Frauenpolitik im toten Winkel

Demokratie, Checks & Balances, Pressefreiheit und soziale Rechte gehören zu den positiven Auswüchsen der liberalen westlichen Kultur, sind aber auch besonders zarte Pflänzchen. Sie stehen unter massivem Beschuss: Populismus, Rechtsextremismus, Politischer Islam, Neoliberalismus feuern von allen Seiten. Vor allem die jüngsten der erkämpften sozialen Rechte in unserer Zivilisationsgeschichte scheinen weniger fest verankert als erhofft. Etwa die Erfolge des Feminismus der letzten Jahrzehnte. Die Feinde der offenen Gesellschaft wollen diese wieder abschaffen.

Standen erkämpfte Frauenrechte eine Zeit lang zumindest außer Diskussion, erfahren wir derzeit einen Backlash: Fristenlösung, Gleichberechtigung, Schutz vor häuslicher Gewalt, Selbstbestimmungsrechte etc. werden wieder öffentlich angezweifelt. Das diskursive Framing vollziehen weniger Alice Schwarzer, eine feministische Populärkultur oder Frauenorganisationen, sondern antifeministische Prediger auf Facebook, rechte PolitikerInnen und aufgebrachte WutbürgerInnen, die sich als Opfer eines „Genderwahn“ wähnen.

Frauenrechte sind eine der großen Strittigkeiten im Kulturkampf.

 

Fast 100 Jahre ist es her, dass Frauen das Wahlrecht für sich erkämpften. Noch einmal 60 Jahre dauerte es, bis Frauen ohne Zustimmung ihres Ehemannes einer Erwerbstätigkeit nachgehen konnten. Die Streichung der niedrigen Frauenlohngruppen aus dem Metaller-Kollektivvertrag gelang 1962 erst nach einem viertägigen Streik. Ein breites Frauenbündnis kämpfte für die Fristenregelung, die 1975 in Kraft trat. Vor 20 Jahren wurde das Gewaltschutzgesetz beschlossen.

Die uneingelösten Versprechen auf Gleichheit

Frauen haben gekämpft und – trotz heftigem Widerstand – viel erreicht. Die Frauenbewegung war eine der erfolgreichsten Sozialbewegungen. Aber wo stehen wir heute? Wirtschaftliche Unabhängigkeit, Einkommensgerechtigkeit und das Recht auf gleichberechtigte politische Mitbestimmung – das sind noch immer uneingelöste Versprechen auf Gleichheit. Der Fortschritt ist ins Straucheln gekommen.

In aller Deutlichkeit zeigt sich das auch am Arbeitsprogramm, das die Bundesregierung vor wenigen Wochen mit viel Aufsehen beschlossen hat. Bei der Durchsicht des 36-seitigen Papiers wird schnell klar: Frauenpolitik kommt darin nicht vor. Maßnahmen für mehr Lohngerechtigkeit und wirtschaftliche Eigenständigkeit, wirksame Schritte gegen weibliche Armut und gegen die rasant steigende prekäre Beschäftigung – Fehlanzeige. Es gibt, so heißt es mit stolzgeschwellter Brust, nun erstmals ein Programm mit genauem Zeitplan. Ein Zeitplan für dringend notwendige frauenpolitische Maßnahmen findet sich darin nicht. (Abgesehen von einer Verpflichtung zu einer 30%igen Frauenquote in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen, die bei Neubestellungen ab 2018 wirksam werden soll.)

Frauenpolitische Themenverfehlung

Das Arbeitsprogramm ist angesichts des jüngsten Gender Gap Report eine glatte Themenverfehlung. Eine „dramatische Rückwärtsentwicklung“ wird dort attestiert. Geht es in dem Tempo weiter, so das Resümee, wird es noch 170 Jahre dauern, bis Frauen und Männer gleichgestellt sind. Auch der jüngste Sozialbericht hätte eine Handlungsanleitung für die Regierung sein können. Er verweist auf die systematische Schlechterstellung von Frauen am Arbeitsmarkt und deren dramatischen Folgen: Frauen sind wesentlich stärker armutsgefährdet als Männer. 26 % der alleinerziehenden Frauen sind von ‚working poor‘ betroffen. Im Regierungsupdate findet sich dazu nichts. Stattdessen präsentiert die Regierung ein Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Raum. Man(n) diskutiert lieber über ein Burkaverbot als über faire Löhne. Von ‚unseren Werten’ ist die Rede und vom ‚Konsens für gleiche Rechte zwischen Mann und Frau in unserem Land’. Angesichts der unverschleierten Zahlen über Einkommensunterschiede, Armutsbetroffenheit und männerdominierte Entscheidungsgremien, ist die immer wieder aufgewärmte Kopftuchdebatte eine Verhöhnung. Bestrafung von Frauen hat noch nie zu mehr Gleichstellung von Frauen geführt.

Die Themenverfehlung und Ignoranz trifft hart, aber sie trifft auf eine Entwicklung, die sich seit Jahrzehnten abzeichnet und mit Ausbruch der Wirtschaftskrise noch vertiefte: Die Frauenpolitik steht im toten Winkel. Dafür hat auch die von dieser Regierung mitgetragene Krisenpolitik der EU kräftig gesorgt. Unter dem Primat der Wettbewerbspolitik und Budgetkonsolidierung (treffender als Sozialstaatskürzungspolitik beschrieben), betrieben die EU-Mitgliedsländer in unterschiedlicher Ausprägung den Abbau des Sozialstaates. Unter dem Schlagwort von Modernisierung und Konsolidierung wurde und wird der Wohlfahrtsstaat rückgebaut – eine Entwicklung, die Frauen besonders hart trifft.

Hierzulande steht der Rückbau unter den Schlagworten der ‚ausgabenseitige Budgetkonsolidierung’ und ‚Verwaltungsreform’. Emanzipatorische Frauenpolitik, wie wirksame Equal-Pay-Gesetze, eigenständige soziale Rechtsansprüche oder der Ausbau von sozialen Sicherungssystemen, werden als ‚unleistbar’ oder ‚wettbewerbsfeindlich’ abgeschmettert. Die Budgets von Frauenberatungsstellen werden gekürzt oder nicht erhöht, die Unterhaltssicherung für Alleinerzieherinnen wird nicht reformiert, der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wird eingeschränkt, die Ausgleichszulage bleibt unter dem Niveau der Armutssicherung, die Reform der sozialen Sicherung in der Arbeitslosigkeit wird weiterhin verwehrt. Da und dort wird die Mindestsicherung oder auch die Wohnbeihilfe für Alleinerzieherinnen gekürzt. Und so nebenbei stagniert der Anteil von Frauen im Parlament und in Landtagen bzw. geht zurück. Die Angelobung einer Männerregierung in Oberösterreich war dann nur noch das Tüpfelchen auf dem i.

Anti-emanzipatorische Politik bleibt nicht unwidersprochen

So wenig ermunternd diese knappe Darstellung über die Lage der Frauenrechte ist, diese anti-emanzipatorische Politik bleibt nicht unwidersprochen. Es gibt viele Orte und viele Formen des Protests. Die Männerregierung in Oberösterreich war von Anfang an mit öffentlichem Widerspruch konfrontiert. Dass sexuelle Belästigung kein Kavaliersdelikt ist, hat unter anderem die sehr wirksame #aufschrei-Kampagne in den sozialen Medien erwirkt. Eine entsprechende Gesetzesreform war die Folge. Als in Polen das ohnehin strenge Abtreibungsgesetz noch verschärft werden sollte, haben Frauen das verhindert. Millionen Frauen mobilisieren alljährlich lautstark und mit der Aktion ‚One Billion Rising’ gegen Gewalt an Frauen. Der ‚Women’s March on Washington’ war einer der größten Protestmärsche in jüngster Zeit als Reaktion auf die Wahl von Donald Trump. Trotz des wachsenden Antifeminismus und trotz des neoliberalen Mainstreams entstehen neue Widerstandsformen und frauenpolitische Bündnisse.

Vor 100 Jahren stellten die Suffragetten männliche Gewissheiten radikal in Frage und widersetzten sich dem übermächtigen Mainstream. Ihre Ausdauer und ihr Mut haben den Kampf um das Frauenwahlrecht zur breiten Bewegung gemacht. Unbestritten sind in den letzten Jahrzehnten die Bedingungen für emanzipatorische Politik schwieriger geworden und darum ist die Frauenbewegung auch weniger erfolgreich – aus allen Ecken bläst der Wind entgegen. Aber gerade deswegen ist so richtig, was die Frauenrechtlerin der ersten Frauenbewegung, Clara Zetkin klar formulierte: „Lassen wir uns nicht schrecken durch die Ungunst äußerer Umstände, haben wir für alle Schwierigkeiten nur eine Antwort: Erst recht!“