„Die Migrantin“ gibt es nicht

Vlatka Frktetic schreibt über die Herausforderung neuer Feminismen.

 

Es ist schon lange bekannt und auch anerkannt und in unzähligen Artikeln erklärt, dass es “die Migrantin” nicht gibt. Trotzdem sind politische Inhalte auf “die Migrantin” ausgelegt. Instrumentalisierungen von Migrantinnen und Migranten für das Erreichen bzw. Legitimieren eigener politischer Handlungen und Ziele seitens Mehrheitsangehöriger sind Alltag.

Ich unterscheide, in Anlehnung an FeMigra Frankfurt, Migrantinnen im Sinne eines konzeptuellen Begriffs, der die politische Strategie von Migrantinnen bezeichnet, Migrantinnen im Sinne eines empirischen Begriffs, der gebraucht wird, um Menschen zu bezeichnen, die selbst, deren Eltern oder Großeltern migriert sind und von Ausländerinnen im Sinne eines Statusbegriffs, der bezeichnet, wozu Migrantinnen staatlicherweise gemacht werden. Über das Merkmal “Migrantin” sind Migrantinnen sofort klassifizierbar und die Reduktion und Funktionalisierung, die aus dieser Markierung entstehen, bilden einen im vorhinein festgelegten Rahmen für eventuelle (ermächtigende) Handlungsspielräume.

Interessant werden ermächtigende Handlungen im Rahmen politischen Handelns, abseits national oder regional bestimmter Räume, im Sich-Aneignen von ausgrenzenden Räumen, wie z.B. feministischen Mainstream-Theorien. Zwar gibt es mittlerweile Ansätze in Richtung Bearbeitung obiger Sachverhalte, die von migrantischer Seite her nur ganz bestimmte Öffentlichkeiten erreichen. Im Mainstream antirassistischer und feministischer Arbeiten werden rassistische und diskriminierende Inhalte fast ausschließlich auf einer theoretischen, strukturellen Ebene analysiert und behandelt. Dieser Zugang aber vereinfacht bzw. ermöglicht das Ausblenden der persönlichen Verantwortung im ach so banalen Alltag.

Eine Herausforderung ist das Entwickeln neuer Analysekategorien in der feministischen Forschung. Sedef Gümen hat in ihrem Artikel “Frauen, Arbeitsmarkt und Einwanderungsgesellschaft – (k)ein Thema für die Frauenforschung“ den Zugang der feministischen Sozialforschung kritisiert, der die Kategorie der erwerbstätigen Frau binär dem erwerbstätigen Mann gegenüberstellt und von der Geschlechterhierarchie am Arbeitsmarkt ausgeht. Sie fordert eine Verschiebung des klassischen feministischen Diskurses: Nämlich eine Verschiebung von einer ausschließlichen Geschlechtsorientierung hin zu einer ineinandergreifenden, komplexen Matrix von Herrschaftsverhältnissen und Herrschaftsstrukturen. Andere (soziale) Kategorien der Differenz müssen in ihrer Interaktion mit der Kategorie Geschlecht berücksichtigt werden bzw. dass Geschlecht würde nicht mehr die grundlegende Differenzkategorie sein. Hier liegt die Herausforderung der Neuen Feminismen.

Was bedeuten Slogans wie “Frauen verdienen 40 % weniger als Männer!” oder “An der Universität Wien gibt es 5 % Professorinnen!” Welche Frauen sind gemeint? Welche Einschluss- und Ausschlussmechanismen sind hier gleichzeitig am Werk? Es geht um das Ausblenden der von Sedef Gümen geforderten Beachtung der komplexen Matrix von Herrschaftsverhältnissen und –strukturen. Die Rahmenbedingungen von Migrantinnen bleiben unsichtbar. Die Unmöglichkeit des Zugangs zu bestimmten Berufen/Arbeitsplätzen, bedingt durch die nicht gegebene formale Chancengleichheit wird verschwiegen. Wenn ausschließlich die Geschlechterhierarchie hervorgehoben wird, ist das eine ausgewählte Perspektive von Personen, die die Ressourcen haben, und sich diese Perspektive aus einer Selbstverständlichkeit ihres Handelns gewählt haben.

Es stimmt, dass mittlerweile keine Einführung in die feministische Theorie ohne den Absatz zu Differenzen unter den Frauen auskommt und diese dann auch auflistet, meistens sind es dieselben: Geschlecht, Ethnie, Klasse. Aber keine hat es meines Wissens geschafft, zumindest nicht im deutschsprachigen Raum, Analysekategorien zu entwickeln, die die Realität von Migrantinnen – insbesondere am Arbeitsmarkt – in ihrer Allgemeinheit und Besonderheit beschreiben könnten. Und das, obwohl Texte zu Frauen und Ökonomie mittlerweile meterlange Regale füllen.

Die alte Frage, wie komplexe Sachverhalte geschildert werden können in einem Gesellschaftssystem, das die Ursache dieses Sachverhalts ist, sich selbst aber nicht in Frage stellen will, ist immer noch unbeantwortet.

Vlatka Frketic