Parallax Error #150

«Migrant_innen als Kulturpublikum» stehen derzeit hoch im Kurs. «Interkulturelles Audience Development » ist ein gern verwendetes Schlagwort, wenn etablierte Kulturbetriebe darüber nachdenken, wie mit «Diversität» umzugehen sei. «Vielfalt», das sind immer die «Anderen»:

Menschen mit Migrationserfahrung, Menschen mit Behinderung, Geringverdiener_innen, Jugendliche. Weil sie die klassischen Kultureinrichtungen – also Museen, Theater und Opernhäuser – nur selten besuchen, werden viele Bemühungen darauf aufgewendet, die Bedürfnisse der «Betroffenen» zu erheben.
Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn sich die großen «Kulturtanker» die Frage stellen, wer ihre Angebote nutzt oder wer sich von ihren Programmen überhaupt angesprochen fühlt. Unbestritten ist auch die Erkenntnis, dass die Möglichkeiten zur kulturellen Teilhabe ungleich verteilt sind und sich hier noch vieles ändern muss. Allerdings werden die Gründe für diesen «gap» sehr unterschiedlich definiert.

Hartnäckig hält sich die Vorstellung, dass die Zugangsbarrieren zu den Schauplätzen der Hochkultur primär bei den Ausgeschlossenen selbst liegen – zum Beispiel wegen geringer Sprachkenntnisse, niedrigen Bildungsniveaus oder fehlenden ökonomischen Ressourcen. Demnach weisen nicht etwa die Kulturbetriebe einen Mangel auf, sondern jene, die nun mittels «niederschwelliger Vermittlungsangebote » an die Institutionen «herangeführt» werden sollen.
Solche paternalistische Haltungen haben kritische Kulturvermittler_innen schon vor längerem infrage gestellt. Der Fokus auf die «Herkunftskultur», bzw. das «Herkunftsmilieu» verstellt nämlich den Blick darauf, wie die Kultureinrichtungen selbst gesellschaftliche Schräglagen reproduzieren. In diesem Sinne plädiert auch Carmen Mörsch, Kunstvermittlerin und Professorin an der Zürcher Kunsthochschule, dafür, Kulturinstitutionen als veränderbare Organisationen zu begreifen, die «selbst – aufgrund ihrer durch lange Isolation und Selbstreferenzialität entstandenen Defizite – an die sie umgebende Welt, zum Beispiel ihr lokales Umfeld, herangeführt werden müssen.»

Einen relevanten Hinweis gibt auch der Artikel «Wie weiß ist die Kunst?» in der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit»: Das sogenannte migrantische Publikum würde dann in die hoch subventionierten Museen, Theater und Opernhäuser ziehen, wenn dort «ihre Geschichten, Erfahrungen und Erlebnisse bearbeitet werden. Wenn sie sich selbst auf den Bühnen der Stadt als handelnde Figuren wiederfinden und nicht als Fremde oder Exoten, Karikaturen oder Stereotypen, an denen die ,echten‘ deutschen (Helden-)Figuren sich abarbeiten. Oder wenn sie ihre Migrationsgeschichte als selbstverständlichen Teil deutscher Geschichte in deutschen Museen entdecken.» Für die Kulturtanker herrscht noch jede Menge Nachholbedarf.

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Vina Yun ist freie Autorin und u.a. Redakteurin bei migrazine.at, dem feministischantirassistischen „Online-Magazin von Migrantinnen für alle“.→ migrazine.at