Leonhard Dobuschs Netzkolumne
Mitten in der Debatte um „Fake News“ und „Lügenpresse“ entschied die Community der englischsprachigen Wikipedia, ab sofort das britische Boulevardblatt Daily Mail nicht mehr als seriöse Quelle zu akzeptieren. Artikel aus der Daily Mail können seither nicht mehr als Beleg für eine Behauptung in einem Wikipedia-Artikel zitiert werden. Die Ironie könnte kaum größer sein. Während in den ersten Jahren ihres Bestehens vor allem die von Freiwilligen erstellte Wikipedia unter medialem Rechtfertigungsdruck stand, sind es inzwischen klassische Medienangebote selbst, die in der Wikipedia-Community kritisch geprüft werden. Im deutschsprachigen Raum gibt es zwar (noch) keine Liste mit unseriösen Medienangeboten, Belege aus Zeitungen wie Heute, Krone und Österreich sowie deren Online-Ablegern werden allerdings ebenfalls nur mit größter Vorsicht akzeptiert.
Tatsächlich liegt die Antwort auf die postfaktische Herausforderung von Trump, Fake News und FPÖ-TV nicht in einem Ausbau von Fact-Checking-Angeboten und der – wie in Österreich gerade angedachten – finanziellen Förderung des massenmedialen Mainstreams. Mit den Worten des Berliner Sprachwissenschaftlers Anatol Stefanowitsch:
„Postfaktizismus mit Faktizismus zu bekämpfen ist ungefähr so sinnvoll, wie die Postapokalypse mit der Apokalypse zu bekämpfen.“
Vielmehr zeigen Angebote wie Wikipedia und deren radikal transparente Aushandlung eines letztlich unerreichbaren „neutralen Standpunkts“, dass wer auf dem Boden der Tatsachen stehen möchte, schleunigst schwimmen lernen sollte. Nur weil wir nichts mit Sicherheit wissen können, ist das Ringen um Wahrheit nicht umsonst. Was Wikipedia auszeichnet, ist dieses Ringen, um jedes Detail minutiös nachvollziehbar zu machen. Damit ist zwar auch kein absoluter Schutz vor Manipulation und Falschinformation verbunden. Aber alleine medialen Konsens wie Dissens unmittelbar als unendlichen, sozialen Konstruktionsprozess erlebbar zu machen, ist ein Fortschritt.