Warum Kulturleitbilder gefragter sind denn je, woran sie gemessen werden müssen und warum jenes in Oberösterreich für seine zweite Halbzeit eine Kurskorrektur nötig hat.
Ob der Linzer Kulturentwicklungsplan, der aktuelle Leitbildprozess in Salzburg oder mehrere regionale Ambitionen in diese Richtung: Kulturentwicklungspläne sind en vogue, mehr noch: „Noch nie waren Bestrebungen, Kulturpolitik konzeptionell zu begründen, so umfangreich wie gegenwärtig“ [1] – doch warum eigentlich?
Thematisch viel-, aber finanziell einfältig
Die Kulturforschung sieht dafür zwei Hauptgründe: Einerseits nimmt der Stellenwert von Kulturarbeit im Zuge globaler Megatrends wie Globalisierung, Digitalisierung oder Migration immer mehr zu und eröffnet neue Handlungsfelder in Bildung, Wirtschaft und Regionalentwicklung. Die Delphi-Studie „Zukunft der Arbeit“ der Bertelsmann-Stiftung prognostiziert gar für das Jahr 2050, dass Kultur eine der wichtigsten Branchen überhaupt in Europa sein wird. Andererseits wird die Kulturpolitik aber aufgrund der kleiner werdenden finanziellen Spielräume und der einseitigen Verteilung der Mittel nach dem „Senioritätsprinzip“ immer bewegungsunfähiger („Mechanisierung”) und erschwert das Entstehen neuer Kulturformate und Initiativen.
Diese paradoxe Situation – finanzielle Einschränkung bei gleichzeitigem Bedeutungsgewinn – führt zwar zu einer erhöhten Komplexität im kulturellen Feld, aber auch zu neuen Chancen, beispielsweise durch neue Begründungsmuster für Kulturförderung, die Öffnung kultureller Infrastruktur für interdisziplinäre Projekte und neue Zielgruppen oder das Aufbrechen überholter Sichtweisen in der Kulturpolitik.
Gemeinsam gestalten statt einsam verwalten
Einzelmaßnahmen wären hier nicht zielführend. Es geht verstärkt um Kooperation und Kollaboration und hier liegt die Triebfeder für Kulturentwicklungsprozesse begründet. Gleichzeitig haben die komplexen Anforderungen auch das Planungsverständnis grundlegend verändert: Statt dem Umsetzen „perfekter Pläne“, wie es noch in den 70ern und 80ern üblich war, geht es heute um „Lernprozesse“ und das Gestalten von Beziehungen. Der öffentlichen Hand fehlen dafür aber Know-how und Ressourcen, weshalb sie im Sinne einer „aktivierenden Kulturpolitik“ auf das Mitwirken möglichst vieler Akteurinnen angewiesen sind. Heißt konkret: Die Aufgabe kann sich nur an das sogenannte „trisektorale Netzwerk“ aus Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gleichermaßen richten.
Als größte Herausforderung gelten in diesem Zusammenhang der Publikumsrückgang, die hohe soziale Selektivität von Kultureinrichtungen und das historisch gewachsene Ungleichgewicht der Kulturförderung. Vor diesem Hintergrund werden bei Kulturentwicklungsplänen – neben Förderrichtlinien und dem Abbau von Konkurrenz – typischerweise der Umbau öffentlicher Infrastruktur, kulturpolitische Schwerpunkte oder Umverteilungsfragen thematisiert.
Warum wir in Oberösterreich eine Kurskorrektur brauchen
Was bedeutet das alles für das oö. Kulturleitbild aus dem Jahr 2009? Zuerst das Positive: Das Kulturleitbild bietet eine gelungene und zeitgemäße Verortung im kulturtheoretischen Diskurs an – und denkt das trisektorale Netzwerk konsequent mit. Ebenso wurden die typischen Untersuchungsfelder größtenteils aufgegriffen. Allerdings – und das ist mit Blick auf die Herausforderungen der springende Punkt – finden politisch kontroverse Umverteilungsfragen quasi keinen nennenswerten Niederschlag. Und das hat weitreichende Konsequenzen für die Wirksamkeit des Leitbildes: Es definiert auf hohem Niveau die Fragen nach dem „Was“, „Wer“ und „Warum“, bleibt allerdings das „Wie“ weitgehend schuldig. Wir haben uns also darauf geeinigt, wohin die Reise gehen soll, wissen aber nicht, wie wir sie konkret angehen sollen.
Dieser Mangel stärkt einmal mehr die politisch Verantwortlichen, denn trotz aller Beteiligung im Vorfeld entscheiden letztlich wieder sie alleine über das „Wie“. Die anderen Akteurinnen aus der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft sind auf deren Gutdünken angewiesen, ohne sich auf Realisierungsschritte berufen zu können. Wenig überraschend fällt dann auch die „erste Halbzeitbilanz“ des Kulturleitbildes einseitig aus:
Das oö. Kulturfördergesetz wurde zwar mit einer neuen Präambel ausgestattet, die bisher realisierten Maßnahmen beschränkten sich im Wesentlichen aber auf kostenintensive und öffentlichkeitswirksame: So wurde erfolgreich die kulturelle Infrastruktur forciert, wie Musiktheater und Bruckneruni oder weitere Leuchtturmprojekte, wie Höhenrausch und Landesaustellungen. Die Folge daraus ist aber, dass mittlerweile ca. 95 % des Kulturbudgets an öffentliche Einrichtungen und ca. 70 % an die Sparte Musik und darstellende Kunst gebunden sind, während prozessorientierte oder kooperative Maßnahmen – wie jene zur kulturellen Nahversorgung – nach wie vor auf Umsetzung warten. Profitiert haben also nur die großen Kulturtanker, nicht aber die kulturelle Vielfalt im Land. Und das, obwohl die „UMFASSENDE Förderung des kulturellen und künstlerischen Potenzials“ eine von drei Leitlinien darstellt.
Freilich: Das Kulturleitbild mag seine „zweite Halbzeit“ noch vor sich haben. Doch wenn man das Papier ernst nimmt, wird sie sich angesichts der schiefen Ausgangslage bedeutend schwieriger gestalten als die erste. Denn letztlich ist nichts weniger als eine Kurskorrektur nötig: Wie, das muss gemeinsam erarbeitet bzw. vehement vom Landeskulturbeirat und freilich auch weiterhin von der KUPF eingefordert werden. Wohin, das steht ohnehin im Kulturleitbild geschrieben.
[1] Grundlagenquelle: Sievers, Norbert / Föhl, Patrick S. (2013): Kulturentwicklungsplanung. In: Jahrbuch für Kulturpolitik 2013 – Kulturpolitik und Planung. Bonn / Essen: Klartext Verlag 2013
Richard Schachinger hat diesen Text auf Basis eines Vortrags geschrieben, den er im Februar im Salzburger Festspielhaus gehalten hat.
Glossar
Die Begriffe Kulturleitbilder und –entwicklungspläne werden zumeist synonym verwendet, verweisen allerdings auf die jeweilige Schwerpunktlegung in Richtung Ziele oder eben Maßnahmen.
Kulturentwicklungspläne sind eine politische Übereinkunft, welche kulturelle Maßnahmen in einem Land, einer Region oder einer Kommune aufeinander abgestimmt gesetzt werden sollen.
Das oö. Kulturleitbild wurde am 18. Juni 2009 nach einem zweijährigen Diskussionsprozess einstimmig im Landtag beschlossen. Insgesamt haben sich über 2.500 Personen an der Entwicklung beteiligt, die Maßnahmen sind für 15 Jahre ausgelegt.
Download: kulturleitbild-ooe.at