Damit aus dem Kulturverein kein SeniorInnenclub wird: Christa Hager hat sich umgehört, wie Vereine gegen Überalterung vorgehen.
Auf Junge zugehen
Ein Samstagvormittag im Wehrgraben in Steyr. Backstage in der Küche des Röda stapelt sich zum Trocknen das nasse Geschirr zu einem breiten Turm. Der schwere, lange Holztisch ist leer, die großen Aschenbecher sind es auch, die Essensreste verräumt oder im Müll. Filterkaffee tröpfelt leise in die Thermoskanne. „Kommunikation“, sagt Marlene Baranyik, „und ein gewisses Maß an Engagement sind wichtig, wenn man bei uns mitmachen will“. Sie zählt im fünfköpfigen Röda-Vorstand gemeinsam mit zwei anderen zu den Jungen unter 30, die beiden anderen sind mehr als 40 Jahre alt. Offenbar setzt der Verein einiges daran, junge Leute aufzubauen. Jürgen Köglberger, Obmann und seit Beginn beim Verein: „Wir wollen immer Junge im Vorstand haben. Allerdings ist es schon lange her, dass jemand auf uns zugegangen ist, um mitzumachen. Daher gehen wir auf die Leute zu.“
Was ist alt, was ist jung? Wenn ich mir heute die Jugendlichen anschaue, dann sind viele älter als ich: Die gehen nicht fort. Jürgen Köglberger, Kulturverein Röda
Es gibt keinen Unterschied, wie ältere und jüngere mit Kulturarbeit umgehen. Zumindest keine, die man am biologischen Alter festmachen könnte. Abgesehen von der Erfahrung: Leute mit mehr Erfahrung haben auch einen anderen Zugang dazu. Marlene Baranyik, Kulturverein Röda. Foto: Christa Hager
Man sei bemüht, ergänzt Marlene, den Einstieg in die Vereinsarbeit so niederschwellig wie möglich zu halten und Austausch von Wissen auf breiter Ebene zu ermöglichen. Problematisch werde es laut Obmann nur dann, wenn man auf jemanden zählt und dieser oder diese dann zum Studieren weggeht. „Aber das gibt’s wahrscheinlich überall.“
Kulturarbeit am Land
In der Tat. „In einer Kleinstadt wie Freistadt behalten nur wenige junge Leute ausbildungs- oder berufsbedingt ihren Lebensmittelpunkt. Dadurch ergibt sich ein steter Wechsel an jungen KulturmitarbeiterInnen“, erzählt Hedi Hofstadler ein paar Tage später. Sie ist ebenso wie Wolfgang Steininger seit Anfang an Mitglied der 1984 gegründeten Local-Bühne Freistadt und gemeinsam mit ihm bis heute im Vorstand. Aber man arbeitet an der Übergabe. „Wir sind gerade mitten drinnen. Es ist ein fließender Übergang, es wird stückweise übergeben an die jüngeren Generationen. Wer welche Bereiche übernehmen könnte, darüber machen wir uns schon seit geraumer Zeit Gedanken.“ Wichtig, betont Hedi, sei dabei vor allem Zurückhaltung: „Man muss den Leuten freie Hand lassen“.
Dass es am Land schwer ist, längerfristig zu motivieren, weiß auch Markus Sandner vom Kulturverein Frikulum. „Aber es bleiben immer ein paar Leute hängen, die sich voll reinhauen,“ freut er sich. Rund ein bis zwei Leute kommen pro Jahr neu dazu. „Außerdem sind viele Eltern im Verein. Mit den Kindern kommt dann sicher bald ein Schub nach“.
Das Seewiesenfest würde sicherlich ganz anders ausschauen, wenn man heute neu damit anfangen würde. Mathias Gruber, Frikulum. Foto: Christa Hager
Elterngeneration als Zugkraft
Exemplarisch für den Eltern-Einfluss steht der Musik-Kulturclub in Lembach im Mühlviertel. Der Verein ist gut 30 Jahre alt, das Ruder hat mittlerweile die junge Generation übernommen. Doch dafür hat es einige Anläufe gebraucht. Bernhard Baumüller, 27 Jahre lang Obmann, erzählt: „Nach 20 Jahren ist uns die Luft ausgegangen. Wir haben angefangen zu suchen. Mundpropaganda und Aussendungen haben aber nur kurzfristig was gebracht“. Seit drei Jahren macht sein Sohn Peter die Obmannsarbeit, mit ihm kamen viele seiner FreundInnen und Bekannte zum Verein. „Die Jugendlichen muss man heute woanders abholen als früher“, weiß auch Michaela Kramesch, seit September 2018 neue Geschäftsführerin von Radio FRO. „Die wirklich Jungen sind aber nicht mehr über Facebook zu erreichen, die haben andere Netzwerke und Kanäle, auf Facebook sind schließlich ihre Eltern unterwegs!“
Erste Schicht hinter der Bar, und dann?
Ortswechsel. Samstagabend in Wels. In der Festivalkantine des Alten Schl8hofs ist es laut und quirlig, aber nicht hektisch: Viele der BesucherInnen von music unlimited stärken sich für den bevorstehenden langen Musikabend. Die meisten Anwesenden zählen zu den älteren Semestern, nur die hinter der Theke sind um einiges jünger. „Braucht man wen, der mithilft, dann findet sich auch wer“. Theresia Meindl (35) ist seit fünf Jahren im Vorstand. Verjüngung sei laufend Thema, konkrete Strategie gebe es keine. „Wenn’s passt, dann passt’s. Und zum Glück tut es das oft, man muss aber dahinter bleiben und das Thema im Kopf behalten“, sagt sie. Aber für viele sei nicht klar, dass jeder und jede dabei sein kann.
Cliquen sind für Vereine typisch. Sie fördern Berührungsängste und sorgen dafür, dass frischer Wind vor allem aus dem Umfeld kommt. Trotzdem schaffen es manche Vereine, den Radius zu vergrößern: Mitarbeit an der Bar oder an der Kasse sind hierfür Klassiker, aber auch Proberäume, Kooperationen mit Schulen, Theater, Themen- oder Kinoabende, (Schul-) Bälle oder Festivals, Radiosendungen, Vermietung können dem entgegenwirken. Allerdings sind Hemmschwellen auch auf mangelnde Bereitschaft, sich mit Neuem auseinanderzusetzen, zurückzuführen, sagt Olivia Schütz. Sie kam Anfang der 2000er Jahre als Jüngste in den Vorstand der Linzer Stadtwerkstatt, später war sie dort einige Jahre Geschäftsführerin. „Viele wollen eingebunden werden, aber nur wenige Verantwortung übernehmen. Triviale Aktivitäten werden schnell fad.“ Will man neue Menschen langfristig gewinnen, ist auch die inhaltliche Entwicklung wichtig, betont sie. Dass sich jemand wirklich einlässt, das sei heute jedoch schwieriger als damals.
Man muss die Jüngeren machen lassen. Man muss sie Fehler machen, aber nicht an die Wand rennen lassen. Bernhard Baumüller, Musik-Kulturclub Lembach. Foto: Musik-Kulturclub Lembach
Verankerte Strukturen – Chance oder Hindernis?
Tragen nicht auch Eventkultur und Kulturmanagement zu dieser Entwicklung bei? “‘Es gibt wen, der das eh gut kann und der das auch macht’: Durch solch Denken gibt es sicher mehr Lethargie als früher“, meint Theresia. Olivia wiederum betont: „Junge Leute gehen heute anders mit sich selbst um, sie wissen, was sie und ihre Inputs ‚wert‘ sind. Aber wir haben damals nicht mal Stunden gezählt“.
Konflikte zwischen den Generationen entstehen in den Vereinen deshalb nicht, befinden die dazu Befragten. Allerdings kann sich dadurch die Arbeit ändern, auch inhaltlich. Felix (37) in der Booking-Gruppe der Stadtwerkstatt, bringt die Ambivalenz auf den Punkt: „Die institutionalisierte Herangehensweise hat ein gewisses Verständnis, zum Beispiel für die Vorgaben der Behörden, erhöht. Das erleichtert unsere Arbeit. Auf der anderen Seite, und das läuft leider unserem DIY-Prinzip zuwider, drängt diese Entwicklung den ursprünglichen Gedanken, nämlich direkt mit den KünstlerInnen zu arbeiten, in den Hintergrund – etwa wenn Konzerte über Booking Agenturen organisiert werden. Da vermisse ich den Underground.“
Generationen und Geschlechter
Zeitsprung. Zurück ins Jahr 2010. Am 5. Jänner nehmen an die 30 Mädchen und Frauen zwischen 12 und 60 am Ebenseer Glöcklerlauf, einem ausschließlich von Männern besetzten Brauch, in einer eigenen Gruppe teil. Sie werden ausgebuht und ausgepfiffen. Es herrscht eine beängstigende Atmosphäre. Ein Jahr später sind die Anfeindungen schon geringer, 2012 so gut wie verpufft. „Der Glöcklerlauf ist ein Projekt, das bis heute ein wesentlicher Bestandteil unserer generationenübergreifenden Arbeit ist“, erzählt Guggi Spitzer, seit vier Jahren Obfrau vom Frauenforum Salzkammergut. Die 56-Jährige will im Verein alle Altersgruppen vertreten sehen. „Möchte man mit feministischen Themen auch junge Frauen erreichen, braucht man die Jüngeren!“ Deswegen kommt es Ende des Jahres zu einer Rochade an der Spitze des Vorstands mit ihrer um rund 30 Jahre jüngeren Stellvertreterin.
Grundsätzlich ist es schwieriger geworden, verlässliche ehrenamtliche Mitarbeiterinnen zu bekommen. Das betrifft alle Vereine. Alle wollen Unterhaltung. Aber kaum jemand will Verantwortung übernehmen. Guggi Spitzer, Frauenforum Salzkammergut. Foto: Lisi Brandstetter
Strukturen und Wissen weitergeben
Dass Vereinsnachwuchs nicht nur eine Frage des Alters ist, sondern auch von Strukturen, Förderungen und Fundamenten in Form von Mietverträgen etwa, wird im Gespräch mit Renée Chvatal deutlich. Die junge Modedesignerin kam 2014 zum Verein Raumschiff in der Linzer Innenstadt. „Mit der Zeit haben sich nicht nur die Räumlichkeiten verändert. Mal waren im Team in der Kunstwelt verankerte Leute, dann wieder welche aus einer ganz anderen ‚Blase‘“. Was blieb ist eine kleine Gruppe, die, geschwächt von den vielen bürokratischen Kämpfen, die Staffel nun weiterreichen möchte. Doch an wen? Leute dafür zu finden sei schwer, sagt Renée. Ein Forum Anfang nächsten Jahres soll dabei helfen: „Wir möchten das Know-how weitergeben, den Austausch von interessierten Menschen wie Vereinen ermöglichen und damit eine neue Raumschiffgeneration finden.“