„Ich würde liebend gerne in Salzburg arbeiten!“

Weil Simone Seymer bei der Organisation ihres eigenen Festivals, der frei_stadt_hallein, initiiert von Sudhaus Hallein, an Grenzen der Belastbarkeit stieß und nicht zufrieden war mit den finanziellen Möglichkeiten, die sie den beteiligten Kulturarbeiter*innen und Künstler*innen bieten konnte, suchte sie das Gespräch mit Christian Winkler, Co-Organisator und -Kurator von INTERLAB, um Hürden für zeitgenössische Kunstprojekte zu diskutieren.

Simone Seymer: Christian, du hast zusammen mit Marko Dinic das interdisziplinäre Festival INTERLAB ins Leben gerufen und kuratiert — was war euer Beweggrund?

Christian Winkler: Wir haben in Salzburg viele spannende Künstler*innen kennengelernt, die alle auf der Suche nach Berührungspunkten zwischen zeitgenössischen Kunstproduktionen verschiedener Sparten waren. Wir setzten mit INTERLAB auf Kooperation und bündelten die Ressourcen, die bereits vorhanden waren. Das Konzept zur Leerstandsnutzung entstand im Dialog mit der Stadt Salzburg.

Kulturelle Zwischennutzung von Leerstand ist in Österreich kein Novum mehr. Renommierte Festivals und Initiativen nutzen leere Räumlichkeiten für Kulturprojekte, der Steirische Herbst und die Ars Electronica sind nur zwei Beispiele dafür. Wieso ist Leerstandsnutzung für eine Stadt wie Salzburg oder Hallein wichtig?

In Salzburg bestehen diesbezüglich viele Missstände: Viele junge Leute, die engagiert sind und Ideen haben, können sich die Pacht nicht leisten, die Stadt ist einfach zu teuer. Dabei steht so viel leer! In der Altstadt sind es über 70 Prozent der Wohnungen!

Das ist in Hallein ähnlich. Hier stehen auch viele Geschäftslokale leer. Warum ist es eine Herausforderung, Leerstand mit Kunst zu bespielen?

Um einen Leerstand auch nur wenige Tage in ein Zentrum für Kunst zu verwandeln, braucht es in Salzburg eine Betriebsstättengenehmigung. Wenn du ein Geschäftslokal ein Wochenende bespielen willst, musst du den Raum vom Bauamt so genehmigen lassen, als ziehe ein Riesenbetrieb wie das Rockhouse ein. Mit unserem ersten Antrag sind wir trotz guten Willens von Eigentümer*innen und Anrainer*innen an der strengen Auslegung der Gesetzestexte gescheitert.

In Hallein konnten wir für die frei_stadt eine Zwischenlösung finden, damit wir nicht in demselben Umfang Genehmigungen brauchten. Ob die Haftpflichtversicherung allerdings gezahlt hätte, wenn wirklich was passiert wäre, weiß ich nicht. Gab es für euch keine solche Möglichkeit?

Wir suchten eine Location für 500 Besucher*innen, da funktionieren Umgehungen nicht mehr. Außerdem bin ich es leid, Schlupflöcher suchen zu müssen! Unsere Forderung: ein Leerstands-Gesetz für die spezielle Situation der kulturellen Zwischennutzung. In Leipzig oder Bremen zum Beispiel wurden gesetzliche Nutzungshürden gezielt abgebaut.
Für das zweite Festival haben wir uns einen Anwalt genommen, der gut in der ÖVP vernetzt ist. In dem Jahr haben wir dann auch eine Betriebsstättenbewilligung für die Location erreicht, allerdings nicht ohne einen Berg an Arbeit.

Und wie viel Budget hattet ihr im ersten Jahr?

An Kulturförderungen gut € 15.000,-.

Das ist nicht dein Ernst! Demnach war die frei_stadt verhältnismäßig gut ausgestattet mit € 23.000,und einer bezahlten Kraft, die die Umsetzung hauptsächlich organisiert hat.

Für die zweite Festivalausgabe 2016 bekamen wir dann gerade mal einen Tausender mehr von der Stadt – wir träumten von der Null hinten dran. Beim Land war es wegen des Kulturentwicklungsplans etwas einfacher, allerdings ebenfalls nur mit Aussicht auf mittelfristige Erhöhung. Wir argumentierten, dass wir bessere Gagen und Löhne im Sinne des Fair-PaySchemas anstreben – es gab dann allerdings ebenso nur € 1.500,- mehr.

Was war dein Honorar 2016?

Beantragt haben wir nur symbolisch € 1.000,- für meinen Kollegen Marko und mich, aber wir haben uns das Geld letztendlich nicht ausbezahlt. Bei einer Fördererhöhung von maximal € 1.500,- macht es keinen Sinn, den Übergang von Ehrenamt auf Fair-Pay vor Augen zu wähnen. Den eigentlichen Wert unserer Arbeitskraft haben wir dann lediglich als unbare Eigenmittel ausgewiesen.

Nach 2016 gab es keine Neuauflage vom INTERLAB Festival mehr, ist das richtig?

Nach dem Festival 2016 in der ehemaligen Rauchmühle war das ganze Team sehr beflügelt und überzeugt, das Festival längerfristig etablieren zu können. Wir planten also für 2017 das nächste und verlegten für eine Kooperation mit der Stadt alles kurzfristig um, zeitlich und räumlich. Wir haben alle Verträge umgeschrieben. Dann die Schreckensnachricht: Die vorgeschlagene Location kann wegen bereits begonnener Baustelle doch nicht bespielt werden. Da haben wir das Festival abgesagt. Geblieben ist ein Minifestival mit Konzert und Lesungen, in denen es passenderweise um Idealismus und Kulturprekariat ging.

Was haben diese Entwicklungen für dich bedeutet?

Ich persönlich war natürlich enttäuscht und zweifelte zunehmend an der Machbarkeit eines Leerstandsfestivals in Salzburg. Das war auch der Punkt, an dem ich meinen eigenen Glaubenssätzen nicht mehr folgen konnte: «Wir müssen jetzt dranbleiben und ehrenamtlich weiterarbeiten, damit wir stückweise eine solide Kulturorganisation aufbauen, die Salzburg nachhaltig mitgestaltet!». Unser Team war kurz davor, auszubrennen. Ständige Ungewissheit: Kriegen wir die Location? Die Gage? Wann können wir proben? Monatelang haben wir wie Topmanager*innen gearbeitet, aber mit den Rahmenbedingungen von Hausbesetzer*innen.
Ich hatte dann einen Traum, in dem ich abwechselnd in die Gestalt der Karotte, des Esels und des Reiters gerutscht bin. Das Bild kennt man ja. Und ich wusste dann mit einem Mal nicht mehr: Wer in diesem Bild bin ich? Das ging mir nahe, seelisch. Ich fragte mich, ob wir das Problem eher verstärken statt lösen, indem wir uns ein fürs andere Mal auf den Kreislauf aus Selbst- und Fremdausbeutung einlassen und damit prekäre Arbeitsbedingungen schaffen. Da haben wir es dann sein lassen. Die meisten haben andernorts Jobs angenommen. Ich würde liebend gerne in meiner Geburtsstadt Salzburg tätig sein, aber die Stadt muss sich endlich entscheiden, ob sie den selbst auferlegten Erneuerungs- und Kulturentwicklungsplänen mehr als Lippenbekenntnisse abgewinnen möchte.