Kultur und Tourismus haben in Salzburg Geschichte: 1842 – Aufstellung der Mozartstatue; in den 1880ern – Bau des Künstlerhauses. Groß war die Hoffnung, mit Kultur und Tourismus die fehlende Industrie wettzumachen. Und auch nach der Coronakrise greift Salzburg auf Kultur zurück, um die Stadt wiederzubeleben. Für und wider Kulturtourismus? Es positionieren sich Sandra Woglar-Meyer und Ben Pascal.
STANDPUNKT DACHVERBAND SALZBURGER KULTURSTÄTTEN
Vor 100 Jahren wurden die Salzburger Festspiele gegründet. Seit jeher sind sie Leitbetrieb, um Kultur und Tourismus zu verbinden. Die Wertschöpfung des Kulturtourismus ist bedeutend: Ein Festspielgast gibt im Durchschnitt 880 Euro pro Tag aus. Umso schwerer wiegt, dass Kulturstätten und Kulturtourismus unverbunden nebeneinander herlaufen. Es ist ein geteiltes Kulturland: Vorzeigeprojekte, in denen Tourismusorganisationen und Kulturstätten zusammenarbeiten, sind rar. Das setzt sich auf der politischen Ebene fort – Kulturinitiativen wenden sich an den Kulturlandesrat; Museen und Festspiele, die näher an der touristischen Wertschöpfung sind, an den Landeshauptmann. In dieser Situation können auch Zeitplanungen symbolisch verstanden werden: So findet das Festival ZWISCHENRÄUME, das viele lokale Künstler*innen versammelt, zeitlich getrennt von den Festspielen statt. „Hier muss sich etwas ändern“, sagt Dachverbandsobmann Karl Zechenter, „Der Tourismusplan 2020 ist ohne Vertreter*innen der Kultur zustande gekommen und hat genau eine Seite für die Kultur übrig. Doch sind genau hier die Projekte versammelt, in die das Land viel Geld investiert hat. Bei der Bedeutung des Kulturtourismus für Salzburg ist es wichtig, dass in Zukunft die Expert*innen aus der Kultur in diese Strategiepläne eingebunden und selbst gehört werden.“
PRO
Kunst und Kultur beleben die Salzburger Altstadt auch in Zukunft
Salzburg und sein Weltkulturerbe sind ein Vorzeigebeispiel dafür, wie Kulturtourismus zum Wohlstand einer Stadt, einer ganzen Region beitragen kann. Der wochenlange Corona-Shutdown und der damit verbundene wirtschaftliche und kulturelle Stillstand haben selbst die krisenerprobte Salzburger Altstadt stark gezeichnet. Neben der wirtschaftlichen Verunsicherung vermissten viele von uns das gesellschaftliche Leben und das gewohnt vielfältige kulturelle Angebot in Salzburg.
Als Beitrag zur Belebung von Stadt und Land veranstaltete die Altstadt Salzburg Marketing GmbH im Vorfeld der Salzburger Festspiele das Musik-, Kunst- und Performance-Festival ZWISCHENRÄUME vom 16. bis 31. Juli 2020. Unter dem Motto „Salzburg spielt auf“ sagten wir damit dem kulturellen Shutdown gebührend Ade. Gerade in dieser herausfordernden Zeit galt es als Interessenvertretung der Unternehmer*innen, Bewohner*innen und Beschäftigten in der Altstadt Salzburg Flagge zu zeigen und als Veranstaltungsexpertin in Aktion zu treten. Trotz der Kurzfristigkeit der Anfrage freuten wir uns, mit diesem Festival unseren Beitrag zur Unterstützung und Förderung der Salzburger Kulturszene leisten zu können. Mit ZWISCHENRÄUME wollten wir eine Lanze für die heimischen Kunstschaffenden brechen und ein bewusstes Signal zur Förderung der von der Krise stark gebeutelten Szene setzen. Oberste Prämisse war Fair Pay für alle teilnehmenden Künstler*innen. Unsere Intention war, heimischen Kulturtreibenden und -institutionen und darüber hinaus dem Handel sowie Gastronomie und Hotellerie positive wirtschaftliche Impulse zu verschaffen. Denn genau dieses Zusammenspiel von Kunst und Kultur, attraktiven Geschäften und einem vielfältigen gastronomischen Angebot belebt die Stadt. Unsere Erfahrung zeigt uns, dass sich derartige Veranstaltungen positiv auf unsere Mitgliedsbetriebe, vor allem auf den Handel und die Gastronomie auswirken.
Der Altstadt Verband Salzburg betreibt seit mittlerweile rund 20 Jahren Standortmarketing, um die Lebens-, Arbeits- und Erlebnisqualität in der streng geschützten Altstadt zu sichern. Die Salzburger Altstadt steht für eine hohe Aufenthaltsgüte, der Besuch der Altstadt bedeutet ein genussvolles Erlebnis mit allen Sinnen mitten im lebendigen Weltkulturerbe. Unsere wichtigste Aufgabe in Zukunft wird es sein, uns für die Qualität und Wertschöpfung im Tourismus einzusetzen und unsere rund 1.600 Mitgliedsbetriebe mit klassischen und zeitgemäßen Mitteln bestmöglich zu unterstützen. Ein Aspekt unserer Marketingstrategie sind Veranstaltungen im Jahreskreis. Etwa das Kulinarikfestival eat&meet, das die Salzburger Esskultur in den Vordergrund stellt, die Altstadtfeste, die Geselligkeit und Unterhaltung bieten, die Brasserie und das Jazz Festival Jazz&the City mit denen wir zeitgenössische Musik und damit Leben in die historischen Gassen bringen oder das Handwerksfestival HAND.KOPF.WERK, bei dem bis 17. November 2020 einzigartige Einblicke in die Handwerksbetriebe der Altstadt geboten werden. All diese Veranstaltungen liefern einen wertvollen kulturellen Beitrag zur Belebung der Altstadt, animieren Menschen im Umkreis von 70 bis 100 Kilometer von Salzburg, die Stadt zu besuchen und tragen damit wesentlich zur Wertschöpfung unserer Mitgliedsbetriebe bei.
CONTRA
Zukunftsfähige Visionen statt ‚Gratis-Festivals’ für Salzburg
Kulturtourismus, die Rettung der Stunde? Menschen besuchen aufgrund eines kulturellen Angebots ein Land bzw. eine Stadt. Nicht zu vergleichen also mit biertrinkenden, grölenden Strandtourist*innen, die vor allem Müll und diverse Körpersäfte in den von ihnen bereisten Regionen zurücklassen. Und doch gibt es – wie fast immer – Verlierer*innen und diese sind – wie so oft – die heimischen Künstler*innen.
Nichts gegen die Salzburger Festspiele (jedenfalls nichts, was nicht schon gesagt wurde), die gerade im Opern- und Musikbereich Weltstars und Weltklasse-Produktionen nach Salzburg bringen. Aber eine Konsequenz ist, dass sich Salzburgs Künstler*innen davor hüten, im Sommer zu viel alternatives Angebot darzubieten und bestenfalls einige kleine ‚Nischenprojekte’ wagen.
Und nichts gegen den Wunsch, den coronabedingten Publikumsrückgang mit Hilfe einer Veranstaltungsvervielfachung zu kompensieren, wofür sich Festivals hervorragend eignen. Nur: Sind die in Salzburg immer häufiger werdenden ‚Gratis-Festivals’ (nach dem Motto „all you can see“) tatsächlich das richtige Mittel zum Zweck? Und für wen sind Festivals überhaupt gedacht? Für die Masse. Und was will man der Masse schenken? Nur das Beste! Das Ergebnis ist, dass heimische Künstler*innen bei Salzburger Festivals oftmals umgangen, oder lediglich in Ermangelung besserer Alternativen gebucht werden. Und darauf ist man auch noch stolz! Leider ist die ausländische Ware nicht automatisch die bessere Ware, nur, weil sie nicht österreichisch ist. Ästhetik und Kunstauffassung anderer Länder sind bereichernd und unglaublich inspirierend, aber – ich wiederhole mich – nicht deshalb besser, weil fremd, weil weniger bekannt. Schön, wenn die Stadt belebt wird, entstünde in der Bevölkerung nicht der Eindruck, dass Kunst gratis zu sein hat, auch, damit das Geld für die wirklich wichtigen Dinge – Essen und Trinken – ausgegeben werden kann. Findet alle drei Monate ein umfangreiches ‚Gratis-Festival’ statt, wird bald die Bereitschaft fehlen, in der Off-Season die teuren und heimischen Produktionen zu begutachten.
Wie wäre es mit Festivals, bei denen sowohl die heimische Szene gestärkt, als auch der Wert von Kunst im Allgemeinen gehoben wird? Wie wäre ein Umdenken von Quantität in Richtung Qualität, weg von Massen an konsumwütigen Menschen, die, naturgemäß, das sehen wollen, was en vogue ist, hin zu einer „ästhetischen Erziehung des Menschen“? Wie wäre es, die künstlerische Marke Salzburg wieder zu stärken? War Salzburg früher doch für seine Kunst bekannt, ist es das nun aber vor allem für eine fortschreitende Red-Bulletisierung, die mit Gratis-Festivals unter Exklusion (bzw. massiver Einschränkung) Salzburger Kunst konsequent befördert wird. Von Salzburg in die Welt! Nicht die Welt nach Salzburg. Das wäre ein in jeder Hinsicht anspruchsvolles Ziel –, anspruchsvoll und dennoch realistisch. Doch dafür bräuchte es Zeit, Muße, Ruhe und Mut. Wäre das wirtschaftlich vielleicht zu wenig attraktiv? Wenn ich generelle aktuelle Entwicklungen betrachte, muss ich leider feststellen, dass Corona bewirkt hat, dass sich der Turbo-Kapitalismus durch Corona zu einem Ultra-Turbo-Kapitalismus entwickelt, der, um dem Ökosiegel gerecht zu werden, mit erneuerbarer Energie betrieben wird. Vom Schritt zurück, der so bitter nötig ist – und, konsequent zu Ende gedacht, mehrere Schritte nach vorne wäre –, entfernen wir uns mit einem unüberbrückbaren Sicherheitsabstand.
Oder gilt es in Zeiten einer neuen Normalität, sich über diese Entwicklung zu freuen? Denn: Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut!