Der ganz normale Wahnsinn?

Bei Helmut Qualtinger und Peter Turrini hieß es einst: „Auch der Krebs hat seine guten Seiten“. Ähnliches lässt sich von der Coronavirus-Pandemie sagen, denn das Mantra von der „neuen Normalität“ löst Assoziationen zu einer der besseren TV-Produktionen vergangener Tage aus: Der ganz normale Wahnsinn (1979/80) gehört zur Reihe der Münchner Geschichten des Regisseurs und Autors Helmut Dietl mit launigen Milieu- und Charakterstudien der Schwabinger Medien- und Kunstszene. In Zeiten wie diesen animiert der Titel des Mehrteilers unweigerlich auch zu prinzipiellen philosophischen Überlegungen: etwa, was denn „normal“/„Normalität“ überhaupt bedeutet. Keine leichte Übung, denn bei der Beantwortung werden oft zwei unterschiedliche Begriffsebenen miteinander vermischt: eine wertende und eine beschreibende, also ein Soll- und ein Ist-Wert. Dank der Psychoanalyse haben sich im 20. Jahrhundert die Definitionen von Normalität und Abweichung verändert, seit den 1960ern führte dies zu einer tendenziellen Auflösung der Grenzen zwischen Konformität und Devianz. Mit dem Virus ist auch hier der Backlash gekommen, denn wenn jetzt seitens der Mächtigen von einer „neuen Normalität“ die PR-gesteuerte Rede ist, wird suggeriert, dass etwaige Abweichungen von diesen Normen zu bestrafen, die Widerborste zumindest auszugrenzen seien. Sprachphilosoph Paul Sailer-Wlasits hat den ursprünglich auf Donald Trump gemünzten Begriff „neue Normalität“ noch in Vor-Corona-Zeiten geprägt, die neue Auslegung kritisiert er aber heftig. Hätten Kanzler Kurz und seine Message-Control-Einflüsterer*innen etwa Hans Kelsen gelesen, dann wüssten sie, dass aus einer deskriptiven Feststellung, aus einem Sein (der Coronakrise) keine präskriptive Norm (sei folgsam, gewöhn dich daran!) abgeleitet werden darf. Nicht zuletzt, weil es von der sprachlichen zur realen Gewalt – via den Eskalationsstufen Marginalisierung (im besten Fall), Desavouierung und Kriminalisierung abweichenden kritischen Denkens und Handelns – eine direkte Verbindungslinie gibt.

So ganz nebenbei werden die Verlierer*innen der Coronakrise, die ohnehin meist schon zuvor am prekären Rand und im ökonomisch-sozialen Abseits standen, auch noch (und wieder einmal) gespalten und gegeneinander aufgehetzt. Das Coronavirus kennt eben viele Kollateralschäden.