Wenn die Community zur Economy wird

Was die initiative Kulturarbeit vom künftigen Milliardenmarkt ‚Passion Economy‘ lernen kann, erfragt Katharina Serles bei Severin Zugmayer, Senior Associate eines Venture Capital Fonds für europäische Startups.

Katharina Serles: Was ist unter der sogenannten ‹Passion Economy› zu verstehen?

Severin Zugmayer: Meiner Interpretation nach geht es hier um eine Weiterentwicklung der ‹Gig Economy›, die in den letzten Jahren aufgekommen ist und die Uber-Fahrer*innen oder Last-Mile-Delivery meint, also einen Arbeitsmarkt, bei dem kleine Aufträge kurzfristig an vorwiegend Selbstständige vergeben werden. Das ist ein Sektor, der automatisiert und maschinell ist, wenig kreativen Freiraum bietet. In der ‹Passion Economy› ist man ebenso sein/ihre eigene*r Chef*in und kann sich ohne viel Aufwand selbst vermarkten, aber es geht zusätzlich darum, die eigenen Talente und Fähigkeiten zu präsentieren und zu monetarisieren. Das Ganze kommt aus der ‹Creator Community›: Etliche ‹Creators› oder Kreative produzieren Inhalte, bauen eine ‹Community› auf und nutzen die heute ausreichend vorhandene technische Infrastruktur (wie Newsletter, Blogs, Instagram, YouTube, Twitch, etc.) zur Selbstveröffentlichung und Monetarisierung. Damit können wir dann von einem Wirtschaftsfaktor sprechen, die Community wird zur Economy.

Wie groß ist dieser Wirtschaftsfaktor und wie entwickelt er sich?

Die Branche selbst steckt zwar noch in den Kinderschuhen, wird aber definitiv extrem wachsen. Das ist ganz klar ein Milliardenmarkt. Was die Technologieinfrastruktur betrifft, haben uns die Chines*innen übrigens mit ihren Super-Apps wie WeChat längst überholt. Innerhalb dieser Apps sind alle Transaktionen – von Kommunikation bis Bestellung und Zahlung – möglich. Plattformen wie YouTube haben das mittlerweile auch erkannt und bieten langsam andere Monetarisierungsmöglichkeiten als Werbung an. Deine Inhalte sind also nicht bloß mittelbar monetarisiert, indem du Anzeigen schaltest, wenn du genügend Views hast, sondern deine Fans können dich leicht und direkt für deinen Content bezahlen. Nicht nur für den Kulturbereich könnte auch das ‹Tipping› spannend werden, wo du als Zuseher*in Micro-Payments, also Trinkgeld geben kannst.

Worin unterscheidet sich die Passion Economy von Kulturarbeit, die häufig als ‹Hobby› abgewertet und entsprechend selten adäquat entlohnt wird?

Wohl in der Nutzung von Technologien. Vor zwanzig Jahren hätte ich als leidenschaftlicher Koch oder Maler wenig Möglichkeiten gehabt, jemanden zu erreichen, berühmt zu werden und mich zu monetarisieren. Heute stelle ich mir eine Kamera hin, zeichne mich beim Kochen auf, bin selbst Creator und kann mir überlegen, was, wie und wem ich etwas präsentieren will. Ein konkretes Beispiel wäre Inkitt, eine Plattform, die es jedem/jeder Hobby-Autor*in ermöglicht, Romane für die Community gratis hochzuladen. Ein Algorithmus untersucht dann, welche Romane die meiste Aufmerksamkeit bekommen. Diese werden dann professionell lektoriert und entsprechend für die Zielgruppe aufbereitet. Über die Inkitt-App werden diese Romane dann erneut veröffentlicht, nun kostenpflichtig. Für einige dieser Hobby-Autor*innen ist das mittlerweile zu einer beachtlichen Einnahmequelle geworden.

Inwiefern verändern sich dabei die Begriffe von Arbeit und Konsument*in?

Im Prinzip werden die Konsument*innen wiederum Creators, das nennt man die ‹enterprization of consumer›. Diese Flexibilität wirkt sich letztlich auch auf den Arbeitsbegriff aus. Du hast die Freiheit, dir deine Arbeit selbst zu wählen. In Bezug auf die Gig Economy ist das natürlich idealistisch, dort bist du auf gewisse Modelle beschränkt, abhängig von der Nachfrage und wirst wohl auch nicht reich. Trotzdem ist es ein einfacher Weg für viele Menschen, an Geld zu kommen. Das ist eine Demokratisierung. Die Passion Economy geht noch einen Schritt weiter: Ich kann entscheiden, was mein Content ist, was ich createn möchte und wie ich das monetarisieren kann.

Siehst du in diesem Modell auch Gefahren, oder ist das uneingeschränkt positiv für dich?

Nichts ist uneingeschränkt positiv. Gig und Passion Economy sind weit weg von Arbeitsschutz und Arbeitsrecht, es gibt keine Gewerkschaften oder Vertretungen. Sie sind fragil, trendlebig und plattformabhängig: So schnell ich Geld machen kann, so schnell kann alles auch wieder zusammenbrechen. Was bringt euch als Investor*innen dann trotzdem dazu, in Projekte zu investieren? Wir sind ein Venture Capital Fonds, also ‹Wagniskapitalgeber*innen›, und haben als solche strenge Kriterien, die wirtschaftlich orientiert sind. Wenn wir in ein Modell investieren, muss es skalierbar sein, schnell wachsen können und im Bestfall Netzwerkeffekte haben. Wir investieren nicht in einzelne Creators sondern in Plattformen. Unser Geschäftsmodell ist die ‹enabling technology› hinter der Passion Economy.

Sehr zugespitzt formuliert, machen lokale Kulturvereine nichts anderes, als Plattformen für Künstler*- innen zu bieten. Gleichzeitig steckt dort selten jemand viel Geld hinein. Was würdest du der Freien Szene raten, was könnte sie aus der Passion Economy lernen?

Das ist schwierig. Spontan würde ich sagen, da müsste man beim ‹use of technology› ansetzen, ‹tech savy› werden. Man könnte sich ansehen, welche Plattformen man für sich nutzen kann, wie man Prozesse streamlinen und Mittel effizienter einsetzen kann. Umgekehrt ist aber die Frage, ob Kulturvereine denn überhaupt dasselbe wollen; da ist es ja oft kein Ziel, Millionen Menschen zu erreichen und ein starkes Monetarisierungsmodell zu schaffen, sondern regional Wert zu schöpfen, Kulturangebote zu liefern, relevant zu sein. Unser Ziel ist es, Geld von Investor*innen so zu investieren, dass es Geld zurückbringt. Ich hoffe, dass das nicht das gleiche Ziel einer Kulturplattform ist.

Abgesehen davon, dass es ein Markt ist, wieso ist die Passion Economy unterstützenswert, was ist der gesellschaftliche Wert des zugrundeliegenden kulturellen Ausdrucks?

Die Passion Economy fördert Kreativität. Es ist erfrischend, wie kreativ junge Menschen auf Plattformen wie TikTok sind; und es ist ein schöner Gedanke, einzelnen Menschen Tools in die Hand zu geben, mit denen sie ihre Fähigkeiten präsentieren und teilen können.

Comic von Stephan Gasser.