Bewusstseinswandel im Museum?

Nach Tomatensuppe auf van Gogh und Kartoffelbrei auf Monet landete Mitte November schwarze Farbe auf dem Schutzglas vor Klimts Tod und Leben im Leopold Museum in Wien. Katharina Serles sprach mit Florian Wagner, einem der beiden ausführenden Aktivisten von Letzte Generation Österreich, über die Aktion und ihren Hintergrund.

Katharina Serles: Seit wann und wieso engagierst du dich aktivistisch für das Klima?

Florian Wagner: Ich habe Agrarwissenschaften studiert und dann einen Master in Politischer Ökonomie gemacht. Eine Zeit lang habe ich in der Landwirtschaft auf deutschen Demeter-Höfen gearbeitet und dort Leute kennengelernt, die sich für direkte Demokratie einsetzen, quasi in Nachfolge des Aktionskünstlers Joseph Beuys. Dort gibt es z. B. einen OMNIBUS für direkte Demokratie, der verschiedene Initiativen unterstützt und versucht, Volksabstimmungen auszulösen. Ich teile die Ideen von Beuys oder auch Kelly Sachs und die Vorstellung, dass jeder Mensch teilnehmen sollte an der Gestaltung der Sozialen Plastik: daran, wie wir unsere Zusammenarbeit und die gesellschaftliche Versorgung organisieren. Ich finde, es braucht viel mehr kollektive Entscheidungen und Willensbildungsprozesse. 

Was war die Initialzündung für dein ‘radikaleres’ Engagement?

Meinen Optimismus verloren habe ich, als der Donaustädter Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy am SPÖ-Parteitag Klimaschützer*innen als “Heisln” bezeichnete und die Genoss*innen applaudierten. Da ist mir klar geworden, dass den Berufspolitiker*innen das Problem überhaupt nicht bewusst ist und man es ihnen deswegen auch nicht überlassen darf. Ungefähr zur selben Zeit war ich bei einem Vortrag von Martha Krumpeck, Molekularbiologin und Klimaaktivistin, die mich mit ihrer Vernunft und mit der Stringenz, mit der sie ihre Argumente vorbrachte, überzeugte. Ich habe dann eine Zeit lang Pressearbeit für sie gemacht und gelangte so zur Letzten Generation

Wie organisiert ihr euch denn in diesem Kollektiv?

Anders als die FPÖ, die der Meinung ist, wir seien in autonomen Gruppen organisiert, wie Guerilla-Kämpfer*innen oder Terrorzellen, gibt es inzwischen sieben Menschen im Kernteam: Hier laufen die Fäden zusammen und werden die Ideen ausgebrütet. Dann gibt es Arbeitsgruppen für Pressearbeit, Mobilisation oder Community, in denen sich verschiedene Leute in unterschiedlicher Intensität engagieren. Grundsätzlich sind wir nicht komplett soziokratisch aufgebaut, es gibt Entscheidungshierarchien. 

Und wer ist am Ende verantwortlich?

Im Unterschied zu Extinction Rebellion, die versucht, als Organisation aufzutreten und die Identität von Personen zu schützen, nehmen wir die vollen Konsequenzen individuell in Kauf. Wir haben bei Aktionen immer einen Ausweis dabei und identifizieren uns. 

Was passiert, wenn ihr angezeigt werdet?

Die Strafen zahlen wir erst einmal nicht. Wir haben einen Rechtsanwalt, der die Bescheide beeinsprucht. Höchstwahrscheinlich wird das Leopold Museum mich privatrechtlich wegen Sachbeschädigung anzeigen. Allerdings entstanden keine Schäden, es könnte höchstens der Aufwand für die Reinigung in Rechnung gestellt werden. Wir argumentieren auch, dass wir friedlichen Widerstand bzw. zivilen Ungehorsam leisten. Diese Klimakrise ist ein solcher Notstand, dass er die gelinden Mittel, die wir anwenden, rechtfertigt. 

Wie kam es zur Auswahl der Aktion im Leopold-Museum am besagten Tag?

Sowohl Titel des Bildes, Tod und Leben, als auch die Tatsache, dass die OMV an jenem Tag den Eintritt ins Leopold Museum für alle Besucher*innen sponsert, waren ausschlaggebend für unsere Entscheidung. Durch das Wissen von Martha Krumpeck als Molekularbiologin und Caroline Thurner als Chemikerin, beide aktiv in der Letzten Generation, konnten wir außerdem eine ölartige Flüssigkeit herstellen, die einen neutralen pH-Wert hat und gut abwischbar ist. Und dann haben wir noch abgeklärt, ob dem Bild wirklich nichts passieren kann: Als feststand, der Glaskasten steht links und rechts über, befindet sich zehn Zentimeter vor dem Bild, ist von unten geschlossen und rechts vom Bild hängen keine anderen Kunstwerke, habe ich gesagt: “Okay, ich mache das.”

Was war oder ist das Ziel dieser Aktion?

Ich glaube, eines, das bereits erreicht wurde: Mit unserer radikalen Intervention zeigen wir, dass die Krise nicht so diskutiert wird, wie sie diskutiert werden müsste. Die verständnislosen Reaktionen machen deutlich, dass die Menschen das Ausmaß der Klimakrise überhaupt nicht begriffen haben. Das ist für mich ein erster Schritt in Richtung Bewusstseinswandel.

Was entgegnest du der Kritik, der Anspruch sei richtig, nicht aber die Protestform?

Das ist eine Glaubensfrage. Niemand kann an dieser Stelle wissen, welche Protestform die beste ist. Hier werden Bewusstseins- bzw. soziale Prozesse angestoßen, die so komplex sind, dass niemand absehen kann, welche Auswirkungen das haben wird. Wenn ich etwas unternehmen will und einen Weg finde, den ich für gut halte, an den ich glaube, dann sollte ich es machen. 

Was ist für dich eigentlich das Radikale an dieser Aktion?

Radikal in dem Sinn, dass sie an die Wurzel geht, also dass wir mit ihr zum Beispiel die Organisationen treffen, die umschwenken müssen, ist sie nicht. Die Museen sind eindeutig nicht das Ziel unserer Kritik oder Forderungen. Wir adressieren das Bewusstsein der Menschen. Klar werden soll, dass und wie wir unsere Lebensgrundlage zerstören. Mir wurde rückgemeldet, dass bei einigen seelisch etwas in Bewegung kam, als sie sahen, wie über diesen wunderbaren Klimt die Ölfarbe herunter rann. Der erste Schock wandelte sich angesichts der Glasscheibe dann in eine Frage: Wenn es nicht um Zerstörung der Kunst geht, warum tun die das dann? Und eigentlich liegt es auf der Hand: Wir treten damit ein gegen die Zerstörung der Natur, die leider nicht schockiert.

Immerhin schockiert zumindest die vermeintliche Zerstörung der Kultur. Hat dich etwas überrascht an den Reaktionen? 

Vielleicht diese gigantische, mediale Präsenz auf der ganzen Welt. Nach der Tomatensuppe auf van Gogh und dem Kartoffelbrei auf Monet hat die Aktion im Leopold Museum noch einmal höhere Wellen geschlagen. 

Gibt es schon Pläne für eine nächste Aktion?
(lacht) Das darf ich nicht verraten. Wir haben uns aber subversive Reverse-Aktionen überlegt: Vielleicht wäre es interessant, uns vors Leopold Museum zu stellen, den Eingang zu blockieren und zu sagen: “Es ist zu gefährlich, Leute zu den Gemälden zu lassen. Das ist eine Bedrohung. Wir wollen die Gemälde schützen.”