Über Sexualität und den Austausch darüber, auch in Kunst und Kulturarbeit, sprechen Künstler*in und Aktivist*in Alice Moe und Birgit Hofstätter vom Frauenforum Salzkammergut mit Sigrid Ecker.
Sigrid Ecker: Alice, du machst Videos und Performances zu den Themen Identität, Non-Binaritäten und Fluidität von Geschlechterrollen. Was ist dir in deiner künstlerischen Thematisierung von Sexualität und Lust wichtig?
Alice Moe: Wir müssen lernen, uns selbst mehr zu vertrauen. Auch wenn wir in einer Gesellschaft aufgewachsen sind, in der Sexualität von Machtstrukturen, Gewalt und Gendernormen geprägt ist, können wir es schaffen, das zu finden, was wir begehren – und nicht übergriffig ist.
Wenn ich performe, versuche ich zu analysieren, an welcher Stelle ich unsicher gewesen und in gelernte Verhaltensmuster gerutscht bin. Vor allem aber will ich feststellen, wann der Moment war, an dem ich gemerkt habe: Jetzt lasse ich mich gehen, jetzt bin ich im Fluss. In meiner Identität und in meinem Schaffen spielt Fluidität eine große Rolle. Ich arbeite gerne mit Früchten oder mit Flüssigkeiten, weil es für mich in der Sexualität um Fluss geht. In meinem ersten Film hatte ich zum Beispiel ein Date mit einer Wassermelone. Fluidität bedeutet für mich vor allem, natürlich, instinktiv und einvernehmlich miteinander zu kommunizieren.
Das Frauenforum Salzkammergut hat heuer im Rahmen einer Ausstellung Gipsabdrücke von Vulven in Ebensee präsentiert. Wie kam es dazu?
Birgit Hofstätter: Als wir die Exponate der Künstlerin Gloria Dimmel bei einer Ausstellung im Frauenmuseum Hittisau sahen, haben wir uns gedacht: Wir wollen Vulva-Vielfalt zeigen. Ausgestellt haben wir über 200 Gipsabdrücke. Geplant war, die Ausstellung zu Beginn der Aktion 16 Tage gegen Gewalt an Frauen im November 2020 zu eröffnen. Dann kam der Lockdown. Wir haben überlegt, wie wir die Exponate trotzdem zugänglich machen können, und haben – zunächst ohne weitere Erklärung – einen Teil der Ausstellung in ein öffentliches Schaufenster mitten in Ebensee platziert.
Eines Tages hatten wir Schmierereien am Schaufenster und es entstand eine Diskussion, wie wir damit umgehen sollten. Ich war der Auffassung, wenn man das jetzt wegwischt, dann könnte uns unterstellt werden, dass wir nicht mit Kritik umgehen können. Deshalb habe ich meinem Neffen zwei Fensterstifte geklaut, sie dazu gehängt und gedacht: Schauen wir einmal, was passiert. Das Ergebnis war total schön – auf dem Fenster ist ein Dialog entstanden, mit Kommentaren für und gegen die Ausstellung. Als dann auch die lokalen Medien darauf aufmerksam geworden sind, entstand wirklich so etwas wie ein öffentlicher Diskurs aus Zeitungsberichten und Leser*innenbriefen.
Leider war nicht jede Kommunikation so zufriedenstellend. Es haben sich auch Frauen gemeldet, die gesagt haben: „Bitte tut das weg, wir fühlen uns gedemütigt.“ Ich hatte auch ein Gespräch mit einer Kritikerin, in dem ich mit meinen Argumenten über die gesamtgesellschaftliche Bedeutung nicht durchdringen konnte, weil es irgendwann nur noch um individuelle Befindlichkeiten ging.
Sexualität ist etwas Intimes, das durch Tabuisierung und Normierung politisiert und damit zum öffentlichen Thema wird. Wie werden heute Sexualitäten thematisiert?
AM: Während Penisse – auch als Kritzeleien im öffentlichen Raum – häufig sichtbar sind, haftet Vulven etwas Geheimnisvolles an. Das hat kulturhistorisch mit dem Patriarchat zu tun: Der Mann verfügt über die Sexualität seiner Frau, deswegen darf nur er die Vulva sehen. Spannend finde ich auch den kolonialgeschichtlichen Aspekt von Geschlecht. In manchen Weltregionen war es durchaus üblich, von fünf oder sechs Grundgeschlechtern auszugehen. Diese Vorstellung wurde dann vom weiß-christlich-katholischen Glauben als barbarisch gebrandmarkt: Es gibt nur zwei Geschlechter, Mann und Frau.
In meinen Workshops versuche ich, dies zu hinterfragen. Eine klar männlich oder weiblich definierte Rolle gibt natürlich Sicherheit. Ein Problem sehe ich aber vor allem darin, dass Menschen in ein Geschlecht gedrängt werden, ohne andere Optionen überhaupt kennengelernt zu haben; und dass sie zum anderen aus dem gewählten Geschlecht nicht mehr heraus dürfen. Geschlechterrollen sollten kein Gefängnis bedeuten, sondern ein Stützrad sein, bis man selbst fährt.
In der Auseinandersetzung mit Sexualität begegnen wir nicht nur Tabus, sondern auch einer Sexualisierung von Lebensbereichen, die eigentlich nichts mit sexueller Lust zu tun haben. Dies dient meist dem Zweck, Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen – Stichwort: Sex sells. Was denkt ihr darüber?
BH: Die Vermarktung von Sexualität macht mich vor allem als Sexualpädagogin traurig. Sexualität ist ein machtvolles Instrument, um sich selbst zu erleben. Sie beginnt für mich dort, wo man als Kind anfängt, den eigenen Körper zu spüren. Später verlernen manche den Kontakt zum eigenen Körper und zu diesen Sinneseindrücken, ganz im Sinne des Kapitalismus. Denn wer sich spürt, wird weniger kontrollierbar und das ist für eine kapitalistische Gesellschaft nicht wünschenswert. Genau deshalb müssen wir Sexualität neu erlernen.
AM: Das sehe ich genauso. Wir müssen zuerst alle unsere Bedürfnisse hinterfragen: Sind das wirklich meine, oder habe ich das einfach so gelernt? Ich nenne diesen Prozess ‚Detoxing‘. Danach geht es darum, einen selbstbestimmten Raum zu schaffen. Das ist gerade für Menschen wichtig, die von Sexualität leben – Stichwort Sexarbeiter*innen.
Wie wünscht ihr euch eine zukünftige Welt in Bezug auf Sexualität und Lust?
AM: Sexualität, Lust und Gefühle sind etwas Wunderschönes. Sie gehören in ihrer ganzen Diversität zum Erleben des Menschseins dazu. Ich würde mir wünschen, dass wir sie spielerisch, einvernehmlich und lustvoll gestalten können. Ohne Angst zu haben, ohne Druck zu verspüren.
BH: Wir sollten Sexualität als etwas Schönes kommunizieren, das uns als Menschen ausmacht. Da geht es um Nähe, da geht es um Spüren, um die Art und Weise, wie wir einander begegnen, auch im Alltag. Mein Wunsch wäre, dass wir viel, aber unaufgeregt darüber reden, und Lust zu einer normalen, aber schönen Sache für uns machen.