Wer Partizipation sagt, muss nach Machtverhältnissen fragen

Wie sich erfolgreiche Partizipationsprozesse gestalten, welche Eigenheiten sie im Kulturbereich aufweisen und wie es im Land Salzburg um kulturelle Teilnahme und Teilhabe bestellt ist, dem geht Thomas Philipp in einem Gespräch mit Anita Moser (Interuniversitäre Einrichtung Wissenschaft und Kunst) und Stefan Wally (Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen) nach.


Partizipation ist Krieg. Man betrachte nur die meisten Situationen am Arbeitsplatz, in der akademischen Welt und in Kulturinstitutionen. Jede Form von Partizipation ist bereits eine Form von Konflikt.

Markus Miessen, Albtraum Partizipation, 2012 


Thomas Philipp: Was ist Partizipation für euch?

Anita Moser: Partizipation ist eine Grundbedingung und ein Grundrecht demokratischer Gesellschaften. Die öffentliche Hand ist gefordert, diesem Grundrecht entsprechend Rechnung zu tragen. Es geht um Mitbestimmung und Teilhabe auf sehr unterschiedlichen Ebenen und in sehr unterschiedlichen Intensitäten.

Stefan Wally: Ich finde spannend, wie sich unser Verständnis von Partizipation verändert hat. In der Politikwissenschaft erleben wir, dass Partizipation immer häufiger nicht nur auf den Staat ausgerichtet ist, sondern auf das Gemeinwesen und das Zusammenleben im Allgemeinen. Beteiligung umfasst immer mehr Bereiche des Lebens und es ist kein Wunder, dass sie in den letzten 40 bis 50 Jahren auch im Kulturbereich immer wichtiger geworden ist.

Thomas Philipp: Teilnahme, Teilhabe, Beteiligung, Partizipation – es gibt viele verschiedene Begriffe, die oft synonym verwendet werden. Wo seht ihr die Unterschiede?

Stefan Wally: Teilnahme impliziert für mich, dass ein Stück der Macht von den Prozessgestalter*innen an die Teilnehmer*innen abgegeben wird, die dadurch Teilhaber*innen werden. Das ist der springende Punkt: Wie viel Macht wird delegiert? Natürlich gibt es keine Teilhabe ohne Teilnahme, aber es gibt in vielen Partizipationsprozessen leider die Erfahrung einer Teilnahme, ohne Einfluss auf das Ergebnis zu haben.

Anita Moser: Beteiligung suggeriert weniger Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum als Teilhabe oder Partizipation. Wir verwenden zumeist den Begriff der kulturellen Teilhabe, da er zum Weiterdenken anregt, etwa in Richtung eines Begriffs der „Ganzhabe“. Damit sind Fragen der Selbstbestimmung, der Definitionshoheit oder der Entscheidungsmacht angesprochen. Und noch weiter, um mit dem deutschen Autor und Migrationsforscher Mark Terkessidis zu sprechen: Teilhabe kann nicht ohne Teilgabe funktionieren, also ohne dem Abgeben von Privilegien.

Thomas Philipp: Wo liegt für euch die Grenze zwischen Partizipation und Schein-Partizipation?

Anita Moser: Das ist eine Frage, die im Kulturbereich viel diskutiert wird. Wenn ich als Akteur*in bei einem Kunstprojekt auserkoren wurde, um die Idee der Künstlerin bzw. des Künstlers umzusetzen, aber alle Entscheidungen bereits getroffen wurden und die Inhalte schon feststehen, dann würde ich das als Schein-Partizipation bzw. nach Grant Kester als symbolische Partizipation bezeichnen.

Stefan Wally: Die Pointe bei vielen Partizipationsprozessen ist ja die Frage danach, was das Ziel der Personen ist, die den Prozess aufsetzen. Wenn diese Ziele einmal offengelegt werden, dann wird klar, dass es ganz bestimmte Interessen gibt, die einer eigentlich sehr demokratischen Idee der Partizipation entgegenstehen. Es gibt zum Beispiel viele Partizipationsprozesse, die eigentlich das Ziel haben, einen Informationsgewinn für Institutionen zu erreichen. Ich lasse viele Personen partizipieren, um deren Wissen in meine Arbeit einfließen zu lassen. Andere Partizipationsprozesse dienen rein als Instrument zur Legitimation von bestehenden Strukturen.

Thomas Philipp: Was macht einen gelungenen Partizipationsprozess aus?

Anita Moser: Ein wichtiger Faktor ist Zeit. Wenn zu wenig Zeit ist, leiden die Prozesse sehr darunter. Auch der Raum ist immer ein Thema: Durch welche Räume wird von vornherein Ausschluss generiert? Wichtig ist außerdem, zu schauen, wer gerade mit welchen Bedürfnissen im Raum ist. Ein weiteres Kriterium ist Transparenz. Es sollte laufend kommuniziert werden, in welcher Phase sich der Prozess befindet, wie und warum Entscheidungen getroffen werden. Weitere Faktoren sind die breite Einbindung möglichst vieler Beteiligter, die Aushandlung der Zieldefinition und die Bereitschaft, sich gegenseitig zuzuhören, aufeinander einzugehen und Rollen und Perspektiven zu wechseln. Nicht vergessen werden sollte auch eine gewisse Ergebnisoffenheit. Gerade im künstlerischen und kulturellen Bereich ist es sehr wichtig, sich auf einen Prozess einlassen zu können, ohne bereits ein konkretes Ergebnis im Blick zu haben.

Stefan Wally: Angelehnt an das bekannte Format der Zukunftswerkstätten, könnten noch ein paar Prinzipien ergänzt werden. Es sollte immer wieder hinterfragt werden, wer die Betroffenen und wer die Beteiligten in so einem Prozess sind. Dann gibt es bestimmte Dinge, die einfach nicht im Konsens aufgelöst werden können, wo es dann darum geht, zu verhandeln und Kompromisse zu finden. Und die bereits von Anita angesprochene Transparenz kann auch so gedacht werden, dass bereits Erarbeitetes für die nächste Auseinandersetzung mit dem Thema auch offen gelassen werden kann.

Thomas Philipp: Inwieweit haben sich Partizipationsprozesse in den letzten Jahren verändert? Auf was muss etwa stärker als vor 20 Jahren geachtet werden?

Anita Moser: Die Gesellschaft ist deutlich heterogener geworden. Das wirkt sich auch auf Partizipationsprozesse aus, indem Themen wie Diversität oder Mehrsprachigkeit stärker präsent sind. Es wurde außerdem erkannt, dass Partizipation eine komplexe Angelegenheit ist, dass es sich um einen Prozess handelt, wo es in den einzelnen Phasen zu Überlappungen oder sogar zu gegenläufigen Entwicklungen kommt. Was in den letzten Jahren ebenfalls stärker in den Fokus gerückt wurde, sind Machtfragen: Teilhabe kann nicht funktionieren, wenn nicht auch grundsätzlich über Strukturen nachgedacht und an diesen gearbeitet wird. Die Transformation von Strukturen und Institutionen wäre ein sehr wichtiges Ziel von partizipativen Prozessen, vor allem auch im Kunst- und Kulturbereich.

Stefan Wally: Ergänzend würde ich noch hinzufügen, dass sich erstens Beteiligung in den letzten Jahrzehnten weniger auf den Staat konzentriert, auch weil dessen Macht angesichts konkurrierender ökonomischer und kultureller Entwicklungen für immer übersichtlicher gehalten wird. Zweitens können wir eine Stärkung der Partizipation im privaten zivilgesellschaftlichen Bereich wahrnehmen. Drittens sehen wir stärkere Partizipationsformen abseits des Staates, die direkt in die Ökonomie eingreifen, etwa ökonomische Projekte der Sharing Economy, Konsumboykotte etc. Viertens werden alle diese neuen Formen von Menschen dominiert, die ein bestimmtes Ausmaß an ökonomischem und kulturellem Kapital einbringen. Gerade in nicht-formalisierten Partizipationsprozessen sind Menschen ohne ausreichendem ökonomischen und kulturellen Kapital fast immer unterrepräsentiert.

Thomas Philipp: Was ist das Besondere, wenn es um Partizipation im Kunst- und Kulturbereich geht – abseits einer gewissen Ergebnisoffenheit, die hier ein wichtiges Kriterium ist?

Anita Moser: Es gibt die Möglichkeit, mit anderen Mitteln zu arbeiten. Es kann mehr experimentiert werden, mehr ausprobiert werden. Dabei scheint es mir wichtig, von einem kritisch-reflektierten Kulturbegriff auszugehen, denn das Feld ist ja an und für sich eher elitär und abgeschlossen, was von vornherein die Teilhabe erschwert. Interessant ist darüber hinaus, dass in Partizipationsprozessen im Kulturbereich sehr stark auf die Gestaltung des Programms oder auf das Publikum fokussiert wird. Was aber oft völlig außen vor bleibt, ist die Ebene des Personals. Gerade im Kulturbereich fände ich es aber wichtig, Partizipation auch auf dieser Ebene zu denken: Wie kann zum Beispiel die Leitungsebene diverser aufgestellt werden?

Stefan Wally: Wenn man sich Partizipationsprozesse im Land Salzburg in den letzten Jahrzehnten ansieht, ist es interessant, dass der Kulturbereich die stärksten Duftmarken gesetzt hat, wenn er auf die Straße gegangen ist, wenn es zu Besetzungen gekommen ist, wenn er – sehr weit weg von organisierten Partizipationsprozessen – sich selbst die Teilhabe genommen hat. Das war nicht immer von Erfolg gekrönt, hat aber immer zu großer Aufmerksamkeit und zu einer Verschiebung des politischen Diskurses geführt. Wahrscheinlich liegt es in der „Natur der Sache“, dass die Kunst- und Kulturszene für solche Aktionen bereiter ist als andere. Ich glaube, es ist zukünftig entscheidend, ob der Kunst- und Kulturbereich diese Attraktivität für junge Menschen hat, sich hier zu artikulieren, etwa in Verbindung mit Fragen der sexuellen Selbstbestimmung oder dem Eintreten für den Klimaschutz.

Thomas Philipp: Warum sollten Künstler*innen oder Kulturarbeiter*innen in einem Partizipationsprozess nicht fehlen? Welche Rolle können sie spielen?

Stefan Wally: Wir machen derzeit eine Kooperation mit dem Toihaus Theater Salzburg. Dabei geht es darum, wie wir uns zukünftige Welten vorstellen. Mit Robert Jungk sagen wir: In der Kunst kannst du bestimmte Dinge denken, die du sonst nie ansprechen würdest. Du kannst aus einer bestimmten Logik ausbrechen, du kannst experimentieren. Wir hatten Claudia Seigmann von theaternyx* mit ihrem Projekt über.morgen Salzburg 2050 zu Gast. Bei deren Audiowalks werden Menschen mit einer Art zu denken konfrontiert, die ihnen neue Ideen eröffnet. Via Kopfhörer von einer Stimme geleitet, hören und sehen die Teilnehmenden die Stadt Salzburg im Jahr 2050 und damit den urbanen Raum, wie sie ihn noch nicht erlebt haben. Künstler*innen zeichnen also oft unabhängig von einer bestehenden Logik neue Bilder, welche die Optionen für Menschen in Partizipationsprozessen erweitern.

Anita Moser: Aus der forschenden Praxis sehen wir generell, dass solche transdisziplinären Prozesse extrem befruchtend und wichtig sind. Für uns ist es sehr interessant, mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen zusammenzuarbeiten und gemeinsam Themen und Lösungen zu entwickeln.

Thomas Philipp: Der Kulturentwicklungsplan des Landes Salzburg wurde im November 2017 beschlossen. Er nennt Transparenz und Partizipation als zentrale Kriterien für die Erstellung. Wie habt ihr den Erstellungsprozess hinsichtlich dieser beiden Kriterien selbst wahrgenommen?

Anita Moser: Ich habe den Prozess tatsächlich sehr partizipativ und transparent wahrgenommen, gerade im Vergleich zu anderen Kulturentwicklungsprozessen in Österreich. Da ist sehr viel gut gelungen. Ich habe von Anfang an viele Informationen erhalten, auch die Aufrufe zur Beteiligung. Es hat wirklich auf den unterschiedlichsten Ebenen die Möglichkeit gegeben, sich einzubringen. Ich denke, es wäre vielleicht gut gewesen, im Prozess einmal kurz innezuhalten und zu schauen, ob die Gruppe der bereits Beteiligten noch vergrößert werden hätte können, ob nicht gewisse Akteur*innen vergessen wurden. Was im Prozess passiert ist und sehr wichtig war: dass sich so viele Akteur*innen transdisziplinär getroffen, kennengelernt und ausgetauscht haben. Schön wäre es hier, das fortzusetzen.

Stefan Wally: Ich habe es persönlich nicht so intensiv wahrgenommen wie Anita. Ich war am Anfang des Prozesses dabei und habe dann mitverfolgt, wie durchaus Transparenz gelebt wurde und ich nehme jetzt wahr, wie dieses Produkt ernst genommen wird. In Partizipationsprozessen sollte ja immer mitgedacht werden, ein Produkt zu gestalten, das dann auch Bedeutung hat. Das ist auf alle Fälle gelungen. Vielleicht hätte am Anfang noch ein wenig mehr nachgedacht werden sollen, wie Gruppen, die weniger zeitliche, finanzielle oder sprachliche Ressourcen haben, besonders unterstützt werden können, etwa Menschen mit Wanderungserfahrungen.

Thomas Philipp: In einem der 13 Kapitel widmet sich der Kulturentwicklungsplan des Landes Salzburg der kulturellen Teilhabe. Dabei wird vor allem auf die „Barrierefreiheit von und die Zugänglichkeit zu künstlerischen und kulturellen Angeboten und Aktivitäten für alle Menschen“ abgezielt. Inwieweit entspricht dies eurem Verständnis von Partizipation?

Anita Moser: Grundsätzlich ist es sehr wichtig, Barrieren und Zugänglichkeit unter Einbezug von Beteiligten in den Blick zu nehmen und zu verändern. Allerdings wird hier stark in Richtung Programm und Audience Development argumentiert. Das Abgeben von Macht und Privilegien ist darin nicht angesprochen. Insofern würde ich diesen Ansatz auch kritisch sehen und sagen, dass er zu wenig auf strukturelle Veränderungen abzielt.

Stefan Wally: Partizipative Prozesse haben für die Beteiligten oft eine recht klare Perspektive: Man bringt seine eigenen Interessen, Träume, Wünsche ein. Und das ist nicht dasselbe, wie den Wunsch nach einer partizipativen Transformation einzubringen. Das sind zwei verschiedene Ebenen. Partizipative Prozesse bringen keineswegs immer partizipative Gesellschaftsformen hervor. Nicht selten führen partizipative Prozesse im Gegenteil zu sehr formalisierten Strukturen. Aus der Vogelperspektive gesehen würde ich das daher nicht als überraschend einstufen, dass es zu solchen Widersprüchen kommt.

Anita Moser: Deswegen wäre mein Plädoyer, dass solche Prozesse auch weitergehen. Es ist ganz normal, dass aus der Distanz eines Jahres die Dinge wieder anders gesehen werden und andere Akteur*innen ins Spiel kommen. Da würde ich es spannend finden, dran zu bleiben und weiter zu arbeiten. Es fällt mir auf, dass sehr oft mit dem Kulturentwicklungsplan argumentiert wird. Auch wenn etwas kritisch angesprochen wird, ist die Antwort mitunter, dass das ohnehin im Kulturentwicklungsplan steht und breit verhandelt wurde. Hier wäre etwas mehr Offenheit in Richtung Weiterentwicklung gut.

Stefan Wally: Ergebnisse von Partizipationsprozessen nehmen idealerweise Institutionen in die Pflicht, die viel Macht haben. Sie sollen aber nicht die Menschen in die Pflicht nehmen, die partizipiert haben. Die Ergebnisse sollten wirklich als Instrument gesehen werden, um Macht umzuverteilen.

Thomas Philipp: Welche Impulse würdet ihr euch im Land Salzburg erwarten, damit eine zeitgemäße und hochwertige Partizipation im Kunst- und Kulturbereich sichergestellt werden kann?

Stefan Wally: In den letzten Jahrzehnten war es immer wichtig, dass Menschen, die Kunst und Kultur machen, das Bewusstsein entwickeln können, Teil einer Kunst- und Kulturszene zu sein. Partizipation hängt also schon einmal sehr stark damit zusammen, dass die Menschen überhaupt erkennen, dass sie angefragt werden. Das betrifft Orientierungen, Ausdrucksformen, Kunstpraktiken. Hier sollte man offen bleiben. Das bedeutet auch, in den Institutionen immer wieder darauf zu schauen, dass neue Stimmen mit neuen Meinungen und neuen Ideen zu Wort kommen. Die nächsten Generationen waren noch nicht Teil von Partizipationsprozessen und alleine dadurch kommen neue Ideen, die das Bestehende in Frage stellen. Das heißt, Erneuerung beginnt damit, dass wir neue Stimmen in die Grundgesamtheit einlassen.

Anita Moser: Dem kann ich mich nur anschließen und noch ein wenig konkretisieren. So könnte beispielsweise in Bezug auf kulturpolitische Gremien mehr auf Diversität geachtet werden, auch in Verwaltungen und anderen politiknahen Bereichen. Grundsätzlich fände ich es schön, wenn so viele Bottom-up-Projekte wie möglich entstehen könnten, auch selbstverwaltete Strukturen, und es hier ein gewisses Grundvertrauen von Seiten der Politik und der Verwaltung gibt. Wichtig finde ich außerdem, dass versucht wird, in anderen Zeitdimensionen zu denken, und mehr längerfristige Projekte zu ermöglichen. Die Projektlogik ist oft so einschränkend. Wenn andere Formen entwickelt und zugelassen werden, wäre das sehr begrüßenswert.