Islamischer Kulturkampf?

Zur aktuellen Debatte um Staat und Religion. Thomas Schmidinger mit Beispielen aus Österreich und darüber, was dahintersteckt.

In der medialen und politischen Öffentlichkeit verschärft sich zunehmend der Ton: MuslimInnen werden dabei zum Gegenstand von “Kulturkämpfen”. An den muslimischen Minderheiten Europas werden die Beziehungen von Staat und Religion und die Frage der öffentlichen Präsenz von Religion in Europa neu verhandelt. MuslimInnen sind in diesem Prozess Projektionsfläche und letztlich auch Opfer rassistischer Agitation.

Wie sieht es aber umgekehrt aus? Führt der Politische Islam einen Kulturkampf in Europa? Viele SäkularistInnen, darunter auch dezidiert linke, antirassistische und feministische EuropäerInnen fürchten genau dies. Und tatsächlich gibt es Anzeichen für eine politische Instrumentalisierung antimuslimischer Ressentiments durch bestimmte Akteure des Politischen Islam.

Gesetz und Religion

Die Debatte über das Islamgesetz 2015 stellt ein gutes Beispiel für solch eine Instrumentalisierung dar. Es gab und gibt berechtigte Kritikpunkte an diesem Gesetz. Das Hauptproblem stellt dabei sicher die Tatsache dar, dass überhaupt erneut ein eigenes Islamgesetz beschlossen wurde und kein religionsunabhängiges Religionsgesetz, das für alle Religionsgemeinschaften zu gelten hat. Zu Recht haben muslimische Funktionäre und AktivistInnen darauf hingewiesen, dass die Auslandsfinanzierung lediglich MuslimInnen untersagt wurde und lediglich im Islamgesetz Selbstverständlichkeiten, wie der Vorrang österreichischer Gesetze, festgelegt wurden. Dies führt zu einer Rhetorik des Verdachts, MuslimInnen würden diese ablehnen. Die Kampagne, die v. a. von Seiten der Muslimischen Jugend Österreichs (MJÖ) gegen das Gesetz geführt wurde, transportierte allerdings weit über rationale Kritik hinausgehende Angstbilder. In Video-Clips wurde davor gewarnt, dass nun Religionsinspektoren alle möglichen MuslimInnen verhaften würden und der österreichische Staat per se gegen den Islam vorgehen würde. Das Gesetz wurde damit nicht verhindert, die Opferrhetorik dafür bedient.

Women’s March Vienna

Ähnlich drastisch verliefen im Jänner die Debatten um eine Demonstration von Frauen gegen den neuen US-Präsidenten Trump. Die Organisatorinnen konnten sich nicht einigen, ob auf dieser Demonstration auch Carla Amina Baghajati als prominente muslimische Rednerin auftreten sollte. Baghajati wurde – nachdem sie zuvor von einigen Organisatorinnen zu einer Rede eingeladen worden war – durch die Weiterleitung eines unter den Organisatorinnen kursierenden Mailentwurfs auf die Debatte aufmerksam und fühlte sich dadurch nicht mehr willkommen. Darauf erklärte das „Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft“ in einer Aussendung die Demonstration zu einem „Marsch der Privilegierten“ und beschuldigte die Organisatorinnen, „Personen, die islamophobe Diskurse in der Organisation schüren, in deren Konsequenz die schriftliche Absage erteilt wurde“, systematisch zu schützen. Woher die Kritik kam und ob diese eine politische Kritik – vielleicht von Musliminnen selbst – war, wurde nicht mehr gefragt. Das Motiv „Islamophobie“ stand für das Netzwerk außer Frage.

Narrative und Verbote

Am 4. Februar wurde schließlich vom Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft, der Dokustelle Muslime und dem Jugendrat der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (JIGGiÖ) mit Unterstützung aus den muslimischen Verbänden und von einigen Linken, eine Demonstration gegen einen angeblichen „MuslimBanAustria“ organisiert. Laut Polizeiangaben beteiligten sich ca. 2.500 Menschen an der Demonstration. Einen „MuslimBan“ gab es in Österreich allerdings nie. Diskutiert wurde und wird ein Verbot des Nikab, also des Gesichtsschleiers, in der Öffentlichkeit, sowie ein Verbot des Kopftuchs in öffentlichen Ämtern – wie etwa bei Richterinnen, die allerdings schon bisher eine kopftuchlose Einheitskleidung vorgeschrieben haben. Nun ist es selbstverständlich genauso legitim, die Sinnhaftigkeit eines Nikab-Verbots in Frage zu stellen, wie nach den Motiven für diese Diskussion zu fragen. Ein „MuslimBan“ war in Österreich allerdings nie angedacht. Die Veranstaltung wurde damit zu einer erneuten Inszenierung des Opfernarrativs. KritikerInnen der Demonstration wurden in sozialen Medien teilweise ähnlich beschimpft wie zuvor Personen, die es gewagt hatten, das Narrativ der „weißen Feministinnen“ in Frage zu stellen.

“Forschung” und Think Tanks

Kritik an bestimmten muslimischen AkteurInnen wurde auch in der Vergangenheit immer wieder als „islamophob“ denunziert. Insbesondere der aus der MJÖ stammende und derzeit an der Universität Salzburg zur MJÖ forschende Politikwissenschafter Farid Hafez, der seit 2010 sein „Jahrbuch für Islamophobieforschung“ herausgibt, lässt darin auch unterschiedliche Formen der Kritik an muslimischen Organisationen als „islamophob“ brandmarken. Finanziert wird Hafez „Islamophobieforschung“, insbesondere dessen „European Islamophobia Report 2015“ u. a., vom AKP-nahen Thinktank SETA (Stiftung für Politik, Wirtschaft und Soziale Forschung), der 2005 vom Erdoğan-Berater Ibrahim Kalın gegründet worden war.

AKP-nahe Thinktanks fördern also auch in den USA und Europa „Forschung“ im Sinne der türkischen Regierung. Spätestens hier wird klar, dass es dabei nicht nur um lokale Organisationen des Politischen Islam geht, sondern auch um die Soft Power der immer autoritärer die Türkei beherrschenden AKP.

Türkischer Nationalismus

Der neue Vorsitzende der UETD-Österreich, also der österreichischen AKP-Organisation, Ramazan Aktaş, stellt in einer Erklärung fest, dass die drei türkeistämmigen österreichischen Abgeordneten allesamt Sympathisantinnen der „Terrororganisationen“ PKK und der Fethullah Gülen-Bewegung seien. Spätestens dadurch zeigt sich, dass es hier nicht nur und nicht primär um einen „Kulturkampf“ von Organisationen des Politischen Islam geht, sondern ganz konkret um Machtpolitik eines immer autoritäreren und immer nationalistischeren Regimes. Diese richtet sich zunächst v. a. gegen Personen, die selbst aus türkeistämmigen Familien kommen, sich aber gegen den immer totalitäreren Herrschaftsanspruch Erdoğans wenden. Mit dem Politischen Islam hat dies mittlerweile weniger zu tun als mit türkischem Nationalismus und dem Machtanspruch eines autoritären Regimes, das sich wieder als Imperium sieht.