Wie können Alternativen zu Finanzierung und (Selbst-)Organisation von Kulturarbeit aussehen?
Arbeiter*innen neu denken
Eine solidarökonomische Cooperative.
Von Sabine Kock
Seit fünf Jahren schafft Smart in Österreich unter dem solidarischen Dach einer Cooperative eine neuartige Möglichkeit des Zusammenschlusses und der sozialen Absicherung für Kreative, Künstler*innen und alle Formen Neuer Selbstständiger.
Personen, die mit komplexen, kurzfristigen und wechselnden Beschäftigungen kämpfen oder ihre selbstständige Tätigkeit nachhaltiger gestalten wollen, können ihre Projekte und Aufträge in die Coop einbringen. Wenn sie wollen, arbeiten sie weiter selbstständig; die meisten aber, die zu Smart kommen, entscheiden sich dafür, aus ihren Projekten und Aufträgen Anstellungen in der Coop zu begründen. Gleichzeitig übernimmt Smart den Großteil des administrativen Aufwands. Für ihre Leistungen nimmt die Coop 7,5 % der eingebrachten Nettobeträge – mit dieser ‹Solidarfee› soll sich das Projekt künftig tragen. Die Coop gehört allen, die mit und in ihr arbeiten.
Für alle Aufträge und Projekte, die in Smart eingebracht werden, übernimmt die Coop gegenüber den Auftraggeber*innen die Rolle der Vertragspartnerin. Für die User*innen übernimmt sie einen Teil des unternehmerischen Risikos: Smart gewährt den User*innen eine Zahlungsgarantie und im schlimmsten Fall, wenn ein*e Auftraggeber*in zahlungsunfähig ist, übernimmt Smart die Ausfallhaftung. Zum Glück kommt das selten vor. Gerade in der aktuellen Krise zeigt sich die Nachhaltigkeit des Modells und dessen Tragfähigkeit für die Zukunft: Ein guter Teil der aktiven User*innen ist im April 2020 mit Smart in die Kurzarbeit gegangen, andere konnten durch die vorherige Anstellung bei Smart auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung zurückgreifen. So ermöglicht die Coop ihren User*innen, sozial nachhaltig abgesichert durch die unwägbaren Zeiten zu gehen.
Befreiendes Grundeinkommen
Fixe 1.000 Euro pro Monat würden Sorgen nehmen und wären finanzierbar.
Von Johannes Huber
Mit der zweiten Welle bestätigter COVID-19-Infektionen sind auch Sorgen hunderttausender Österreicher*innen wieder da gewesen: Erwerbseinkommen waren nicht mehr fix, reduziert oder überhaupt weg. Arbeitslosengelder und staatliche Almosen (für Selbstständige) wirkten allenfalls nur lindernd. Auch das Wissen, dass es unter Umständen noch eine Mindestsicherung geben würde, war nicht beruhigend: Voraussetzung dafür ist Besitzlosigkeit.
Zumindest ebenso groß wie materielle Nöte ist psychisches Leid: Die Unterstellung, wer keine Arbeit habe, hänge in der Hängematte, ist bitterböse; vor allem in Zeiten, in denen zum Beispiel in Wien auf 14 Stellensuchende nur eine freie Stelle kommt. Da ist es hoffnungslos, sich auch nur zu bewerben; da darf man sich nicht wundern, wenn Betroffene in ein tiefes Loch fallen und gar nichts mehr zusammenbringen.
Gerade in der gegenwärtigen Krise werden jedoch Rufe nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen immer lauter: Eine Umfrage der Uni Wien hat ergeben, dass erstmals eine relative Mehrheit der Bevölkerung dafür zu haben wäre.
Ein solches Grundeinkommen könnte befreiend in dem Sinne sein, dass es die nötigsten Ausgaben deckt. Schlaflose Nächte würden damit wohl weniger zahlreich werden. Dem einen oder der anderen würde es leichter fallen, sich aus- oder weiterbilden zu lassen. Oder selbstständig zu schaffen, wonach ihm / ihr ist. So gesehen könnte ein Bedingungsloses Grundeinkommen gut investiertes Geld sein. Die Kosten sind hoch, aber nicht exorbitant: Durchschnittlich 1.000 Euro pro Kopf und Monat würden österreichweit eine Gesamtsumme von knapp 110 Mrd. Euro jährlich ergeben. Die heutigen Sozialausgaben, die zum Teil wegfallen könnten, sind mit 113 Mrd. Euro (2019) sogar noch etwas höher.
In Künstler*innen investieren
Niederschwellige Unterstützung mit Zukunftsblick.
Von Mirjam Steinbock
Im Frühjahr 2020 zeigte sich die Zivilgesellschaft in Vorarlberg von der Pandemie-bedingten ökonomischen Schieflage vieler Kunst- und Kulturarbeiter*innen betroffen und bot einigen Interessengemeinschaften ihre finanzielle Unterstützung an. Neun Akteur*innen aus Bildender und Darstellender Kunst, Film, Literatur, Musik und der Vertretung freier Kulturarbeit gründeten daraufhin den Verein locart zur Investition in Kunst und Kultur.
Ziel von locart ist, finanzielle Mittel von Privatpersonen und Unternehmen einzuholen, um diese als Investition zu 100 % an Vorarlberger Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen weiterzugeben. Bis zum Sommer sammelten die Vereinsgründer*innen knapp 19.000 Euro. 36 hauptberuflich und in Vorarlberg lebende Kunst- und Kulturtreibende, die sich vorab beim Verein gemeldet hatten, erhielten diesen Betrag zu gleichen Teilen. «Wir wollten es niederschwellig gestalten. Die Situation ist schon schwierig genug, daher haben wir auf bürokratische Hürden verzichtet und auf gegenseitiges Vertrauen gesetzt», sagt Mirjam Steinbock, Gründungsmitglied von locart. Durch eine Kooperation mit der Stiftung Philanthropie Österreich kann der Verein zudem die Spendenabsetzbarkeit anbieten. Geboren aus der Krise versteht sich der Verein dennoch nicht bloß als ‹krisenbezogen› und wird weitermachen, erläutert Steinbock: «In Kunst und Kultur und vor allem in deren Akteur*innen zu investieren ist wie ein Aussäen, ein regelmäßiges Gießen, Hegen und Pflegen, um unsere Gesellschaft in ihrer Entwicklung zu stärken.» Explizit abgrenzen will sich der Verein vom Gestus der Bittstellenden. Durch die Verwendung des Begriffs ‹Investition› betont er die visionäre Ausrichtung und eine Begegnung auf Augenhöhe.
Die Gefahr eines Konkurrenzprodukts zu öffentlichen Förderungen sieht Steinbock nicht: «Ich hatte im Austausch mit der Landespolitik nicht das Gefühl, dass man sich wegen uns aus der Verantwortung ziehen möchte. Viel eher deutet man unser Engagement als konstruktive Maßnahme, um die Kunst- und Kulturszene in Vorarlberg gesund und zukunftstauglich zu halten.»
Ins Unbekannte fördern
Carte Blanche-Experiment statt Verwaltungsakt.
Von Boran Burchhardt
Aus dem vollen Beutel schöpfen. Geld verteilen. Fast ohne Auflagen. Und völlig anonym. Eine Utopie? Nicht ganz: 2013 und 2014 (sowie in modifizierter Form 2016) wurde in Hamburg mit einem neuen Format der Kulturförderung gespielt, das sich einerseits aus der Szene heraus entwickelte und andererseits auf Vertrauen und Experimentierfreudigkeit der Verwaltung basierte. Boran Burchhardt, Mit-Initiator des Kunstbeutels erinnert sich: «Dass Förderungen angesucht werden müssen, bevor Projekte überhaupt beginnen und sich etwas entwickeln kann, hatte eine Unzufriedenheit in der Szene bewirkt, die sich für Anträge nicht mehr verbiegen wollte. Stattdessen Geld in Zufall und Prozess zu legen, war der Ausgangspunkt unserer Überlegungen.»
Die Grundidee des Förderinstruments Kunstbeutel: Vertreter*innen eines selbst bestellten Komitees, gut in der Kunstszene vernetzt und möglichst heterogen, ermitteln in einem blinden Losverfahren eine*n Kunstbeutelträger*in, der / die wiederum nicht Geld erhält, sondern es bloß vergeben darf. Nur die jeweilige Amtsleitung der Kulturbehörde kennt am Ende die Identität des / der amtierenden Kunstbeutelträger*in: Denn sie informiert die Person darüber, in Folge völlig anonym und subjektiv je 40.000–50.000 Euro an eine beliebige Anzahl von Empfänger*innen verteilen zu dürfen. «Dieser Vorgang hat der Kulturbehörde auch Spaß gemacht», sagt Burchhardt, der gerade das Risiko der Anonymität besonders schätzte: «Natürlich standen sofort die Vorwürfe von Vetternwirtschaft im Raum. Nichts in diesem Prozess schloss aus, dass sich Kunstbeutelträger*innen selbst die volle Summe auszahlen würden. Aber Seilschaften gibt es in der Kunst, das muss man gar nicht wegdiskutieren. Umso konsequenter ist es, in der Geldverteilung genauso frei zu bleiben wie in der Kunst. Die Ungewissheit sorgte für eine Erzählung und veränderte viel in der öffentlichen Wahrnehmung unserer Fördersysteme.»
Trotz Erfolg wurde das Projekt nicht verlängert, es scheiterte am Ende nicht am Geld, sondern an den Akteur*innen selbst, die begannen, den bewusst offenen und intransparenten Prozess anzuzweifeln.