„Marx für Eilige“ hat Klemens Pilsl gelesen.
„Marx für Eilige“. Interessanter, aber zuerst nicht sonderlich überzeugender Titel. Zumal Geduld, Ausdauer und stapelweises Studium von Sekundärliteratur als beste Eigenschaften und unumstößliche Voraussetzungen der gelernten (d.h. meist g´studierten) MarxianerInnen gelten. Aber weil man weder über Geduld, noch Ausdauer, geschweige denn Lust auf Sekundärliteratur verfügt, kauft man es dann doch. Und lässt es erst mal ein paar Tage am Schreibtisch herumliegen, das Buch.
Robert Misik ist in Österreich und überhaupt im deutschsprachigen Raum kein Unbekannter: Neben seiner Tätigkeit als Journalist (Falter, profil, taz, etc.) hat er sich auch als Autor von politischen Büchern durchaus Respekt erarbeitet („Mythos Weltmarkt“, „Die Suche nach dem Blair-Effekt“, und natürlich „Republik der Courage. Wider die Verhaiderung“, etc.). Erst letzten Dezember führte er mit Paul Lendvai via „Standard“ ein vielbeachtetes und hitziges Gefecht über den (gar nicht so neuen) Antisemitismus in der so genannten Antiglobalisierungsbewegung. Misik schreibt ein ungewöhnliches und fesselndes Werk über Marx. Er verknüpft die inhaltliche Aufbereitung der wichtigsten Marx’schen Gedanken mit (manchmal auch recht lustigen) biographischen Elementen aus dem Leben Marxens und einer Vorstellung seiner wichtigsten Werke.
Beginnend beim Schlagwort „Entfremdung“ hangelt sich Robert Misik über den Historischen Materialismus, über den Marx’schen Moralbegriff und über Marx’sche (Anti-)Utopie bis zu Marxens Lebenswerk, dem „Kapital“. Mit einfachen Worten skizziert er die Grundgedanken, ohne dabei Irrtümer und Kritik zu verheimlichen, und versucht engagiert, Marx’sche Theorie in den Kontext der Gegenwart zu setzen. Misik verheimlicht dabei gar nicht seine tiefe Verehrung für den großen Denker, setzt ihn aber durchaus heftiger Kritik aus und zeigt auch dessen Schwächen schonungslos auf – besonders gelungen etwa beim Thema „Wertgesetz/Mehrwert“, eine der umstrittensten, sogar verlachtesten und für viele fehlerhaftesten Theorien des Karl Marx, die eine Hauptthese Marx’scher Ökonomie darstellt. Misik listet die berühmtesten bzw. bekanntesten KritikerInnen von links bis rechts auf und erläutert ihre Kritik. Er selbst gesteht dem „Wertgesetz“ zu, „etwas grob zugehauen“ zu sein und betont gelungen seine idealtypische Bedeutung, quasi für einen wissenschaftlichen Reagenzglas-Kapitalismus. Aufgelockert werden die schwer verdaulichen (so ist das mit Marx nun mal) Brocken durch Biographisches: Misik entlarvt Marx als sturen, dickköpfigen, herrschsüchtigen, arroganten und zutiefst bürgerlichen Möchtegern-Revolutionär, bescheinigt ihm aber auch positivere Rollen als liebevoller Vater oder vor allem als außergewöhnlicher, ja genialer Literat. Es ist witzig zu lesen, wie Marx in Briefen über den „Arsch-Positivismus“ schimpft oder Stress mit dem schuldeneintreibenden Fleischhauer bekommt.
Robert Misik gelingt es, den Bogen zu spannen von Marx zu Luhmann und vom englischen Stahlarbeiter der Industrialisierung zu New-Economy-Bankern, ohne dabei den Boden unter den Füßen zu verlieren oder sich gar in Ideologien zu verirren. Und das macht ihm so schnell keiner nach. Letztendlich geht es Misik wohl um eins: nicht Marx oder gar Marxismus zu predigen, sondern ihn als einen der brillantesten Philosophen und Wissenschafter der Moderne zu würdigen. Marxens Ökonomie ist bis heute – trotz allem – eines der klarsten und reinsten Theoreme der modernen Wissenschaft. Mit Marx begann die Moderne, sich selbst zu kritisieren. Marx prognostizierte Kapitalismus und sogar Globalisierung zu einer Zeit, als es außerhalb von England kaum größere Fabriken gab. Und schuf letztendlich – kritisch orientiert an Hegel – eine Methode und Art des Denkens, deren Aktualität seitdem nicht mehr verblasste. Misik schreibt: „Marx lesen ist ein Heilmittel gegen positivistische Borniertheiten, gegen alle letzten Wahrheiten. … Denken, daß an Marx geschult ist, ist gegen habituell-konservative Verzagtheiten ebenso immunisiert wie gegen monokausale Simplifizierungen und damit gerade für unsere vielfach interdependenten Gesellschaften die Bedingung eines jeden Erkenntnisprozesses.“ Und damit hat er verdammt noch mal recht.