtigung finden können. Großartig!

Je einfacher, umso besser. Das bringt Klarheit. Die einen sind so, die anderen so. Die einen gebären Kinder, erziehen sie, leben mit ihnen, bewegen sich mit ihnen. Die anderen nicht. Deshalb: Gender Housing als kindgerechtes Wohnen, eine große Errungenschaft für die Frau. Oder: Gender und Mobilität: Öffentliche Verkehrsmittel müssen ebenso wie Gehsteige kinderwagengerecht sein! Endlich! Alles für die Frauen, versteht sich!

Rollenbilder und Zuschreibungen werden zementiert, Lebensumstände wie selbstverständlich einem Geschlecht zugeschrieben. Alle Frauen und nur Frauen kümmern sich um Kleinkinder und das das ganze Leben lang. Wenn sie gerade nicht mit den Kindern in der „gendergerechten” Wohnung sitzen, schieben sie die Kleinen in Kinderwägen auf „gendergerechten” Gehsteigen herum. Das klingt ganz so als wären wir nicht im Jahr 2006, sondern in den 1950ern. Abgesehen von den „gegenderten” Wohnungen und Gehsteigen, natürlich. Frau unzertrennbar verbunden mit Kind und Heim. Gender sei Dank!

Weil ich ein freundlicher Mensch bin, glaube ich, dass solche Dinge nicht auf Böswilligkeit, sondern auf fehlendem Wissen beruhen. So etwas kommt eben heraus, wenn gerade die für „Genderpolitik” stehen, für die Frauenund Familienpolitik dasselbe bedeutet und ausgerechnet die „Genderen”, an denen die letzten fünfzig Jahre Frauenbewegung ebenso spurlos vorbeigegangen sind, wie die letzten dreißig Jahre feministische Wissenschaft.

Es kann aber auch das Ergebnis von „gut gemeint” sein: „Das ist wichtig, das machen wir. Kosten darf es nichts. Macht nichts, können wir eh selber.” So wie es für andere achbereiche selbstverständlich ist, brauchen auch frauen-, geschlechter,- oder genderspezifische Maßnahmen nicht nur guten Willen, sondern fundiertes Wissen, weil sie sonst ganz oft das Gegenteil des Gewollten bewirken.

Niemals Gender ohne Studies! Auch wenn das bedeutet, dass die Definition von Gender Mainstreaming so, oder so ähnlich lauten müsste:

„Frauen und Männer gibt es nicht. Das, was wir darunter verstehen ist gesellschaftlich konstruiert. Bei allen politischen Entscheidungen ist auf die Auflösung von Geschlecht hinzuwirken, weil es im Grunde nicht bedeutender ist, als blaue oder braune Augen zu haben.”

Alles gender, alles gut!?

Hanna Schatz lebt und arbeitet in Linz