Wie Wirtschaftstheorie und Kulturpolitik zusammengehen, zeigt Andrej Srakar.
Als Einführung in diesen Artikel stellen wir uns eine kurze, und, wie sich schnell herausstellen wird, sehr provokante Frage: Ist Kultur ein öffentliches Gut? Und, wenn nicht, was bedeutet das? Außerhalb von ÖkonomInnenkreisen werden das Viele für eine triviale und störende, ja geradezu ketzerische Frage halten – schließlich ist doch «jedem klar, dass Kultur etwas Öffentliches ist». Wie aber sehen das ÖkonomInnen?
Ist Kultur ein öffentliches Gut?
Wir ÖkonomInnen sagen meist, ein Gut ist dann öffentlich, wenn es gleichzeitig zwei grundlegende Kriterien erfüllt: die Nicht-Ausschließbarkeit (niemand kann vom Konsum des Gutes ausgeschlossen werden) und die Nicht-Rivalität (wenn ich das Gut konsumieren kann, kann dies gleichzeitig auch jede andere Person ungestört tun). Dabei wird schnell klar, dass Kultur anhand dieser Kriterien in den meisten Fällen tatsächlich keinesfalls als öffentliches Gut definiert werden kann: ZuschauerInnen können aus einer Theatervorstellung ausgeschlossen werden, indem sie Eintritt bezahlen müssen. Wenn wir ein Buch lesen, bedeutet das, dass niemand sonst es gleichzeitig lesen kann. Auch vom Konsum eines Films können wir durch den zu bezahlenden Eintritt im Kino «ausgeschlossen» werden. Nur sehr wenige Kulturgüter – zum Beispiel öffentlich zugängliche Denkmäler – sind tatsächlich völlig öffentlich. Es besteht jedoch kein Grund, gleich in die Luft zu gehen (von wegen «neoliberaler Blödsinn, natürlich ist Kultur ein öffentliches Gut und muss von staatlicher Seite finanziert werden»). Es stimmt, dass für optimale Quantität und Qualität von Kulturgütern neben dem Markt noch ein anderer Mechanismus bestehen muss, denn der Markt funktioniert im Kulturbereich nicht gut. (Dafür gibt es eine Reihe von Beweisen – den wahrscheinlich übersichtlichsten und vollständigsten Überblick dazu bietet Bruno Frey in seinem Artikel aus dem Jahr 2003.1)
Als ich vor Jahren meine Diplomarbeit verfasst habe, traf ich auf ein Argument, das im ökonomischen Sinne wahrscheinlich auch heute noch das stichhaltigste ist, wenn es um die Rechtfertigung der öffentlichen Kulturförderung geht. Natürlich muss aufgezeigt werden, dass der Markt im Bereich der Kultur Unzulänglichkeiten aufweist, und zwar solche, die schon ganz grundsätzlich bedeuten, dass für die (gesellschaftlich) optimale Quantität und Qualität von Kulturgütern jemand außerhalb des Marktsystems sorgen muss. Eine dieser Unzulänglichkeiten ist offensichtlich: Kultur zieht so genannte «Externalitäten» oder auch externe Effekte nach sich. Einfacher gesagt, Kultur hat auch auf jene Auswirkungen, die nicht am «Gebrauch» von Kulturgütern teilhaben – also jene, die eine Vorstellung oder Ausstellung nicht sehen, ein Konzert nicht hören, ein Buch nicht lesen oder eine Skulptur nicht berühren. Mehr noch: Diese Werte können sehr hoch sein. Die bekannteste Studie darüber stammt von der dänischen Professorin Trine Bille, die gezeigt hat, dass sich der Gesamtwert des Königlich Dänischen Theaters zu mehr als 80 % aus Werten zusammensetzt, die wir ÖkonomInnen als nicht-nutzungsabhängige Werte bezeichnen.2 Wenn wir also öffentliche Subventionen an Einrichtungen wie das Königlich Dänische Theater rechtfertigen wollen, müssen derartige Werte oftmals sogar dringend berücksichtigt werden. Um es in der ÖkonomInnensprache zu sagen: Anstelle einer individuellen Nutzenfunktion ist der soziale Nutzen zu berücksichtigen, (erst) damit verschiebt sich jedoch der Schnittpunkt von Kosten und Nutzenfunktion (das ökonomische Gleichgewicht) auf einen Punkt, an dem es «gerade genug» Kultur gibt, immerhin jedoch um einiges mehr als wenn nur die Nachfrage des Marktes berücksichtigt würde. Wie die MathematikerInnen sagen würden: quod erat demonstrandum. Damit kann das Argument abgeschlossen werden und das ist eine ausreichende Erklärung dafür, dass Kultur auch Finanzierung von staatlicher Seite benötigt, wenn wir sie «good and plenty» (frei nach dem Buchtitel des berühmt-berüchtigten amerikanischen Kulturökonomen Tyler Cowen aus dem Jahr 2006) zur Verfügung haben wollen.
Aber: Wie überzeugt man den Finanzminister?
Die Sache ist jedoch leider nicht so einfach. Wenn Sie an den Finanzminister eines beliebigen Landes herantreten und ihm sagen, er müsse die Kultur unterstützen, weil der Markt hier nicht gut funktioniert und die Kultur «nicht-nutzungsabhängige Werte» aufweist, wird er Sie wahrscheinlich anstarren wie der sprichwörtliche «Ochs das Scheunentor». Noch so ein Kulturfunktionär, der unsere Sprache nicht versteht.
«Sagen Sie mir, welchen Nutzen bringt die Kultur unserem Staat? Schafft sie Arbeitsplätze? Werden deshalb mehr Steuern eingenommen? Geht es dadurch den Unternehmen besser? Wächst dadurch zumindest der Tourismus und kommen mehr zahlungskräftige Gäste in die heimischen Unterkünfte?»
Zuerst antworten wir ihm, was er hören möchte:
«Ja, Herr Minister, tatsächlich schafft Kultur neue Arbeitsplätze und sorgt für wirtschaftliche Einnahmen.»
Obwohl die Debatte zu diesem Thema überaus verworren und oft von Missbrauch gekennzeichnet ist, zeigen jene Studien, denen man diesbezüglich Glaubwürdigkeit attestieren kann, tatsächlich, dass die Multiplikatoren (grob gesagt bezeichnet dieser Begriff die Rentabilität eines bestimmten Sektors im Vergleich zu allen anderen im Land) für dem kulturellen Sektor zugehörige Tätigkeiten tatsächlich zu den höchsten von allen Sektoren zählen. Kultur hat also tatsächlich große ökonomische Auswirkungen. Nach einem ganzen Jahrzehnt, das ich auch selbst damit verbracht habe, in diversen Ministerien Überzeugungsarbeit zu leisten, bin ich davon überzeugt, man sollte ihm genau das sagen. Auch wenn es im Sinne der Wirtschaftstheorie das falsche Argument für die öffentliche Kulturförderung ist (schließlich sagt es rein gar nichts über das «öffentliche Wesen» von Kultur aus, das eigentlich der einzige Indikator für die Rechtfertigung einer öffentlichen Finanzierung sein müsste), wird es wahrscheinlich das einzige sein, dem er Gehör schenkt. Kunst und Kultur verfügen über eine Vielzahl an Multiplikatoren, und das kann der Staat vor allem für größere öffentliche Investitionen und Anlagen nutzen – diese können so einerseits einen Weg aus der Wirtschaftskrise darstellen, andererseits aber auch eine nützliche Basis und ein Überbau für zukünftige Kulturarbeit sein.
Schlussfolgerungen
Es wurden drei Feststellungen gemacht: erstens – Kultur ist ganz sicher kein klassisches öffentliches Gut im ökonomischen Sinne; zweitens – das ökonomisch stichhaltigste Argument für die öffentliche Kulturförderung fußt auf Externalitäten und nicht-nutzungsabhängigen Werten; und drittens – das Argument ökonomischer Auswirkungen von Kultur ist zwar laut Wirtschaftstheorie falsch (und wird vor allem oft missbraucht und für zahlreiche problematische Studien und Analysen herangezogen), man könnte es aber nichtsdestotrotz zugunsten der Kultur, des Staates und der Gesellschaft im Allgemeinen umkehren. Für die Zukunft wünsche ich mir viel mehr Studien auf dem Gebiet der Ökonomik der Kulturpolitik, die zu einem großen Teil noch unerforscht ist. Das Thema der ökonomischen Auswirkungen ist nicht das einzige, das noch einer eingehenden Auseinandersetzung mit viel mehr ernsthaften Beweisen und Argumenten bedarf. Die Ökonomik der öffentlichen Haushalte in der Kultur, der Zusammenhang zwischen öffentlicher Förderung und Beschäftigungszahlen in der Kultur, das Verhältnis von staatlichen und lokalen Kulturbudgets, zusammengesetzte Indikatoren im Kulturbereich (und Kulturstatistiken im Allgemeinen), der internationale Austausch von Kulturgütern, Methoden zur Evaluierung der Effekte kulturpolitischer Maßnahmen – um nur einige Themengebiete zu nennen, die zu einem großen Teil bzw. fast komplett offen und unerforscht sind. Es bleibt zu hoffen, dass eine langsame Öffnung der Debatte auf diesem Gebiet, wie sie dieser kurze Beitrag anregen möchte, zur Bewusstseinsbildung über dieses Forschungsmanko und zu aktiverem Handeln in der Zukunft beitragen kann.
1 B.S. Frey, Public support. In: R. Towse (Hg.): A handbook of cultural economics. Edward Elgar: Cheltenham 2003, S. 389–398.
2 T. Bille Hansen, The willingness-to-pay for the Royal Theatre in Copenhagen as a public good. In: Journal of Cultural Economics 21 (1),
1997, S. 1–28.
Aus dem Slowenischen übersetzt von Julija Schellander
Dieser Beitrag erschien zuerst im Zentralorgan für Kultur und Propaganda 1/2017, dem Magazin der IG Kultur Österreich. Vielen Dank für die freundliche Genehmigung des Abdrucks einer gekürzten Fassung.
Artikel in völler Länge verfügbar unter igkultur.at