Der Bundeskanzler sagt: Wir sichern sozialen Frieden, weil wir nicht mehr alle daran teilhaben lassen. Wir verbessern die Gesundheitsversorgung, indem wir die ArbeitnehmerInnenvertretung aus den Gremien werfen. Wir modernisieren das Bildungssystem durch die Rücknahme zukunftsweisender Reformen.
Die Medien berichten. Nur selten stellen sie in Frage, was die Regierenden auftischen. Dabei wäre genau das eine Kernaufgabe von JournalistInnen. Zu wenige erfüllen diese. Die Mehrheit wirkt erschöpft und abgestumpft von immer neuen inhaltsleeren Phrasen und nichtssagenden Antworten, vom unablässigen Dröhnen der Propagandatrommeln.
Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke. Die Rhetoriktrainer der Regierenden haben ihren Orwell studiert. Schon 1948 hat er die Weltgestaltungsmacht von Sprache drastisch vor Augen geführt. Sein dystopischer Roman wird kaum mehr rezipiert. Dazu trug auch die niederländische Produktionsfirma Endemol bei. Seit 1999 steht Big Brother weniger für totale Observation und Tabubruch, sondern wird zu ”Irgendwas mit Überwachung” verniedlicht. Das Format ist zum Gaudium gereift, auch für die Qualitätspresse. Als ”überraschend umsichtig gewählt” beschreibt etwa Anja Rützel, TV-Kritikerin des Spiegel, im Jahr 2015 das Personal der gerade anlaufenden Staffel. Und vermutet, dass es lustig wird, wenn die ”Fach-Ätzerin mit dem Schnupf-Veteranen” zusammentrifft.
Blick zurück ins Jahr 1983: 1984 ist nah. Orwells Roman wird breit diskutiert. Reality Check statt Reality-TV. Ausstellungen, Bücher und Debatten beschäftigen sich mit den Methoden des modernen Überwachungsstaates, diskutieren die Gefahren. Der Journalist Gerhard Oberschlick zeigt den FP-Politiker Grabher-Mayer wegen Wiederbetätigung an. Die Anzeige druckt er auf das Titelblatt der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Neues Forum. Der Anlass: Grabher-Mayer hat in einer TV-Diskussion gefordert, dass Sozialleistungen für Nicht-StaatsbürgerInnen gestrichen werden sollen.
Im Oktober 2018 beschließt der Nationalrat: Wer den Pass eines armen Landes besitzt, bekommt weniger Kinderbeihilfe. Regisseur Peter Patzak äußert in einem Radiointerview Sorge über das beständige Nachjustieren in der Unmenschlichkeit. Ein breiter Aufschrei bleibt aus.
Neusprech nennt Orwell den von ihm so eindrücklich in Szene gesetzten Missbrauch der Sprache. Die Haft- und Folterlager des von ihm beschriebenen Systems heißen Lustlager. Horst Seehofer feiert 69. Geburtstag und jubelt über 69 Abschiebungen nach Afghanistan.