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Wie oft bin ich in den letzten Jahren auf dieses Wörtchen gestoßen: Intersektionalität. Vor allem in den hiesigen feministischen Debatten über Diskriminierung und soziale Ungleichheit ist sie zum neuen Buzzword mutiert und gilt gar als neues Paradigma. Der «intersektionale Ansatz» steckt heute in feministisch orientierten Forschungsperspektiven und Analysen, Antidiskriminierungsarbeit und Gewaltprävention. Was hat es auf sich mit dem I-Wort? Mit dem Schlagwort Intersektionalität wird auf die vielen gleichzeitigen sozialen Zugehörigkeiten von Individuen hingewiesen – etwa Frau, Migrantin / of Color, lesbisch / queer, mit Behinderung, aus sozial «niedrigen» Verhältnissen. Aufgrund dieser Zugehörigkeiten verteilen sich gesellschaftliche Chancen und Zugänge zu Ressourcen wie Bildung, Arbeit und Wohnraum. Ebenso bringen die Mehrfachzugehörigkeiten eine mehrfache Betroffenheit von Diskriminierung mit sich: Rassismus, Klassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie, Ableismus. Dabei werden Ausgrenzungserfahrungen nicht nur aufgrund eines Merkmals, sondern an der Schnittstelle mehrerer Merkmale erlebt. Geprägt wurde der Begriff der Intersektionalität Ende der 1980er von der US-amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw, die damit das Überkreuzen unterschiedlicher Diskriminierungen in Bezug auf Schwarze Frauen fassbar machte. Schon in den 1970ern kritisierten afro- und hispanisch-amerikanische Theoretikerinnen die «single issue politics » (Audre Lorde) der weißen Frauenbewegung, die «Rasse», Klasse und Geschlecht auseinander dividierten. Doch während in den USA die Rede von der «Intersectionality» unmittelbar mit Forderungen nach politischem und ökonomischem Empowerment diskriminierter Gruppen verknüpft ist, hat sich der Import des Konzepts nach Europa lediglich im akademischen Diskurs niedergeschlagen, ohne an soziale Bewegungen rückgebunden zu sein. Doch selbst im deutschsprachigen Raum ist die Auseinandersetzung mit den Überschneidungen und Überlagerungen von Diskriminierungsformen nicht neu: Was heute Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung heißt, wurde bereits in den 1980ern von afro- deutschen Aktivistinnen, Migrantinnen und Frauen in der Diaspora thematisiert. Die entscheidende Frage lautet: Lassen sich mit dem Modell der Intersektionalität Machtverhältnisse analysieren? Lässt es uns besser verstehen, wie sich soziale Kategorien wie Geschlecht oder Herkunft wechselseitig definieren? So positiv das Bemühen ist, Unterdrückungsverhältnisse nicht mehr nur auf die Kategorie «Geschlecht» zu reduzieren – mit dem Hype um Intersektionalität konzentrieren sich die hiesigen feministischen Debatten zu sehr auf den «Besitz» bestimmter Identitäten anstatt auf die Dynamiken gesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse.

Vina Yun ist freie Autorin und u.a. Redakteurin bei migrazine.at, dem feministischantirassistischen „Online-Magazin von Migrantinnen für alle“.
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