Die Flüchtlinge uns wir

In der letzten Ausgabe haben wir Flüchtlinge zu ihren Erlebnissen mit Kulturinitiativen befragt. Dieses Mal drehen wir den Spieß um: Wie erleben Kulturinitiativen und Kulturschaffende in Oö das Zusammenkommen mit Flüchtlingen? Inwiefern verändern Konfrontation, Kooperation und gemeinsames Gestalten die Aktivistinnen? Gibt es Auswirkungen auf das Selbstverständnis und die Kulturarbeit?

Markus Luger

Willkommenskultur: Die Flüchtlingssituation hat unser Selbstverständnis verändert, auch wenn es vorher schon nicht einfach war, das sehr offene Konzept «Otelo» zu kommunizieren. Mehr denn je beschäftigen uns aktuell zwei Fragen: Wie kommuniziert man in einer diversen globalen Welt lokale Angebote, ohne erhebliche Teile der Menschen implizit auszuladen? Wie können wir es unterstützen, dass sich TeilnehmerInnen auch willkommen fühlen?
Die Menschen in den Otelos üben sich in einer offenen Willkommenshaltung und in den Räumen sollen herzliche Begegnungen gelingen. Alle BürgerInnen haben das Recht und sollen auch die Chance bekommen, Otelo- äumlichkeiten ohne Barrieren zu nutzen. Um die neue Gruppe von zukünftigen BürgerInnen zu erreichen, werden auch wir uns verändern müssen, die Sprachen und Formen der Einladung zum Beispiel. Im Kern werden wir dadurch noch stärker ein Raum für Alle werden, in dem offene Begegnungen und herzliche Beziehungen möglich sind. Wie immer wird uns die Herausforderung am Ende stärken, auch als Gesellschaft.

Markus Luger, Otelo-Botschafter. (Foto: Robert Maybach)
→ otelo.or.at
 

 

Vicy Schuster

Ob ich jetzt einem Wahn verfalle? Ob ich eigentlich noch ein anderes Thema außer «die Flüchtlinge» habe? Ich bin eine, die sich gerne zu hundert Prozent auf Dinge einlässt, ich möchte nicht subtil überschwemmt werden, da hüpf ich lieber mit einer Arschbombe rein. In unserem Wohnzimmer wohnt eine kleine syrische Familie, Mutter Vater Kind. Die Wände erstrahlen im freundlichen Post-It-gelb: Willkommen – Ahlen we Sahnlen. Immer öfter kommen uns neue Mitmenschen besuchen, Freundschaften entstehen, wir bereichern uns gegenseitig. Meine Prioritäten verschieben sich, die Welt ist eine andere als noch vor ein paar Monaten. Ich beginne, eine Sprache zu verstehen, die mir bis vor kurzem fremd war, ich fühle mich wohl in einer Kultur, die ich früher als «frauenfeindlich» abstempelte, mir wachsen Menschen ans Herz, die ich gerade erst getroffen habe. Ich bin berührt – in jeder Hinsicht, und ja vielleicht auch einem Wahn verfallen, hoffentlich ist er ansteckend!

Vicy Schuster, Vorstandsmitglied KUPF und KV Koma. (Foto: Benni Spindler)
→ koma.ottensheim.at

Elisabeth Neubacher

Die Kulturinitiativen in der Kirchdorfer Bahnhofstraße (Radio B138, Kulturhaus 16A, Otelo Kremstal, Verein Güterwege) haben viele Jahre an einer Atmosphäre des Willkommens gearbeitet – am Aufbau einer tragfähigen Community. Es scheint gelungen, diese Botschaft auch über Sprachbarrieren hinweg zu kommunizieren: Einen Tag ohne Asylwerber gibt es in der Bahnhofstraße nicht mehr, sie gehören jetzt zu unserem Alltag, der sich dadurch verändert hat. Nur die Art und Weise, wie wir im offenen Zugang mit ihnen arbeiten ist gleich geblieben wie bisher bei SendungsmacherInnen. Denn natürlich produzieren wir mit den Asylwerbern auch Radio- und TV- Sendungen.
Mit dem KUPF-Innovationstopf-Projekt Kulturkoordination haben wir uns letztes Jahr intensiv mit unserem Kulturschaffen und unserem Kulturbegriff auseinandergesetzt; seit dem Zusammentreffen mit den Refugees hat sich dieses Selbstverständnis um einen interkulturellen Aspekt erweitert.

Elisabeth Neubacher, Schauspielerin, Regisseurin, Theaterpädagogin sowie karenzierte Geschäftsführerin beim Freien Radio B138. (Foto: Susanne Rettig)
→ radio-b138.at

José Pozo

Seit Jahren werden Begriffe wie AsylwerberInnen oder Flüchtlinge in unterschiedlichen Medien bewusst eingesetzt, um Gefühle zu verbreiten und um Meinungen zu bilden. Ich habe das Gefühl, da wird oft aus den Augen verloren, dass sich hinter diesen machtvollen Begriffen nicht etwa Symbole oder Schlagzeilen, sondern Menschen verbergen! Und so machte ich mir als Künstler die Aufgabe, diese Menschen, die völlig hinter solchen Schlagwörtern verschwinden, zu zeigen.
Seit drei Jahren portraitiere ich AsylwerberInnen aus Afghanistan, Syrien, Somalia oder dem Iran. Mit meiner Arbeit möchte ich erreichen, dass die Menschen rund herum ihre Scheuklappen abnehmen und geflohenen Menschen ins Gesicht schauen und sich mit deren Situation auseinandersetzen. Für mich ist es untragbar, dass Menschenleben hinter einem Begriff unsichtbar gemacht und für gesellschaftspolitische Interessen eingesetzt werden.

José Pozo, Künstler und Kulturaktivist bei urban farm. (Foto: Privat)
→ urbanfarm.at