Musik kann den Zugang zu Gefühlen erleichtern und beim Ausdrücken von Emotionen helfen. Das lässt sich sowohl in der Therapie als auch im kreativen Arbeiten nutzen. Musiktherapeutin und Musikerin Johanna Schmid im Interview mit Florian Walter.
Was ist Musiktherapie?
In der Musiktherapie wird Musik dazu genutzt, um psychische Leidenszustände oder Störungen zu behandeln. Aufbauend auf einer therapeutischen Beziehung können innere Prozesse im musikalischen Dialog hör- und erfahrbar werden. Meist bedeutet das, sich mit Emotionen, Stimmungen und Bedürfnissen auseinander zu setzen, die schwer in Worte zu fassen sind.
Braucht es dazu irgendein Vorwissen?
Ein zentrales Credo der Musiktherapie ist, dass man weder Vorerfahrung mitbringen noch musikalisch sein muss. Es reicht die Bereitschaft, auf leicht spielbaren Instrumenten zu improvisieren und das Erlebte in einer gemeinsamen Reflexion einzuordnen.
Was passiert in einer Therapiesitzung?
Meist werden in einem Erstgespräch gemeinsame Therapieziele erarbeitet. Das kann eine bessere Selbstwahrnehmung, die Stärkung des Selbstwerts oder eine Förderung der Beziehungsfähigkeit sein. Bei Menschen, die sich schwerer tun ins Gespräch zu kommen (z.B. aufgrund von Demenz), erfolgt der Einstieg direkter: über die Einladung zu einer gemeinsamen musikalischen Improvisation, das Singen oder Vorspielen eines Liedes, oder das gemeinsame Bewegen zu Musik. Der Musik folgt eine verbale Reflexion: Wie hat die Musik für mich geklungen? Wie habe ich mich selbst wahrgenommen? Welche Stimmungen oder Emotionen hat die Musik angesprochen? Was war gut, was war schwierig? Das Benennen und Beschreiben soll dabei helfen, Gefühltes in Worte zu fassen. Gerade das fällt vielen Klient*innen und Patient*innen im Alltag schwer.
In welchen Settings findet die therapeutische Arbeit statt?
Musiktherapie gibt es im stationären und im ambulanten Setting, auch Hausbesuche sind möglich. Ich selbst arbeite in der psychiatrischen Tagesklinik sowohl mit Einzeltherapien, die den Patient*innen Raum geben, sich mit ihren persönlichen Anliegen zu beschäftigen, als auch mit Gruppentherapien. Im Gruppensetting geht es mehr um Interaktion: Wie wirkt sich mein Handeln auf Andere aus? Wie klinge ich in einer Gruppe – im Hintergrund kaum hörbar oder macht es mir Spaß den Rhythmus anzugeben? Da geht es auch darum, sich in einem sicheren Rahmen in einer neuen Rolle selbstbestimmt ausprobieren zu können.
Welche konkrete Rolle spielen Gefühle in der Musiktherapie?
Eine sehr zentrale. Klänge, Töne und Lieder lösen manchmal völlig unerwartet Gefühle wie Trauer, Freude oder Sehnsucht aus. In der Musiktherapie laden wir Klient*innen und Patient*innen dazu ein auszuprobieren, was verschiedene Töne oder Songs mit ihnen machen. In der Akutpsychiatrie kann es oft ein Klang sein, der in einer sehr schwierigen Lebensphase Orientierung und Halt gibt. Etwas, das gerade gut tut, angenehm ist, Ressourcen wachrüttelt, beruhigt, stabilisiert und nicht zuletzt hilft, ein paar Minuten aktiv im Hier und Jetzt sein zu können.
Du hast die Demenz als Beispiel angesprochen. Wo sonst wird Musiktherapie angewendet?
In den verschiedensten Bereichen, etwa bei psychischen Krankheiten wie Depressionen, Traumafolgestörungen oder Essstörungen, in der Rehabilitation nach neurologischen Erkrankungen (z.B. Schlaganfällen), in der Krebstherapie und in der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen oder Entwicklungsstörungen. Aber auch im Bereich der Supervision, Prävention und Entwicklungsförderung wird Musiktherapie angewendet.
Wie beurteilst du Angebot und Bedarf an musiktherapeutischen Angeboten in Österreich?
Ganz generell hat die musiktherapeutische Versorgungslage noch Luft nach oben. In Österreich arbeiten derzeit rund 400 Musiktherapeut*innen, die meisten davon in Teilzeit, weil es kaum Vollzeitstellen gibt.
Nicht zuletzt die Pandemie hat aber gezeigt, dass der Bedarf groß ist, etwa im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie: Studien zufolge gaben im vergangenen Herbst mehr als die Hälfte der Jugendlichen mittelgradig depressive Symptome an. Ich würde mir wünschen, dass mehr Fördermittel in das Schaffen von neuen Musiktherapiestellen investiert werden, da gerade für junge Menschen Musik eine extrem wichtige Funktion zur Kanalisation von Gefühlen erfüllt. Man denke an Teenagerfrust, erste Liebe, Traurigkeit oder Konflikte mit Freund*innen und Eltern.
Du arbeitest nicht nur als Therapeutin, sondern machst mit deiner Band Fräulein Hona auch selbst Musik. Welche Rolle spielen Gefühle für dich als Künstlerin?
Musik und Songwriting sind für mich ein Mittel, Dinge zu sagen, die ihren Platz in der eigenen Welt noch nicht so recht gefunden haben. Eine Möglichkeit, die eigene Welt wieder gerade zu rücken, wenn sie einmal in Schieflage geraten ist. Ganz oft spielen intensiv erlebte Gefühle eine Rolle, hauptsächlich Trauer, Wut, Herzschmerz. Aber auch eine Lebenslust, wie man sie erlebt, wenn man wunderbare Tage und Nächte mit Freund*innen teilen darf.
Wie gehst du mit Gefühlen auf der Bühne um?
Ich versuche, sie offen zu kommunizieren oder in die Musik zu legen, soweit das geht. Manchmal kann das ganz schön hart sein, zum Beispiel, am Tag als meine Oma starb auf einer Bühne zu stehen, obwohl ich mich lieber backstage versteckt hätte. Recht spontan haben wir ein Stück neu arrangiert, uns einen Drummer „ausgeliehen“ und einfach wild traurig drauflos gespielt. Ich glaube das Publikum erfasst ganz genau, wenn einem ein Stück nahe geht und man einen Teil des eigenen Schmerzes in den Raum lässt. Es bedeutet mir viel, wenn wir Rückmeldungen dazu bekommen, dass manche Lieder Menschen über eine schwere Zeit geholfen haben. Das kommt immer wieder vor und ist das allerbeste Lob.
Ist Musik abgekoppelt von Gefühlen für dich vorstellbar?
Wenn ich an mein Musikwissenschaftsstudium zurück denke: definitiv. Ich habe mir allerdings immer eher schwer getan mit „kopflastiger“ Musik. Damit meine ich beispielsweise sehr technisch komponierte und analytische Musik wie die Zwölftonmusik. Rein musikalisch ist das interessant, aber wenn es um die musikalische Umsetzung geht, fehlt mir persönlich ein emotionaler Bezug. Aber ich denke, dass sie auch Projektionsfläche sein kann und somit eine wichtige Funktion haben könnte.