Teil 1 der Streetview Deluxe: Vina Yun über das Ende von Heimat.
Seit der Heimatbegriff zu Beginn des 19. Jahrhunderts Eingang in den alltäglichen deutschsprachigen Wortschatz gefunden hat, ist er von Höhen und Tiefen geprägt. Er ist also ein Begriff mit überraschend junger Geschichte – der gleichzeitig etwas beschreibt, das vorgibt, geschichtslos und ursprünglich zu sein. Konjunktur erlebt ‹Heimat› vornehmlich in Zeiten der Krise und gesellschaftlicher Umbrüche, und so wollen viele auch den derzeitigen ‹Hype der Heimat› als Reaktion auf eine als entgrenzt und entsichert empfundene Gegenwart lesen.
Empfindung ist hier das Schlüsselwort: Heimat ist eine sentimentale Chiffre für Geborgenheit, Sicherheit, die Abwesenheit von Leid und Unglück. In der Regel beschwören Heimatbilder aus Politik, Werbung und Medien eine vorindustrielle Welt. Seit jeher wird die ländliche Idylle und die scheinbar natürliche Verbindung von Brauchtum und Natur romantisiert: Heimat als Sehnsuchtsort.
Heimat, so könnte man sagen, ist Glaube. Der Begriff beschreibt einen Ort, den man nie erreicht: weil es der Ort ist, an dem man nicht ist. Heimat ist das, was schon immer verloren ist – so wie die ‹gute alte Zeit›. Eine ‹Retrotopie›, wie es Zygmunt Bauman nennt, oder wie Ernst Bloch sagte, «ein Land, in dem noch keiner war.»
Die wiederkehrenden Versuche, ‹Heimat› von links zu definieren und den Begriff seines völkischen Charakters zu entledigen, schlagen stets fehl. Warum? Weil die Bilder und Symbole dieselben bleiben: Sie imaginieren weiterhin eine homogene Gemeinschaft, einen homogenen Raum. So ist der Heimattraum der Einen der Albtraum der ‹Anderen›, die nicht dazugehören. Denn Heimattümelei ist der emotional aufbereitete Nährboden für Größeres: Nation und Vaterland. «Heimat ist die falsche Antwort auf falsche Verhältnisse», erinnert uns Thorsten Mense.
Daher sprechen viele lieber von ‹Heimaten› im Plural, noch lieber aber von ‹Zuhause› oder ‹Belonging›. Ein Zuhause wird ausgesucht, erschaffen. Es ist ein Ort der Wahl, nicht der Vorherbestimmung. Zuhause ist, wo Freiheit, Möglichkeit ist. Zuhause ist, wo ich gebraucht werde – weil ich Teil davon bin. Wer ein Zuhause hat, braucht keine Heimat.
Lesetipp: Fatma Aydemir / Hengameh Yaghoobifarah (Hg.): Eure Heimat ist unser Albtraum, Ullstein fünf 2019, ISBN-13 9783961010363, 208 Seiten.