Soziale Bewegungen in Österreich, Klemens Pilsl legt uns das neu erschienene Buch von Robert Foltin ans Herz
Die seit 2001 vierteljährlich erscheinende Zeitschrift ?Grundrisse? ist eine der inhaltlich anspruchsvollsten und besten Zeitungen dieses Landes und, gelinde gesagt, ein Segen. Die ?Zeitschrift für linke Theorie und Debatte? ist zwar nicht immer einfach zu lesen, aber immer sehr lehrreich ? und von wie vielen Blättern kann man schon behaupten, nach dem Lesen merklich gescheiter zu sein als vorher (oder zumindest den Eindruck zu haben)? Im November 2004 erscheint erstmals ein Buch unter dem Label edition grundrisse: Robert Foltins ?Und wir bewegen uns doch. Soziale Bewegungen in Österreich?. Und ich sage euch: Das rockt!
Keine Bange: Diesmal legt Robert Foltin, der in den diversen im Internetz herumlungernden Lebensläufen einmal als ?immaterieller Arbeiter?, einmal als ?Linguist?, einmal als ?Publizist? und ein andermal als ?Intellektueller? bezeichnet wird, keinen schweren Theoriebrocken vor. Sondern: die überraschenderweise nicht kurze, sondern kurzweilige Geschichte der österreichischen außerparlamentarischen ?Linken? und ?sozialen Bewegungen?, unterfüttert von und eingebettet in die äußerst gelungene, knapp formulierte Sozialgeschichte des westlichen Kapitalismus (Fordismus, Postfordismus, Empire, …). Man möchte fast sagen: Ein bissi auch die Geschichte der Zweiten Republik von unten.
Auf die makrotheoretischen und makrohistorischen Einführungen soll hier nicht näher eingegangen werden, die Namen Halloway, Butler, Negri … sind hiermit im Sinne eines richtungsweisenden Namedroppings genannt. Viel interessanter scheint mir ja die österreichische Bewegungsgeschichte. Robert Foltin kennt/nennt sie alle: die Wiener AktionistInnen und Valie Export, die 68er und den Spartakus, die K-Gruppen, die Trotzkis, Spontis, Haus- und AubesetzerInnen, die KünstlerInnen, die Kindergruppenkinder und andere AnarchistInnen, die Hippies, die SteinewerferInnen, die KulturarbeiterInnen, das ASF, kurz: die Verführten und die VerführerInnen.
Behutsam und aus nächster Nähe (aber nie aufdringlich oder parteiisch) stellt Zeitzeuge Foltin die Szenen, Bewegungen, Gruppen und Einrichtungen vor, die sich seit jeher um eine Änderung der herrschenden Zustände im Sinne einer gesellschaftlichen Emanzipation bemühten. Dabei vermeidet er bürgerliche Kategorien (man nehme die leidige Gewaltfrage) oder mediale Schubladisierungen, sondern differenziert die Bewegung anhand ihrer inhaltlichen, historischen oder personellen Eigenschaften ? und das alleine macht das Buch lesenswert, weil authentisch. Kritik gibt es meiner Meinung nach in nur zwei Punkten: erstens der elendige (und für gelernte LinzerInnen und andere Provinznasen nicht überraschende) Wienbezug; natürlich war Wien immer schon der Brennpunkt sozialer, politischer und kultureller Auseinandersetzungen ? aber es ist ja nicht so dass es nicht auch in den Bundesländern zeitweilig ordentlich getuscht hätte, oder? Zweitens ist das jetzt vielleicht pingelig, aber Fragen der Methodik sollten erlaubt sein: Was ist eine (soziale) Bewegung? Diese zentrale Frage der Bewegungslehre umschifft der Autor, seine Definition dürfte aber eine sehr weite sein, schließlich beschreibt er auch Szenen und sogar Institutionen damit. Mir bleibt in dieser Sache aber der zarte Eindruck einer gewissen Beliebigkeit.
Letztendlich: Das Buch passt nicht nur thematisch super zum KUPF-Innovationstopf 2005, sondern auch praktisch unter alternative Christbäume und in fortschrittliche Hausbibliotheken. Mit Sicherheit wird das Buch innerhalb kürzester Zeit zum Standard- und Nachschlagewerk für radikale österreichische Bewegungsgeschichte werden, mit Sicherheit auch gerechtfertigt. Und weil Subkultur und freie Szene so was Feines sind, kauft man das Buch am besten im Infoladen.
Klemens Pilsl
Robert Foltin: Und wir bewegen uns doch. Soziale Bewegungen in Österreich. edition grundrisse, Wien 2004. 352 S., E18,- ISBN: 3950192506. check out: www.grundrisse.net
Erhältlich u.a. im KV Infoladen Treibsand, Rudolfstr.13, 4040 Linz-Urfahr (www.servus.at/treibsand) oder im KV Infoladen Wels, Spitalhof 2, 4600 Wels (www.linkslinxooe.at/infoladen.html). Im Infoladen Wels findet am 06.01.04 (19:00) eine Werkpräsentation mit Robert Foltin statt.