Wie gemein(t) ist das Projekt?

Ein Projekt. Ein Versprechen. Zukunft und Ende. Start. Meilensteine. Ziel. Start. Meilensteine. Ziel – vonprojektzuprojektzuprojekt. Laufzeit, Zeit läuft. Abenteuer, teuer. Halt, Nachhalt, kein Halt. Stefanie Fridrik und Anke Schad-Spindler untersuchen in ihrem Forschungsprojekt AGONART Logiken, Leitwerte und Zielsetzungen lokaler Kulturpolitiken in Linz, Wien und Graz und widmen sich für uns auch der perfiden Logik des ‚Kunst- und Kulturprojekts‘.

Yes, we kanban

Für viele Akteur*innen im Kultursektor sind Projekte Arbeitsalltag zwischen Kreationsmöglichkeiten und Produktionsdruck. Die Fördervergabe in Österreich stützt sich massiv auf Projektstrukturen, deren managerielle Logiken schon längst ihren Weg von der privaten Unternehmensführung in den Bereich der kulturellen Produktion gefunden haben. Ob auf Gemeinde-, Kommunal-, Landes-, Bundes- oder EU-Ebene: Die Möglichkeiten, dieses System mittels Einreichungen zu bedienen, scheinen schier endlos und umfassen alle künstlerischen Sparten. Man hat gelernt (oder tut gut daran, es zu lernen) Ideen in Antragsprosa zu übersetzen, kalkulier- und evaluierbar zu machen und Begriffe wie ‚Relevanz‘, ‚Innovation‘ und ‚kulturelle Nachhaltigkeit‘ zu platzieren, ohne letztlich zu wissen, was diese Codes aufschlüsseln oder verschlüsseln. Dies betrifft nicht nur die Freie Szene. Auch Kulturinstitutionen bestücken ihr Portfolio mit diversen geförderten Projekten, vor allem im Bereich der Vermittlung und der Forschung. Diversität? Restitution? Barrierefreiheit? Wir hatten da ein Projekt dazu … Es sind also viele verschiedene Akteur*innen, die den Prozess der Projektifizierung mittragen, legitimieren und vorantreiben – aus unterschiedlichen Gründen.

Initiieren, implementieren, evaluieren

Die Projektsystematik im öffentlichen Sektor erfüllt für Politik und Verwaltung vor allem zwei Funktionen: Steuerung und Dezentralisierung. Durch das Steuerungsinstrument der Fördermittelvergabe werden politische Zielsetzungen in Verteilungslogiken übersetzt. Im Sinne von Fairness, Transparenz und Angemessenheit werden Entscheidungen fallweise durch Expert*innenjuries begründet, was einerseits zwar politische Übergriffe abfedert, andererseits aber auch neue Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse schafft. Es kommt zu einer strategischen Verschiebung politischer Agitation in die Projektprogrammatik. Der Begriff der ‚Projektokratie‘[1] (Hodgson et al., 2019) beschreibt dieses System der Herrschaft qua Projekt.

Dezentralisierung führt zu einer Wettbewerbssituation und damit Verlagerung des Investitionsaufwands zu jenen Akteur*innen, die um die Förderung ihrer Projekte ansuchen müssen. Hier treffen sie auf ungleiche Kapazitäten zwischen Fundraisingdepartment und Drittmittelabteilung, Kulturinitiative und Projektarbeiter*in. Wer ist Schuld an der Misere? Die Wissenschaftler*innen Luc Boltanski und Ève Chiapello[2] sehen in der Kritik der Künstler*innen an der Bürokratie und Autorität der bürgerlichen Gesellschaft ein wesentliches Moment, durch das der Kapitalismus einen neuen Geist eingehaucht bekam: Entgrenzung, Vernetzung, Projekte statt starrer Strukturen, aber um den Preis der Verlässlichkeit und Planbarkeit.

My home is my project

Die Geister, die er rief, wird der Kulturbetrieb als Projektavantgarde nicht mehr los. Innovation, Spontaneität, Kreativität, Improvisation – Machen = Sein. Projekte meinen etwas – Status, Möglichkeiten – und sind darum auch irgendwie gemein: Was passiert, wenn ein Projekt vorbei ist? Die Vermeidung von projektleeren Zeiträumen ist nicht nur wirtschaftlich motiviert, sondern hängt auch damit zusammen, dass ohne Projektbeteiligung für viele ein essenzielles Identifikationsmoment entfällt. Projekte situieren Personen und Organisationen nicht nur räumlich und zeitlich, sondern auch innerhalb eines Netzwerks flexibler, allerdings auch temporärer Verbindungen. Endet die Projekttätigkeit, wird man für das Netzwerk unsichtbar. Dieser Umstand motiviert eine Praxis, die trotz fehlender Kontinuität permanente Aktivität verlangt, nicht selten in paralleler Mehrfachbelastung. Indem darüber hinaus die Projektlaufzeit begrenzt ist und primär resultats- anstatt prozessorientiert agiert werden muss, vernachlässigt man allzu oft die Überlegung, was mit dem Projekt erreicht werden soll, zugunsten der Frage, was man im gegebenen Zeitraum schaffen kann. Fehlende Gratifikationsmechanismen und geringe Aufstiegschancen verstärken ein Gefühl der (Selbst-)Ausbeutung.

Projektfassaden über tiefe Gräben

Auch die Art des Net(t)workings, bei dem es ja um die temporäre Nutzbarmachung zwischenmenschlicher Beziehungen geht, trägt dazu bei, dass die Erwartung maximaler Synergien zuweilen von einer Erfahrung minimaler Kooperation durchkreuzt wird. Welche Auswirkung hat das auf unser Verständnis kooperativen (Ver)Handelns, nicht zuletzt, wenn es um die Transformation kulturpolitischer Dynamiken geht? Entsprechend des Demokratieverständnisses von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe bilden Kooperation und Konflikt ein Begriffspaar. Demokratie- bzw. gesellschaftspolitisches Handeln muss beides mitmeinen dürfen. Wenn also auf die große Bedeutung des Kultursektors für die Demokratiebildung hingewiesen wird – zuletzt von Veronica Kaup-Hasler[3], Kulturstadträtin in Wien –, müssen wir uns die Frage stellen, ob und wie innerhalb der Projektokratie der Kulturproduktion und -politik konfliktuelle Aushandlungsprozesse überhaupt möglich sind. Projektaktivitäten bewegen sich im paradoxen Spannungsfeld zwischen temporärer Limitation und intendierter Nachhaltigkeit, Kooperationsimperativen und Konkurrenzverhältnissen, Experiment und Effizienzerwartung. Trotz permanenter Aktivität wird in dieser Pattstellung vielfach auf der Stelle getreten. Brauchen wir bessere Tools oder… brauchen wir einen anderen Weg? AGONART geht der Frage nach, wie der demokratiepolitische Sinn und Zweck von Kulturpolitik neu verhandelt werden kann. 

[1] Hodgson, Damian et.al. (2019): The Projectification of the Public Sector. New York: Routledge.

[2] Boltanski, Luc & Chiapello, Ève (1999/2018): Der neue Geist des Kapitalismus. Köln: Halem.

[3] Süddeutsche Zeitung/Münchner Kammerspiele (1. Februar 2021): In welcher Stadt werden wir leben wollen? Podiumsdiskussion, Mitschnitt Online.

Weitere Informationen zum Forschungsprojekt AGONART.

Stefanie Fridrik ist Forscherin im Bereich der Kunst- und Kulturwissenschaft, Kulturvermittlerin und Kuratorin. Aktuell untersucht sie im Forschungsprojekt AGONART (Universität Wien) kulturpolitische Logiken österreichischer Städte und beschäftigt sich mit den Möglichkeiten kritischer Wissens- und Kunstvermittlung in musealen und urbanen Räumen.

Anke Schad-Spindler forscht im Bereich Kulturpolitik und Kulturmanagement. 2019 wurde ihr Buch Cultural Governance in Österreich veröffentlicht (Print und Open Access). Sie ist Post-Doc Forscherin am Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien (Projekt AGONART) und selbständige Evaluatorin und Prozessbegleiterin. > www.ankeschad.at


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Die typografische Form der Inklusion durch das Gendersternchen ist eine praktikable Lösung, um die vielfältigen inter- und transgeschlechtlichen Identitäten und Realitäten in die Schreibweise aufzunehmen. Die zuweilen entstehenden grammatikalischen Ungereimtheiten sind nur ein kleiner Preis für eine offenere und inklusivere Sprache.