Aussage! Rufzeichen! Die Kulturszene soll sich solidarisieren. Fordert wer? Und warum? Passiert das nicht ohnehin? Warum Solidarität innerhalb der Kulturszene wichtig ist und was dadurch entstehen kann. Karl Zechenter, Obmann des Dachverbandes Salzburger Kulturstätten, im Gespräch.
Anita Thanhofer: Wann ist Solidarität notwendig? Und ist es heute leichter als früher, solidarisch zu sein?
Karl Zechenter: Solidarität ist immer notwendig. Und natürlich empfindet man es heute als einfacher, schon allein aufgrund der digitalen Möglichkeiten. Wir werden beinahe täglich dazu aufgerufen, Petitionen zu unterzeichnen. Irgendwann kommt aber der Moment, an dem man hinterfragt, ob dieses Tun auch nachhaltig ist, ob das „sich einbringen“ etwas nützt. Da ist dann die Erinnerung an Situationen gut, in denen man selbst Solidarität erfahren hat. Zum Beispiel wenn Förderungen gekürzt werden, ist es wichtig, dass man nicht alleine ist!
„Zu netzwerken“ ist fester Bestandteil im Berufsbild von Kulturschaffenden und KulturvermittlerInnen und passiert oft ehrenamtlich. Welche Rolle spielen Netzwerke wie der Dachverband für freie Kulturinitiativen?
Solidarität ist ein Impuls, ein Ausgangspunkt, der nicht verpuffen darf. Um die Energien aufzufangen, braucht es Netzwerke. Es braucht professionelle Strukturen, nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den Regionen, und in vielen künstlerischen Sparten, vom Tanz bis zur Bildenden Kunst. Da müssen Interessenvertretungen gefördert werden! Um vertiefend solidarisch zu begleiten, benötigt es stabile und feste Strukturen, die diese Arbeit hauptamtlich leisten können.
Wie sieht es in der Praxis aus, was beschäftigt Kulturschaffende?
Oft eine Zwickmühle: Kulturarbeit schafft einen Rahmen des Dialogs und der Solidarität. Zugleich sind die Bedingungen prekär: Die Studie zur sozialen Lage von KünstlerInnen weist ein Durchschnittseinkommen von 5.000 Euro netto aus. Die, die also selbst zur Solidarität beitragen, sind in einem schwierigen, von starkem Wettbewerb geprägten Feld tätig. Da entstehen viele Fragen: Von wo kommen Hilfestellungen? Steht eine Community hinter uns? Haben andere dieselben Herausforderungen? Jede/r agiert aus einer anderen Situation heraus und doch machen alle, alle Stationen und Situationen einmal durch. Um anderen den Weg zu verkürzen, kann eine solidarische Haltung zueinander unnötige (Um)Wege ersparen.
Kulturinstitution und Kulturprojekte gehören zum Stadtbild, sie sind normal. Doch dafür brauchte es Anschub: Gibt es positive Beispiele aus der Arbeit des Dachverbands der Salzburger Kulturstätten?
Der Dachverband ist natürlich selbst ein Generator für Solidarität – für die Kulturstätten und darüber hinaus. Ziel der Aktion „Hunger auf Kunst und Kultur” ist etwa, den Zugang zu Kultur zu erleichtern. Immer wieder traten Dachverband und Kulturstätten gemeinsam auf: In den 1990ern beispielsweise hätte das Programmkino „Das Kino“ an Constantin Film verkauft werden sollen, was gemeinsam verhindert werden konnte. Nach dem Finanzskandal 2013 unterschrieben über 10.000 Menschen die Petition „Kulturland Salzburg“. Das war ein wichtiger solidarischer Rückhalt.
Zur Gegenwart: Warum gerade jetzt ein Aufruf zu mehr Solidarität?
Zum Beispiel die „Erklärungen der Vielen“ in Deutschland und auch in Österreich zeigen, dass ein solidarisches Miteinander notwendig ist und wieder Resonanz findet. Ziel ist es, dass sich mehr Menschen an der Kultur beteiligen können. Eine Facette unter vielen ist, dass sich auch etabliertere Institutionen stärker für die freie Szene einsetzen. Wichtig ist für mich der Zugang, dass eine solidarische Haltung mehr ist, als eine Petition zu unterschreiben. Sie äußert sich in Netzwerken und Produktionsweisen, z. B. daran, andere mitprofitieren zu lassen.
Du sprichst die Produktionsweisen an: Im digitalen Raum ist es üblich, KulturakteurInnen, Publikum, PartnerInnen und KollegInnen im Sinne von „Share and Care“ bereits an Entwicklungs- und Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen. Wie geht ihr mit offenen Prozesse um?
Wo immer es geht, wollen wir als Dachverband in diesem Bereich anregen: Wie geht Open Source im Kunst- und Kulturbereich, in dem es so stark um Unterscheidung und Unverwechselbarkeit geht? Ich sehe hier viele Fortschritte, z. B. in der Erstellung des Kulturentwicklungsplans des Landes Salzburg. Oder in der Stadt Salzburg, wo eine Kulturinitiative gemeinsam mit der Kulturabteilung einen solchen Prozess initiiert hat. Ich sehe in der Beteiligung bei unseren eigenen Tätigkeiten, in Treffen und Laboren, die von vielen anderen organisiert werden, dass eine rege Szene der Kooperation entsteht. Bis vor einigen Jahren waren Kooperationen von Seiten der FördergeberInnen sogar eher von einem Misstrauen begleitet, ob es sich dabei nicht um Mehrfachfinanzierungen handle.
Eine wichtige Etappe für Salzburg ist nun sicher das Teilen von Informationen, Ressourcen, Know-how zu Prozessen in Regionen abseits des Zentralraums. Wir haben dafür seit längerem regionale, sehr niederschwellige Koordinationsstellen eingefordert, die langsam auf den Weg kommen.
Welche Perspektiven tun sich dadurch und darüber hinaus für die Kulturlandschaft auf?
Ganz konkret sind in Salzburg die nächsten Schritte, die zeitgenössische Kunst und Kulturarbeit außerhalb des Zentralraums zu fördern und von Seiten der etablierten Institutionen auch in der freien Szene mit zu stützen. Es geht darum, Allianzen mit Gemeinden zu finden und ein viel intensiveres Verhältnis mit der starken Infrastruktur des Tourismus aufzubauen. Der viel gerühmte Kulturtourismus hat ja auch etwas mit den Kulturstätten im Land selbst zu tun. Wir müssen uns als Delegierte verstehen, eine neue und gemeinsame Haltung finden und diese in solche Kooperationen hineintragen. Dazu brauchen wir auch die andere Seite, eine solidarische Haltung des Tourismus gegenüber der Kultur. Insgesamt braucht es ein Bemühen, neue DialogpartnerInnen zu finden und dort anzusetzen, wo soziale, kulturelle und gesellschaftliche Ausschlussmechanismen Schwellen zur kulturellen Teilhabe aufbauen.
Solidarität ist die verbal geäußerte Bereitschaft,
– mit anderen Menschen (Familie, MitarbeiterInnen, NachbarInnen, Flüchtlingen, Fremden usw.)
– Lebenschancen (Geld, Zeit, Emotionen, Posten, Ansprüche, Rechte usw.) zu teilen,
– um eine gerechtere Verteilung dieser Lebenschancen zu erreichen.
Der dritte Teil der Definition kommt nicht bei allen Dimensionen zum Tragen
Paul M. Zulehner, Hermann Denz, Anton Pelinka, Emmerich Tálos, Solidarität – Option für die Modernisierungsverlierer, Innsbruck 1997, 51–52; zitiert nach: Hermann Denz, Solidarität in Österreich. Strukturen und Trends, SWS-Rundschau 3/2003
http://www.sws-rundschau.at/archiv/SWS_2003_3_Denz.pdf