Es ist eine laute Welt, auch in schönen und guten Zeiten. Für die Gegenwart trifft letzteres nicht zu. Neben Klimakrise und Pandemie erschüttert uns der Krieg. Und obwohl wir die Folgen dieser Ereignisse noch nicht gänzlich absehen können, gelingt uns eines offenbar sofort: uns eigene Meinungen zu bilden und jene der anderen zu verurteilen. Gerne lautstark und polemisch. Wie soll mensch auch sachlich bleiben, in Anbetracht des Gesamtzustandes der Welt? Es muss doch eine Seite gewählt werden, egal zu welchem Thema. Ja oder nein, so einfach ist es. Mit Grauzonen halten wir uns nicht lange auf, denn wir sind empört – im Kollektiv, im Bus, am Arbeitsplatz und beim Networking erst recht. Wer nicht ständig unter Strom steht, wirkt verdächtig.
Smalltalk wird so zunehmend zu big-emotional talk. Statt übers Wetter plaudert das Gegenüber munter darauf los, wie schlimm die Zeiten nicht seien und wie schlecht es einem selbst dabei ergehe. Zuhörende fragen sich während dieses monologartigen Gefühlsausbruches, wie gut sie diese Person eigentlich kennen. Will und muss ich das alles wissen? Ist es wirklich notwendig, dass das Gegenüber mich mit seinen Emotionen derart überschüttet? Wie empathisch muss ich reagieren? Es stellt sich darüber hinaus die Frage: Darf ich das Rauslassen von Gefühlen kritisieren, wo öffentlich geäußerte Emotionen doch jahrzehntelang skeptisch beäugt und abwertend als “typisch weiblich” konnotiert wurden?
Es ist eine laute Welt. Eine, in der die aufmerksame Lektüre einer Tageszeitung ausreicht, um nicht nur oberflächlich, sondern tiefgreifend erschüttert zu sein. Während die einen Position beziehen und ihre Emotionen dazu preisgeben, suchen die anderen vergebens nach sicheren Orten, abseits der Gräuel der Welt. Nicht, weil es egal wäre, aber weil es Grenzen des Zumutbaren gibt. Grenzen, die vor lauter Empörung der anderen wieder und wieder überschritten werden. Und so entwickelt sich eine Sehnsucht nach einer Zeit, als Gefühle noch als etwas Privates, Schützenswertes galten, verborgen hinter gesellschaftlicher Etikette und der hohen Kunst oberflächlicher Austauschfloskeln.