‚Kulturschaffende‘ ist ein Begriff des NS-Vokabulars. Bereits vor der Machtergreifung von Wegbereiter:innen des Nationalsozialismus verwendet, wurde er ab 1933/34 zu einer offiziellen Bezeichnung. Isolde Vogel fragt nicht ‚ob man das noch sagen darf‘, sondern spürt der eigentlichen historischen und wortinhärent-ideologischen Bedeutung nach.
Gerade in einem der Nachfolgestaaten des Nationalsozialismus, in dem die gegenwärtige Sprache auch von der des Nationalsozialismus geprägt ist, kann der ideologische Ursprung des Begriffes ‚Kulturschaffende‘ nicht ausgeblendet werden – auch wenn sich Sprache und deren Bedeutung selbstverständlich mit der Zeit verändern. Insofern dienen folgende Ausführungen mehr der Information, als dass sie diejenigen rügen sollen, die ihn benutzen.
‚Schaffende‘ und ‚raffende‘ Arbeit
Der Begriff der ‚Kulturschaffenden‘ ist nicht, wie viele andere Wortschöpfungen, in der NS-Zeit umgedeutet worden und seither negativ behaftet, sondern eine NS-Neubildung. Innerhalb der Kulturpolitik des NS waren Kunst und Kultur die zentralen Elemente des nationalsozialistischen Propagandaapparats. Für die Propaganda wiederum war staatliche Kontrolle und Ausrichtung von Kunst und Kultur zentral. Als Instrument dieser Kontrolle diente die Reichskulturkammer, angesiedelt im Propagandaministerium, in der alle ‚Kulturschaffenden‘ Mitglied zu sein hatten und von der eben dieser Ausdruck selbst eingeführt und geprägt wurde.
Inhaltlich war die nationalsozialistische Kunst- und Kulturpolitik durch das völkisch-antisemitische und rassistische Weltbild des Nationalsozialismus bestimmt. ‚Deutsche Kunst‘ wurde streng ‚rassisch‘ abgetrennt von ‚unerwünschter‘, ‚artfremder‘ Kunst. Neben der ‚völkischen‘ Zugehörigkeit waren auch stilistische Kriterien relevant, Kunst und Kultur der Moderne galten als ‚undeutsch‘ und wurden von den Nazis verachtet.
Diese Abgrenzung, mit welcher Ausschluss, Raub und Verfolgung gerechtfertigt wurden, reiht sich nahtlos in das antisemitische Weltbild ein, dem ein Denken in Gegensätzen inhärent ist. Einer dieser Gegensätze, fundamental in der nationalsozialistischen Ideologie, ist jener zwischen ‚schaffend‘ und ‚raffend‘. ‚Schaffend‘ sollte das positive ‚arische‘ Ideal sein, das sich durch Natürlichkeit, Ehrlichkeit, Nützlichkeit und Bodenständigkeit auszeichnete. ‚Raffend‘ hingegen seien ‚die Juden‘ gewesen, ihnen wurde Künstlichkeit, Hinterlistigkeit, parasitäres Verhalten und Wurzellosigkeit vorgeworfen. Das drückt sich auch im antisemitischen Mythos des ‚raffgierigen Juden‘ aus, dem der ‚ehrlich schaffende deutsche Arbeiter‘ gegenübergestellt wurde.
‚Schaffen‘ für die ‚Volksgemeinschaft‘
Diese im NS zugewiesene Bedeutung des Worts ‚Kulturschaffende‘ beinhaltete also eine Aufforderung an die in der Kulturwelt Tätigen, ‚deutsch‘ und produktiv zu sein – zu ‚schaffen‘, also: zu arbeiten. Es drückt sich darin auch aus, wie das Verhältnis von Kultur und Staat zu sein hatte: Die ‚Kulturschaffenden‘ waren zuständig für die Erschaffung von Kulturgut, das wiederum der Propaganda für den Zusammenhalt des NS-Regimes diente. ‚Kulturschaffende‘ wurden damit um ihre Intention und Individualität als Künstler:innen, als Schriftsteller:innen, Musiker:innen, Architekt:innen, Schauspieler:innen, Regisseur:innen etc. gebracht. „Es ist ein gegenseitiges Objekt-Verhältnis, das sich in der Zusammensetzung Kultur-Schaffende ausdrückt: ein Karussellgaul ist ja auch ein Gaul, der einerseits das Karussell zieht und der andererseits ins Karussell eingespannt ist.“ So beschreibt Sprachkritiker Wilhelm E. Süskind im Wörterbuch des Unmenschen die Rolle der ‚Kulturschaffenden‘.
Kunst und Kultur – eigentlich Ausdrücke von Individualität und Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen – wurden im NS entweder als ‚entartet‘ verboten oder Teil der nationalen Aufgabe. Der Bezeichnung ‚Kulturschaffende‘ haften diese Entindividualisierung und die Idee des Schaffens für ein kollektivistisches Ziel heute noch an.
Die Geschichte des Wortes zu kennen und anzusprechen ist nur eine von vielen Formen der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Dabei ist zu betonen: Sprache allein macht noch keine Gewaltherrschaft. Dennoch sollte mit dem Wissen um Bedeutung und Wortgebrauch im Nationalsozialismus die Suche nach anderen Bezeichnungen aufgenommen werden. In Verbrannte Wörter des Journalisten Matthias Heine heißt es: „Der Ausdruck ist wohl nicht mehr aus der Welt zu schaffen.“ Ob man sich deshalb aber für die Verwendung aussprechen will, ist fraglich.
Isolde Vogel ist Historikerin in Wien mit Schwerpunkt in den Bereichen der Shoah-Forschung, (Visuellen) Antisemitismusforschung sowie Geschichte und Ideologie des Nationalsozialismus und Erinnerungspolitik. Sie arbeitet für Yad Vashem als Mitarbeiterin der Holocaust Research Delegation Austria und engagiert sich außerdem seit Jahren gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Antifeminismus.
Zum Gendern:
Der Gender-Doppelpunkt ist eine Form der inklusiven und gendersensiblen Sprache. Mit der Unterbrechung des Wortes durch den Doppelpunkt soll einerseits sichtbar werden, dass Gender nicht binär ist, es mehr als zwei Geschlechter gibt und so auch inter- und nonbinary-Personen inkludiert werden. Andererseits bietet er gegenüber Sternchen * und Unterstrich _ den Vorteil, auch von vielen Vorleseprogrammen als Pause gesprochen zu werden und damit auch einen barrierearmen Zugang, etwa für Personen mit Sehschwäche oder Leseproblemen.