Durch-Haus

Bettina Mayr-Bauernfeind berichtet über ein unkonventionelles Buchprojekt.

 

Gemeinsam mit vier behinderten Frauen vom Diakoniewerk Gallneukirchen realisierte Iris Hanousek-Mader ein unkonventionelles Buchprojekt. Ein Buch, das sehr persönliche Einblicke in das Leben behinderter Frauen gewährt und zugleich von der Entwicklung der Behindertenhilfe in den letzten 30 Jahren erzählt.

Die Idee für das Buch entstand 1998. In diesem Jahr feierte die Waldheimat, ein Wohnhaus für behinderte Frauen in Gallneukirchen, ihr 30-jähriges Bestehen als Einrichtung der Behindertenhilfe. Die Geschichte des Hauses reicht jedoch viel früher zurück. Unmittelbar nach dem Ende des ersten Weltkrieges wurde im ehemaligen Stationsgebäude der Pferdeeisenbahn Linz-Budweis ein Heim für – wie es damals hieß – „gefallene“ Mädchen untergebracht. Später entwickelte sich daraus auch eine Haushaltungsschule, die bis Mitte der 60er Jahre betrieben wurde. Immer schon war die Waldheimat auch Heimstätte für behinderte Frauen. Als Behinderteneinrichtung tatsächlich anerkannt und damit auch vom Land finanziell unterstützt wurde sie erst ab 1968.

Vor vier Jahren wurde die Theaterwissenschafterin und Mitarbeiterin der Kunst- und Kulturgruppen des Diakoniewerkes Iris Hanousek-Mader von der Heimleitung gebeten, gemeinsam mit den in der Waldheimat lebenden Frauen, einen kreativen Beitrag für das Jubiläum zu gestalten. Es entstand eine Broschüre, in der sieben behinderte Frauen aus ihrem Leben erzählten. Dieses Projekt war Motivation ein eigenes Buch herauszugeben, ein Buch über das Leben in der Waldheimat. Kürzlich ist dieses Buch unter dem Titel „Durch-Haus“ erschienen.

… Zu Weihnachten spielten wir ein Hirtenspiel und die ganze Familie war eingeladen. Sabine, meine Schwester konnte die Maria spielen, da sie sich beim Textlernen leicht tat und ich spielte den Hirten, da hatte ich nicht soviel Text zu reden …

Das Buch ist in drei große Kapitel gegliedert, unter dem Kapitel Lebensgeschichten erzählen behinderte Frauen aus ihrer Kindheit, Schulzeit, sie berichten über Erfahrungen mit ihrer Umwelt, die Gründe warum sie in die Waldheimat gekommen sind, ihre Arbeit und das Zusammenleben in der Waldheimat. Berührende Erzählungen über gesunde Geschwister, Hänseleien in der Schule, Schwierigkeiten mit dem Tempo anderer mithalten zu können, Versuche in das Leben draußen wieder einzutauchen, über Freundschaft, Wünsche, gesteckte Ziele und kleine Erfolge, wie etwa eine Biskuitroulade zu backen, sich selbst Kleidung zu kaufen oder mit dem Bus nach Linz zu fahren. Aber auch sehr ungeschminkte Geschichten über das Zusammenleben in der Waldheimat. Über Reglementierungen und persönliche Einschränkungen, die ein Heimleben nach sich zieht und die vor 20 Jahren noch wesentlich stärker ausgeprägt waren als heute.

Im zweiten Kapitel kommen derzeitige und ehemalige MitarbeiterInnen zu Wort. Sie berichten über ihre Motivation in der Waldheimat zu arbeiten, über den Arbeitsalltag und wie sie von ihrer Arbeit mit behinderten Menschen profitieren. In den Erzählungen ehemaliger Mitarbeiterinnen wird die Entwicklung der Behindertenhilfe offenkundig. Die Geschichten der Pionierinnen reichen bis in die Zeit nach den beiden Weltkriegen zurück. Schwierige soziale Bedingungen, Geld- und Personalmangel führten zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Mit Auftragsarbeiten wie Wäsche waschen für das Krankenhaus Linz oder dem Betreiben eines Gästehauses versuchte man sich über Wasser zu halten. Diese Lebensbedingungen verursachten bei den Bewohnerinnen und bei den Mitarbeiterinnen seelische und körperliche Nöte. Bemerkenswert an den Geschichten ist, dass die Autorinnen sehr offen und ungeschminkt über diese Zeit berichten. Negatives, wie demütigende Erziehungsmethoden oder Misserfolge, schwierige Themen wie Verhütung und Schwangerschaft, werden nicht ausgespart. Das macht das Buch so sympathisch. Insgesamt erzählen 19 Autorinnen ihre Verbindung zur Waldheimat. Die Geschichten wurden von allen Frauen selbst verfasst oder in Interviewform auf Tonband aufgenommen und zeitlich geordnet niedergeschrieben. Ein mutiges Buch über das Leben behinderter Frauen, über die Entwicklung der Behindertenhilfe in OÖ und über eine Einrichtung, die sich zu ihrer Geschichte zu stehen traut.

Bettina Mayr-Bauernfeind