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Wie soll man Kunst machen wollen, wenn einem niemand sagt, was sie vermag und was sie überhaupt ist? Alenka Maly weiß, wo die Kunst nicht wohnt.
Kellnerin, Verkäuferin, Autolackierer, Elektriker, Friseurin, Hilfsarbeiter – das waren die Berufe der Menschen, an denen ich mich als Kind orientiert habe.
Arbeit war zwar «arsch», aber etwas, das man brauchte. Ohne Arbeit war alles nichts, das wussten auch wir Kinder schon. Ohne Arbeit hat man zu Weihnachten im besten Fall etwas Nützliches bekommen und ist in den großen Ferien nicht ein Mal auf ein Eis gegangen. Obwohl meine Eltern Arbeit hatten, gab es Tage, an denen ich aus der Volksschule weinend nach Hause gegangen bin: Wenn auf der Tafel wieder 15 Schilling Jugend-Rotkreuz, 5 Schilling Spatzenpost, und 12 Schilling Schulmilch gestanden ist.
1979 habe ich nur durch viel Zureden eingewilligt, im nächsten Jahr ins Gymnasium zu gehen. Alle Freundinnen und Freunde aus der Siedlung haben sich schon auf die erste Haupt gefreut. Ich erinnere mich noch an das Feuer, mit dem meine Eltern auf mich eingeredet haben. Viel später habe ich realisiert, dass sie mich an diesem einzigen Nachmittag aus unserer Sackgasse herauskatapultiert hatten.
Mit 14 habe ich nach der Schule Germinal gelesen und dann gleich alles andere von Emile Zola. Ich habe Working Class Hero ins Deutsche übersetzt und noch nicht gemerkt, dass der Song genau uns beschreibt. In den Wohnungen nebenan haben sich meine FreundInnen schon auf die Lehre zur Friseurin, zum Autolackierer und so weiter vorbereitet. Mit 16, wenn sie alle nach der Arbeit in die Siedlung zurückgekommen sind, hatten sie ganz andere Sorgen als ich. Es ging um den Chef, der ein Arsch war und um voll wenig Kohle für so viel Scheißhacke.
An meine neu begriffenen Wörter habe ich ehrlich geglaubt. Aber wenn ich Klassenkampf, Chancengleichheit und Solidarität in unsere Runde geworfen habe, oder wenn ich ihnen etwas über die Bauhaus-Möbel aus einem Fotobuch erzählen wollte, ist nichts mehr weitergegangen. Sie haben mich seltsam gefunden und ich mich dann eigentlich auch. Wir haben in unseren Gesprächen nie mehr so recht zueinander gefunden.
Sobald sie halbwegs imstande waren, sich eigenständig mit unserer Welt zu beschäftigen, mussten die Nachbarskinder zum Fliesenlegen oder zum Haarefärben gleich wieder auf die Knie. Sie hatten keine Zeit, sich Überblick zu verschaffen, niemand hat sie ermutigt, Zusammenhänge zu entdecken und selbst wenn sie rebellisch waren – sie haben nicht gelernt, sich auszudrücken. Wie hätten sie Worte finden sollen, wenn die Sprache der Eltern so karg war wie die vom Lehrmeister. Wie soll man Kunst machen wollen, wenn einem niemand sagt, was sie vermag und was sie überhaupt ist.
In den Siebziger Jahren öffnete sich kurz ein Fenster, in dem proletarisches Bewusstsein und Kunst in der Siedlung leidenschaftlich zusammen gefunden haben. Da gab es einen Liedermacher, einen Maler und einen Dichter, deren Familien aber mit dem Gehalt allein der Ehefrauen auskommen mussten. Das Fenster ist bald wieder zu gegangen, die Künstler sind für immer weggezogen. Zu dieser Zeit waren dort alle noch davon überzeugt, dass ihre Partei die SPÖ war. Wenn es Feinde gab, waren es die da oben, wer und wo die genau waren, ist nie herausgekommen, reich waren sie jedenfalls. Nach unten haben meine NachbarInnen nie getreten, rückblickend aber nur deshalb, weil es dort einfach niemanden gab, an dem sie ihren Zorn hätten auslassen können. Heute sind die noch Unglücklicheren am eigenen Unglück Schuld. Meine ehemaligen Nachbarskinder sind jetzt Userinnen und haben alle ihre Herzerl auf der Seite von HC. Kunst kommt dort nicht vor.
Ich weigere mich, die Hoffnung aufzugeben, dass eines Tages wieder eine Kultur einziehen wird in die Siedlung in der Sackgasse. Im Moment ist es finster dort, aber vielleicht geht ja wieder einmal jemandem ein Licht auf, wer weiß? Manchmal besuche ich die Oma vom Kevin auf ein Bier und fahre dann wieder zurück in mein Leben. Dorthin wo Jakob, Lena, Emil und Dominika die klassen Sachen sagen, schaffen und schreiben.