Weniger ist mehr

Simon Hafner über Slow Down und den dringenden Schritt in eine nachhaltige Kulturarbeit.

Wir machen viel zu viel und das für zu wenig Geld
Kulturinitiativen, Kulturarbeiter*innen und Künstler*- innen stehen nicht erst seit Corona und den unzureichenden Unterstützungsmaßnahmen mit dem Rücken zur Wand. Der administrative Aufwand rund um Anträge und Abrechnungen ist spürbar gestiegen. Unfreiwilliges Ehrenamt steht schon lange an der Tagesordnung. Kulturbudgets stagnieren bestenfalls. Motivation und Begeisterung für die kulturelle Arbeit fallen nicht selten Überforderung und Dauerstress angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen im kulturellen Feld zum Opfer. Diese Realität führt zunehmend zu Verzweiflung und Burnout.

Arm und keine Zeit — muss das sein?
Trotz der angespannten Lage ist die Strategie ‹Relevanz durch Output› weit verbreitet. Mit jedem neuen zusätzlichen Projekt, mit jeder neuen Veranstaltung hofft man auf die Anerkennung durch die Fördergeber*innen, um die eigene prekäre Lage zu verbessern. Es ist dringend notwendig, umzudenken und Auswege aus diesem Hamsterrad zu suchen. Obwohl Corona einen großen Pause-Knopf ausgelöst hat, haben sich Anforderungen, Mechanismen und Strategien dadurch nicht wesentlich verändert. Digitalisierungsprojekte, gratis Content, Online-Formate, Programmadaptionen, Verschiebungen, sichtbar bleiben – am besten alles auf einmal und das sofort. In Wahrheit ist es ein schrecklicher Mythos, dass das kulturelle Feld bei Überlastung, Krise und in schwierigen Zeiten erst richtig aufblüht.

Faire Bezahlung ist nicht an höhere Budgets gebunden
Im Verlauf der letzten eineinhalb Jahre hat die IG Kultur Steiermark viele Gespräche und Diskussionen geführt.¹ Im Mittelpunkt stand dabei ein Modell mit der Bezeichnung ‹Slow Down›: Stell dir vor, Folgendes wäre möglich: Du reduzierst den Umfang deines geplanten Programms um die Hälfte. Bei gleichbleibender Finanzierung ist es dafür möglich, Gehälter und Honorare nach dem Fair Pay Schema zu erhöhen. Verwaltung, Fördergeber*innen und Fördergremien akzeptieren deinen neuen Budgetplan, der keinerlei Nachteile oder Kürzungen für Folgeprojekte bedeutet. Im Gegenteil, Fair Pay ist selbst ein Förderkriterium geworden. Dabei geht es nicht darum, Kulturakteur*innen vorzuschreiben, unter welchen Bedingungen sie arbeiten sollen, sondern die Voraussetzungen für faire Bezahlung in der Kulturarbeit zu schaffen. Will die Kulturpolitik ein gleichbleibendes Niveau an Veranstaltungen und Produktionen, dann müssen die Budgets erhöht werden. Die Kulturmilliarde braucht es so oder so!

Ein Baustein für ein besseres Heute
Es wird viel Überzeugungskraft durch Interessenvertretungen nötig sein, um ein Verständnis und Umdenken in der Kulturpolitik, der Verwaltung und den Fördergremien zu erreichen. Es braucht aber auch Engagement von Kunst- und Kulturarbeiter*innen selbst. Denn der grundlegende ökonomische Druck und die vielfältigen Probleme werden mit Slow Down nicht automatisch geringer. Allerdings hat Slow Down das Potential, faire Bezahlung selbst bei kleinen Budgets zu realisieren und mehr Platz im Terminkalender zu schaffen. Die gewonnene Zeit sollte dringend dafür genutzt werden, um an strukturellen Änderungen für mehr Nachhaltigkeit im Kulturbereich zu arbeiten, solidarischer zu handeln und tiefwirkende Kooperationen zu gestalten. Zeit brauchen wir auch dringend, um unsere rauchenden Köpfe in einen gelassenen, reflektierten Modus zu bringen. Zeit, um inmitten multipler Krisen mit Kolleg*innen und Partner*innen in der Zivilgesellschaft Auswege und Strategien zu entwickeln, die mehr als ein reines Reagieren auf aktuelle Herausforderungen sind. Wir brauchen auch Zeit, um gemeinsame Denkräume zu erarbeiten. Nur dadurch wird es möglich, im Jetzt ein Momentum zu schaffen, das unmittelbar wirkt und das wir so dringend brauchen – weit über das kulturelle Feld hinaus.

¹ Etwa nachzuhören unter: → igkultur.at/artikel/slow-down-kulturarbeit