Frauen, Corona und die Suche nach FAIR PAY

Wohin führt das neue Normal inmitten alter Ungleichheit? Carmen Bayer holt die Perspektiven von zwei Frauen ein, die im Kunst- und Kulturbereich arbeiten: Doris Schumacher ist Regisseurin und Texterin, Ursula Schwarz ist Clownin – Sie berichten über die Kunst, das Geld und Reproduktionsmodi.

Seit knapp einem Jahr begleiten Pressekonferenzen unseren Alltag. Dabei sind es überwiegend männliche Experten und Politiker, die erklären, wie der neue Alltag auszusehen hat. Der Klang tiefer Stimmen begleitet uns mit einer unterschwellig anklingenden Autorität, um die neue Lebensrealität zu erklären. Aber was macht es mit Wählerinnen, wenn die für Frauen, Familie und Integration zuständige Ministerin sich selbst partout nicht als Feministin bezeichnen will? Wie geht es den Frauen, die in Österreich nicht nur überproportional von der pandemiebedingten Arbeitslosigkeit betroffen sind, sondern schon vor alldem finanziell benachteiligt waren? Mit der Freien Szene im Fokus: Können Mütter mit einer Arbeit im Kulturbetrieb überleben? 

Kann Frau sich das leisten?

Können Mütter mit einer Arbeit im Kulturbetrieb überleben? Die Antwort: Jein. Zusätzliche Anstellungen in kulturnahen Arbeitsfeldern sind gängige Praxis, um das Überleben zu sichern. Doris Schumacher, freischaffende Regisseurin und Texterin fordert wie viele andere Künstlerinnen FAIR PAY für Kulturarbeit: „Ich spreche mich absolut gegen Unterbezahlung in der professionellen freien Kunst- und Kulturarbeit aus. Solange professionelle Kulturarbeiterinnen immer noch so viel ehrenamtliche Arbeit machen, wird es nicht besser werden.“ Bereits vor ihrer Schwangerschaft fasste sie den Entschluss, nur mehr Projekte anzunehmen, die angemessen bezahlt werden. „Unterm Strich leidet auch immer die Qualität eines Stückes, wenn die Finanzierung nicht ausreichend Probenzeiten ermöglicht.“ Um die finanzielle Lücke zu decken, die der Verzicht auf schlecht bezahlte Projekte mit sich brachte, baute sich Schumacher ein zweites berufliches Standbein als Texterin bei einem großen Unternehmen und als freie Mitarbeiterin einer Musikzeitschrift auf. 

Seit drei Jahren ist Schumacher alleinerziehend. Ihre Entscheidung, nur zu fairen Konditionen zu arbeiten, wurde dadurch bestärkt. Finanzielle Sicherheit und geregelte Arbeitsstrukturen wurden zur Grundvoraussetzung, die ihr die Freie Szene nicht bieten konnte. Um die Kulturbranche frauen- und familienfreundlicher zu gestalten, braucht es Schumacher zufolge neben angemessenen Honoraren auch mehr Offenheit für kooperative Arbeitsmodelle. Mittels Job-Sharing etwa bliebe mehr Zeit für die Familie und die Qualität der Arbeit profitiere zusätzlich von mehr Austausch und Kooperation. Vorausgesetzt die Gage stimmt! Die Einlösung fairer Entlohnung im Kulturbereich würde Frauen im Besonderen stärken, denn der Gender-Pay-Gap liegt auch in der Kulturbranche im Argen.¹ Offen bleibt, ob die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie den bisherigen Erfolgen der FAIR PAY-Kampagnen einen Backlash verpassen oder ob wir tatsächlich aus der Krise lernen. 

Moderne Familienbilder oder Mental Load? 

Vor allem Mütter kennen das als ‚Mental Load‘ bezeichnete Gefühl, immer an alles denken zu müssen, den Haushalt, die Kinder, die Schwiegermutter, … Werden Arbeitsplatz und Schule plötzlich nach Hause verlegt, explodiert die Mehrfachbelastung nahezu. Für Homeschooling ist das Kind von Ursula Schwarz, einer Clownin aus Salzburg, noch zu klein. Das Gefühl, alles planen zu müssen, kennt sie allerdings gut. Wenngleich es bei Schwarz weniger darum geht, alleine die Verantwortung zu tragen, als vielmehr die Aufgaben zwischen beiden Elternteilen fair zu verteilen und all das zu organisieren. Denn für Schwarz und ihren Partner war klar, dass trotz Familiengründung ihre individuellen Lebensbereiche nicht zu kurz kommen dürfen. Die Zeit der Karenz haben die beiden gesplittet und auch sonst wird die Arbeit fair verteilt. Was ermutigend klingt, fordert aber auch seinen Tribut: „Es kostet viel Kraft, um alle Bedürfnisse gut zu jonglieren“, meint Ursula und erzählt vom manchmal auftauchenden Gefühl der Zerrissenheit. 

Entwicklung oder Rückschritt?

Branchen mit hohem Frauenanteil² hat die Pandemie besonders kalt erwischt, auf lange Sicht könnte das einen Anstieg der Ungleichheit zwischen Mann und Frau befördern. Warum? Bereits jetzt sind Frauen durch Teilzeitanstellungen (47,7 % aller erwerbstätigen Frauen sind in Teilzeit)³, Karenzzeiten und teilweise verheerenden Lohnunterschieden benachteiligt. Kommt zu den klassischen Faktoren noch eine Pandemie hinzu, wird es brenzlig. Mitunter deshalb, weil Frauen auch ohne LOHNarbeit viele Stunden an unbezahlten Care-Arbeiten übernehmen. Bei weitem kein neues Phänomen – aber ein entscheidendes. Ob sich daran etwas ändern wird, wenn SIE aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Homeoffice eh schon daheim ist? „Privat mache ich mir keine Sorgen, aber gesamtgesellschaftlich bin ich pessimistisch.“ Das Resümee von Schwarz steht exemplarisch für die Meinung vieler Frauen. Es stellt sich die Frage, wie diese Diskrepanz zwischen privater und gesellschaftlicher Einschätzung der Lage zustande kommt und ob nicht mehr Zuversicht nötig wäre?

Die Forderung nach Frauenquoten, Kampagnen wie FAIR PAY und Initiativen wie der österreichische Frauenring haben durch die öffentliche Diskussion ihrer Anliegen bereits viel erreicht. Weiter so, könnte also das Credo in der Krise lauten. Weiter die Anliegen von Frauen thematisieren, Ungleichheiten ansprechen und eine flächendeckende Kinderbetreuung fordern. Und auch öfter von alternativen Familienmodellen berichten, die Vor- und Nachteile besprechen, ja vielleicht sogar eine Performance daraus machen? Die Kunst vermag es schließlich neue Perspektiven zu zeigen und hinter gewohnte Fassaden zu blicken.

¹ Vgl. z. B. https://kontrast.at/warum-verdienen-frauen-weniger-als-maenner/ oder https://www.moment.at/story/equal-pay-day-2021

² Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1118620/umfrage/oekonomische-betroffenheit-von-branchen-durch-die-corona-krise-in-oesterreich/ und https://www.derstandard.at/story/2000118721685/frauen-von-corona-arbeitslosigkeit-wesentlich-staerker-betroffen

³ Vgl. https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/soziales/gender-statistik/erwerbstaetigkeit/index.html


Carmen Bayer, Sprecherin der Salzburger Armutskonferenz wundert sich oft über gesellschaftliche Entwicklungen und schreibt darüber.

Doris Schumacher ist freie Regisseurin und Texterin. Die studierte Kunsthistorikerin und Musikwissenschafterin arbeitete vor ihrem freien Kunstschaffen am Theater Koblenz und am Pfalztheater Kaiserslautern.

Ursula Schwarz ist Clownin, Theaterpädagogin, Schauspielerin, Theater- und Erziehungswissenschafterin, leitet seit 2014 die Clownfabrik und ist Vorsitzende des Vereins INFLUX – Netzwerk für Tanz, Theater und Performance.
→ sternenhebamme.at
→ influxart.at


Zum Gendern:
Einmal auf politische Korrektheit verzichten? (Be)schreiben, was Frau sieht? Die weibliche Form verwenden? Schöne Sache, einfach, ausgrenzend, alarmierend. Ausgrenzend für alle Seiten, wenngleich sich das generische Maskulin meist über den Verbleib im Wortstamm freuen darf. (Carmen Bayer)