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Wer Gelegenheit dazu findet, sei im Juni der Besuch des «Identities Queer Film Festival» in Wien wärmstens empfohlen. Im Rahmen des Festivalschwerpunkts «Black Queer Identities» ist unter anderem ein Meilenstein der schwulen Filmgeschichte wieder zu entdecken: «Tongues Untied», der experimentelle Doku-Film des afroamerikanischen Filmemachers Marlon Riggs von 1989. Riggs analysiert darin die Folgen der weißen Dominanz und des Rassismus innerhalb der «Gay Liberation Movement» und formuliert «mit befreiter Zunge» den Anspruch auf eine autonome schwarze schwule Identität – mit jeder Menge Verve und begleitet von Street Poetry, Rap, Voguing-Einlagen oder den Lyrics afroamerikanischer, schwuler Dichter.

Wie sehr «Black Gay Identities» den weißen heterosexuellen Mainstream verstören, legen die Reaktionen zum Film nahe: Im Juli 1991 wurde «Tongues Untied» in den USA vom öffentlichen TV-Sender PBS ausgestrahlt. Was folgte, war eine beispiellose Hetzkampagne gegen den Film: Während die American Family Association von einem «unverschämten Missbrauch von Steuergeldern» sprach, empörte sich die konservative «Washington Times»-Zeitung darüber, dass die «Ausstrahlung des Films durch PBS der Bewerbung von roher homosexueller Pornografie über öffentliche Frequenzen» gleichkäme und so «amerikanische Haushalte in ein schwules

Striptease-Lokal verwandelt» werden würden.

Und der reaktionäre Backlash ging noch weiter: 1992 verwendete der republikanische Politiker Pat Buchanan in einem Wahlkampfspot einen Ausschnitt des Films, um auf die angebliche Verschwendung öffentlicher Gelder hinzuweisen. Nicht zuletzt kostete ein bescheidenes 5.000-Dollar-Stipendium, das Marlon Riggs vom National Endowment for the

Arts, der einzigen staatlichen Institution zur Kunstförderung in den USA, für seinen Film zugesprochen bekam, dem damaligen NEA-Chef seinen Posten. Marlon Riggs selbst ließ sich nie von den Attacken seiner reaktionären Gegnerschaft einschüchtern. In einem Artikel für das Magazin «Current» schrieb der Filmemacher: «Paradoxerweise haben die hysterischen Zensurversuche zu ‹Tongues Untied› eine wichtige öffentliche Debatte neu belebt: Wer hat Zugang zu sogenannten öffentlichen Medien und unter welchen Bedingungen? Wem ist es erlaubt, die Erfahrungen und Perspektiven von ‹Minderheiten› zu repräsentieren? Und zu guter Letzt: Wer besitzt die Macht, die Grenzlinie zu ziehen zwi-schen harmloser ‹Diversität› und unzumutbarer ‹Abweichung?›»  Mehr als zwanzig Jahre sind seit der Erstausstrahlung des Films vergangen, und dennoch sind dies Fragen, die, dies- und jenseits des Atlantiks, kaum an Relevanz eingebüßt haben.

Vina Yun ist u.a. Redakteurin bei migrazine.at, dem feministisch-antirassistischen Online-Magazin von Migrantinnen für alle.
→ migrazin.at