Unis, Ungarn, Ungehorsam

Als in Österreich die geplante Novelle des Universitätsgesetzes (UG) veröffentlicht wurde, gab es gleich Kritik. Auch die Leitungen von Universität Salzburg und Mozarteum warnten vor einer ‚Orbanisierung‘ im Hochschulbereich. Aber wie sieht es diesbezüglich in Ungarn aus? Katalin Erdődi berichtet über Entwicklungen zwischen ‚Modellwandel‘ und ‚Kulturkampf‘.

Titelfoto: Uni-Besetzung der #freeSZFE-Bewegung in Ungarn.
© Gabriella Csoszó / FreeDoc

‚Modellwandel‘ als Deckwort für Machtübernahme 

‚Modellwandel‘ bedeutet eine umstrittene ‚Entstaatlichung‘ der Universitäten: Unter dem neoliberalen Deckmantel der Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz werden sie privatisiert. So gehen Gebäude und Vermögenswerte von öffentlicher Hand in den Besitz von Privatstiftungen über, an deren Spitze vom zuständigen Ministerium Kuratorien ernannt werden, die die Entscheidungshoheit über Universitäten übernehmen – allerdings ohne Mitspracherecht der Universitätssenate. Kritiker*innen sehen darin nicht nur einen eindeutigen Angriff auf die Autonomie der Hochschulbildung, sondern auch eine Maßnahme der Machtkonsolidierung, da die ernannten Kuratorien zur politischen und wirtschaftlichen Klientel der aktuellen Regierung gehören, lebenslang berufen werden und sogar ihre eigenen Nachfolger*innen nominieren können. So verlängert das Orbán-Regime seine Macht über diese Institutionen weit über einen eventuellen Regierungswechsel hinaus und übt dank der neuen Eigentümer*innenkonstellation zentralisierte Kontrolle aus – ohne die gegenseitigen ‚Checks and Balances‘, die bei den staatlichen Universitäten durch Senate immer noch gesetzlich garantiert wären.

Der ‚Modellwandel‘ des Hochschulbereichs in Ungarn startete 2019 mit der Budapest Corvinus Universität, der führenden Wirtschaftsuniversität. 2020 wurde er auf acht Institutionen erweitert. Anfang 2021 wurden weitere Schritte der Umstrukturierung lanciert, die zurzeit insgesamt 15 Bildungseinrichtungen betreffen, auch die ‚Universitätsriesen‘ dreier regionaler Hauptstädte (Debrecen, Pécs, Szeged). Der Wandel hat flächendeckenden Charakter.

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Protest gegen die UG-Novelle in Salzburg
© Dachverband Salzburger Kulturstätten

#freeSZFE: Ziviler Ungehorsam für Uni-Autonomie

Unter den Institutionen, deren Modellwandel im Frühjahr 2020 angekündigt wurde, waren auch zwei Kunstuniversitäten: die Universität für Angewandte Kunst (MOME) und die Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE). Während der Wandel der MOME von der Regierung – im Einklang mit der Universitätsleitung – als Erfolgsgeschichte bejubelt wurde, sind die angekündigten Änderungen bei der SZFE auf deutlich größeren, auch internationalen Widerstand gestoßen. Anders als bei den anderen Universitäten, wo die Regierung und das zuständige Ministerium versucht haben, den Universitätsleitungen den Modellwandel durch Sondervereinbarungen und versprochene Investitionen schmackhaft zu machen, wurde im Fall der SZFE der Dialog mit dem frisch gekürten Rektor, dem Dramaturgen László Upor, systematisch verweigert. Durch die Ernennung des neuen Kuratoriums wurden Rektorat und Senat einfach entmachtet. Die Proteste der #freeSZFE-Bewegung, die von Demonstrationen und performativen Straßenaktionen bis zu einer 71-tägigen Uni-Besetzung, Streik und Boykott reichten, richteten sich deshalb vor allem gegen diese skrupellose und zum Teil gesetzwidrige Vereinnahmung.


Das Geschehen rund um die SZFE soll aber nicht isoliert, sondern im Kontext zweier großer Transformationsprozesse betrachtet werden: die strukturellen Änderungen der Bildungspolitik und der zunehmende ‚Kulturkampf‘. Dadurch wird nicht nur die Universitätsautonomie, sondern auch die künstlerische Freiheit gefährdet. Anfang 2020 wurde die Theaterlandschaft Budapests neu ‚aufgeteilt‘ – in ausschließlich staatlich bzw. kommunal geförderte Institutionen – in einem dezidierten Versuch des oppositionellen Stadtrats, die progressiven Bühnen vor politischer Einflussnahme zu schützen. Aus dieser Perspektive kann die Übernahme der SZFE als Ausbildungsstätte Theater- und Filmschaffender als ein nächster Schritt dieses zunehmend territorialen Kampfs gesehen werden, in dem es schlicht um Zerstörung und Auslöschung eines gewissen kulturellen Kanons und intellektueller Traditionen geht.

Katalin Erdődi ist freie Kuratorin und Dramaturgin. Zuletzt als Mitglied des Kuratoriums für Theater, Tanz und Performance der Stadt Wien, davor u. a. als Kuratorin für steirischer herbst Graz und brut Wien tätig.


Zum Gendern:
Deutsch war die erste Sprache, in der ich Gendern gelernt habe, weil meine Muttersprache Ungarisch (bis zu einem gewissen Grad) genderneutral ist: ő steht für er/sie/alle Pronomen, unabhängig von Geschlecht, aber bei feminisierten Arbeitsformen tauchen plötzlich geschlechterspezifische Wörter auf, wie takarítónő (Putzfrau) oder ápolónő (Krankenschwester). Genderneutralität führt also nicht gleich zur Geschlechtergerechtigkeit. Sprache ist mächtig, oft hegemonial, aber auch in ständiger Veränderung, deshalb ist es wichtig, dass wir geschlechtergerechte Sprache als eine Interventionsmöglichkeit in patriarchales und heteronormatives Denken betrachten und nach neuen Ausdrucksformen und Bezeichnungen suchen. Allerdings ist es auch wichtig, dass diese keine neue Hegemonien schaffen oder einfach dogmatisch verwendet werden, wir müssen selbstreflexiv und auch selbstkritisch bleiben. Ich wünsche mir zudem mehr mehrsprachige Mischformen, da wir viel voneinander lernen, übernehmen und ausprobieren könnten. Zum Beispiel die Genderneutralität der ungarischen Pronomen kann ich sehr empfehlen, gerne unser ő übernehmen!