Eine halbe Seite Utopie

Ein Blick aus dem Jahr 2050 zurück auf eine Zeit, in der kleine Veränderungen der Förderlogik Entwicklungen zu einer besseren Welt begünstigt haben.

Zu Beginn der 2020er Jahre nahm Kapitalismuskritik Einzug in die Popkultur, das Genre „nature writing“ war auf Erfolgskurs, die Klimakrise im Mainstream angekommen. Diesen Trends zum Trotz war das Jahrzehnt geprägt von einem wilden Durcheinander konkurrierender Lösungsansätze aus diversen ideologischen Lagern, deren Vertreter*innen sich mit ihren hegemonialen Ansprüchen mitunter verbal-aggressiv und medial diskreditierend gegenüber standen. Diese Zustände wurden im Politischen fortgesetzt. Die gesellschaftliche Spaltung drohte einen neuen Höhepunkt zu erreichen, die Politik war ratlos. Inmitten dieser Weltuntergangstristesse gab das Kulturministerium plötzlich den Forderungen der Interessenvertretungen im Kunst- und Kulturbereich nach Fair Pay, Planbarkeit und mehr künstlerischer Freiheit im Entwicklungsprozess nach. 

Folglich mussten Förderrichtlinien angepasst werden: Jährliche Förderungen wurden gestrichen und durch drei- bis zehn Jahre andauernde Verträge ersetzt. Je länger eine Periode andauerte, desto mehr stand der künstlerische Prozess im Mittelpunkt der Antragstellung. Anstatt eines fertigen Produktes wurde prinzipiell die gesamte Projektentwicklung gefördert. Das Fördervolumen stieg. Richtlinien gab es nach wie vor, doch standen Innovation, Partizipation der Bürger*innen sowie eine kritische Auseinandersetzung mit gegenwartspolitischen Fragestellungen im Fokus. 

Diese Änderungen setzten seit ihrer Etablierung Anfang der 2030er Jahre einen Prozess in Gang, der bis heute andauert. Die neu gewonnene Freiheit und finanzielle Sicherheit der Künstler*innen führten anfangs zu einer Explosion an neuen Formaten. Durch das vielfältige und breite Angebot wurden Kunst und Kultur schnell zum fixen Bestandteil des Alltags der Menschen. Dies begünstigte zudem auch den Austausch zwischen scheinbar ideologisch verhärteten Fronten. Die kreative Auseinandersetzung mit gesellschaftsrelevanten Themen wurde zur Begleiterin in allen Lebenslagen. Nach und nach begann sich das Alltagsleben zu verändern und der öffentliche Raum wurde zum Ort der Begegnung. Es begann eine Auseinandersetzung mit der Frage nach einem guten Leben für alle.