Abseits der typischen Reiseführer-Kultur bildet die ARGEkultur seit nunmehr 40 Jahren den kreativen Schmelztiegel der Mozartstadt. Künstlerische Diversität sowie ein gesellschaftskritisches Denken sind seit jeher Teil der DNA des Hauses, das in den Achtzigern von der Initiative ARGE Rainberg erkämpft werden konnte. Carmen Bayer zum Jubiläum der Salzburger Institution.
Nische oder lebendiges Kulturzentrum?
Bewegen sich Künstler*innen abseits hochkultureller Angebote und etablierter Genres, taucht schnell das Bild der Nische auf. So ganz stimmig scheint die strenge und oft selbst auferlegte Grenzziehung zwischen Mainstream und Nischenprodukt allerdings nicht zu sein: Könnte das Aufbrechen dieses Gruppen-Denkens nicht Menschen zusammenbringen, auch wenn wechselseitige Vorbehalte bestehen? An der Schnittstelle zwischen Bekanntem und Randständigem bewegt sich die ARGEkultur seit ihrer Gründung. In den 1980er Jahren war die Forderung nach einem unabhängigen Kulturzentrum in Salzburg ein «Horrorszenario für jene, die Anpassung als geistige Tracht trugen. Sie verteidigten die verinnerlichte Lederhose und Dirndl gegen langhaarige Kommunard*innen», erinnert sich Bernhard Jenny, Vorstandsvorsitzender der ARGEkultur an die Gründungszeit. Der Kampf um die kulturelle Hoheitsmacht hat sich inzwischen weitestgehend beruhigt. Die Sorgen der Anrainer*innen und der Politik waren unbegründet, war das Ziel der Aktivist*innen doch eine möglichst bunte Mischung an Produktionen und Menschen miteinander zu verbinden, wie Karl Zechenter, künstlerischer Leiter des Hauses von 1999 bis 2005, ausführt: «Die ARGEkultur als Verein wurde in der Hoffnung gegründet, ein Gelände von 24.000 m² zu bespielen. Das ist das Gegenteil von Nische. Im Idealfall sind Kulturzentren keine Nischen, sondern verbindende Elemente, die Menschen zusammenbringen.»
Von der Ambivalenz im Kulturbetrieb
Oft ist es kaum nachvollziehbar, warum ein Projekt Mittel aus dem Kulturtopf erhält, ein anderes Projekt aber nicht. Für Markus Grüner-Musil (künstlerischer Leiter von 2005 bis 2018) ist die Frage der Verteilung von Ressourcen «zu Recht einer kritischen Gerechtigkeitsdebatte unterworfen.» Mehr Transparenz und ein breiteres Verständnis von fairer Verteilung brachte die von Grüner-Musil und Daniela Gmachl (kaufmännische Leitung) eingeführte und damals in der Szene erstmalige Erstellung einer Gemeinwohlbilanz: «Die Gemeinwohlbilanz hat uns in der ARGEkultur aufgezeigt, dass es viele Formen der Ressourcennutzung gibt, die über diesen klassischen Verteilungskampf hinausgehen. Es gibt eben auch nachhaltige und ökologische Aspekte, soziale Aspekte, Arbeitszufriedenheit, nachgereihte regionale Wirtschaftskreisläufe oder den Fokus auf Prozesse, nicht nur auf Produkte. Dies sind ebenso wichtige Kriterien, um Kulturarbeit zu bewerten, wie Publikumsakzeptanz oder künstlerische Qualität. Letztlich ist es ein wenig absurd, dass gerade in der Kultur oft politische Themen wie Gerechtigkeit oder Diskriminierung auf der Bühne verhandelt werden, aber viele Institutionen in ihrem Selbstverständnis diese Aspekte kaum verinnerlichen.»
Mit der Einführung der Gemeinwohlbilanz kann der Widerspruch zwischen den Werten auf der Bühne und jenen dahinter sichtbar gemacht werden. So basieren bestehende Probleme oftmals nicht nur auf Ignoranz oder Unwillen der Zuständigen, sondern auch auf Gewohnheiten und fataler Systemblindheit. Der Ansatz der Gemeinwohlökonomie könnte dabei helfen, die internen Arbeitsabläufe und Teamstrukturen kritisch zu prüfen – unabhängig davon, ob nun eine eigene Bilanz hierfür erstellt wird oder der Kriterienkatalog der GWÖ (Gemeinwohlökonomie) als Ideengeber für notwendige Verbesserungen fungiert.
In Sachen Transparenz zeigt sich die ARGEkultur vorbildlich und auch die Gleichstellung des Lohnschemas für alle Geschlechter erfüllt das Haus laut Gemeinwohlbilanzbericht zu 100 %. Ebenso wird bei der Besetzung Wert auf Gleichstellung gelegt, so ist die kaufmännische Leitung seit bald zwei Jahrzehnten in weiblicher Hand.
Für Sebastian Linz, künstlerischer Leiter seit 2018, sind hier nicht nur kulturelle Einrichtungen in der Pflicht sondern auch die Politik, welche sich im Zuge der Fördermittelvergabe mehr an öko-sozialen Richtwerten orientieren könnte: «Ich bin mir sehr sicher, dass sich die Kulturförderung in sich ändern mussund vielleicht auch wird: weg von einer bloßen Besitzstandswahrung und hier und dort optimierten Verwaltung des Status Quo – hin zu einer Kulturpolitik, die sich stärker an gemeinwohl-orientierten Kriterien, z. B. an sozialer Gerechtigkeit, am Klima- und Umweltschutz etc., orientiert. Gerade im letztgenannten Aspekt tut sich in Österreich leider noch zu wenig.»
Keine Rückkehr zum alten Normal (erwünscht)
Abseits struktureller Arbeitsweisen ist es vor allem der interdisziplinäre Zugang, welcher das Programm der ARGEkultur prägt. Das Kulturzentrum beheimatet etwa die Medienaktivist*innen der Radiofabrik, die Netzkultur- und Netzpolitikaktivist*innen von subnet bzw. den Chaostreff Salzburg und entwickelte bereits 2016 das digital spring festival mit dem Ziel, eine Brücke zwischen Medienkunst und zivilgesellschaftlichem Engagement zu bauen. Auch Festival-Mitbegründer Markus Grüner-Musil sieht in der Förderung von Partizipation im Kulturbetrieb eine wesentliche Aufgabe: «Digitale Formen werden dort dauerhaft ihre Berechtigung in der Kultur haben, wo Teilhabe ermöglicht wird. Die Demokratisierung der Kultur, durch verschiedene Formen der Teilhabe, ist enorm wichtig und hier sehe ich auch die Digitalisierung zuerst als Chance.»
Am Beispiel der ARGEkultur zeigt sich, wie groß das Potential von Kulturzentren sein kann, wenn es darum geht, unterschiedliche Gruppen miteinander zu vernetzen. Ob es sich um Szenen übergreifende Projekte handelt, die ein völlig neues Publikum erreichen, oder um die partizipativen Formen digitaler Medienkunst – all das braucht offene Räume und unterstützende Strukturen. Für Sebastian Linz steht eines in jedem Fall fest: «Um was es eigentlich geht, ist die Frage, wie wir uns in Zukunft versammeln können. Welche Formen der Interaktion gibt es im Netz, welche Gegenöffentlichkeiten gibt es dort (noch)? Das ist die Aufgabe, vor der wir jetzt stehen – denn ich glaube fest, dass es eine Rückkehr zur ‹Normalität› vor Corona nicht geben wird.»
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*‚Alles bleibt anders‘ lautet der Titel der laufenden Jubiläumskampagne zum 40. Jahrestag der ARGEkultur.