Kulturhauptstadt, again!

2024 kommt wieder eine österreichische Stadt zum Zug: Europäische Kulturhauptstadt! Von Bad Ischl bis Bregenz, von Mistelbach bis Villach: Derzeit spielen etliche Städte und Regionen lautstark mit dem Gedanken einer Bewerbung für diesen Titel. Dazu ein Statement von Klemens Pilsl und vier Antworten von Elisabeth Leitner.

In Oberösterreich, aber speziell in Linz horcht man auf. Kulturhauptstadt? Schon wieder? Zu nahe scheint das Linzer Kulturhauptstadt-Abenteuer 2009, über das viele aus der lokalen Kunstszene und politischen Klasse lieber schweigen wollen.

Zu Unrecht, wie ich sechs Jahre danach meine: 2009 gelang es immerhin, kulturpolitische Diskurse, Bekenntnisse, Konfrontationen, Grenzziehungen und Positionierungen zu erleben. Ein Hochgefühl, das uns seitdem verwehrt bleibt. 2009 bot vielen die Chance auf Kritik, auf Geld, Teilhabe oder Erfahrungen. Man konnte mitmachen, dagegen sein, partizipieren und verweigern. Kurz gesagt: Kulturpolitik was in the house und Distinktionsarbeit tat not. Ich vermisse das, zugegeben.

Kulturhauptstadt als Werkzeug

Die aktuell aufkeimende Debatte über die nächste Kulturhauptstadt in Österreich führt oftmals zu einer reflexartigen Frage, die in den letzten Wochen von potentiell Betroffenen auch der KUPF gestellt wurde: Kulturhauptstadt als Chance oder als Gefahr für alternative und freie Kulturschaffende? Eine voreilige, ohnmächtige Fragestellung! Sinnvoller scheint es mir, die „Kulturhauptstadt“ nicht als unberechenbare Naturgewalt, die über uns Kunstfuzzis hereinbricht, zu sehen, sondern sie nüchtern zu benennen: Kulturhauptstadt ist kein Kunstförderinstrument, kein Kulturentwicklungsplan und keine Tourismus-Erfindung. Kulturhauptstadt ist ein Stadtentwicklungstool, ein Werkzeug zur politischen Lenkung von urbanen Selbstverständnissen, Dynamiken, Brandings und Wandel. Kulturhauptstadt ist ein Steuerungstriebwerk, das ein Jahr lang Schub gibt und im besten Falle die Trägheit eines kommunalen Körpers in eine bestimmte Stoßrichtung lenkt. Es ist ein grobes Werkzeug für urbane Selbstfindungsprozesse. Nicht mehr, aber halt auch nicht weniger!

Wer Kulturhauptstadt als Werkzeug erkennt, hat die Wahl: Wollen wir dieses Werkzeug dem Tourismusverband, dem Bürgermeister und hoch- bis tiefkulturellen EventmanagerInnen überlassen? Oder es selber (mit-)nutzen? Ich plädiere für zweiteres: Stadt- und Regionalentwicklung sind zentrale Themen zeitgenössischer Kulturarbeit, und eine Kulturhauptstadt-Debatte bringt weite Möglichkeiten, sich einzubringen, Begriffe zu besetzen, Diskurse einzuspielen und Forderungen zu formulieren.

Die Frage ist also weniger eine nach „dafür“ oder „dagegen“, sondern eine nach dem „wie“. Dabei kann man sich dem Kulturhauptstadttreiben selbst durchaus verweigern (manchmal brauchen KIs z. B. keinen groben Hammer, sondern mikrochirurgische Laser) oder whatever. Aber mit dem Kopf im Sand wird man bestenfalls überrollt und schlimmstenfalls vereinnahmt.

Wir haben das Know-how

Meine Empfehlung also an potentielle Betroffene aus dem Kulturbetrieb: nicht fürchten, sondern sich von Anfang an grundsätzlich einbringen. Wir wissen ja, worum es geht.

Erstens: Kunst- und Kulturarbeit sind keine Behübschung für Touris und WählerInnen, sondern zentrale Faktoren in kommunalen und regionalen Entwicklungsprozessen. Sie spielen eine unerlässliche Rolle als Reflexionsmaschinen unserer Gesellschaft, als Möglichkeitsräume und als Labore kleiner wie großer Alternativen oder Narrative. Sie funktionieren als ästhetische wie politische Heterotopien und als Framing für bessere Lesarten des Vergangenen. Kunst und Kultur müssen (auch in einer Kulturhauptstadt!) schmerzen dürfen, sie sollen Unausgesprochenes aussprechen und scheitern, anecken oder auch gerne die Welt erobern. Sie sind unzweifelhafte Bestandteile städtischer Entwicklungen.

Und wir kennen, zweitens, auch die formalen Notwendigkeiten, die es selbst für den Entscheidungsprozess einzufordern gilt: Partizipationsflächen, angemessene Anteile für zeitgenössiche Kultur, Geschlechtersensibilität, interkulturelle Kompetenz, transparente Gebarungen, inhaltliche Offenheit, Einhaltung von Kulturleitbildern etc.

Was mir heute undenkbar erscheint: Eine Kulturhauptstadt, die sich der Tradition, dem Autochthonen, dem destillierten Tourismus hingibt. Womöglich ist es der Job der Kulturschaffenden, dafür zu sorgen, dass Kulturhauptstadt den Zeichen der Zeit entgegen geht und die heißen Themen der nahen Zukunft unserer umbrechenden Gesellschaft anfasst. Die künftige Kulturhauptstadt wird sich auch daran messen müssen, wie sehr sie Themen wie Migration, Klima- bis Medienwandel sowie die diversen Krisen- und Systemfragen angeht.

Kulturhauptstadt nach OÖ?

Zum Schluss noch eine Anmerkung zu potentiellen Kulturhauptstädten in OÖ: In Wels und Linz wird ein wenig herum geeiert, richtig Lust hat dort (vorerst) wohl niemand. Spannender und ernst zu nehmender ist das Interesse der Region Salzkammergut mit der Kurstadt Bad Ischl als Flaggschiff.  Natürlich darf man da im ersten Moment etwas schmunzeln, aber es spräche einiges dafür.

Das oft angestaubt wirkende Salzkammergut hat sicher besonderen Bedarf an Kulturhauptstadt als Instrumentarium des Wandels und brächte die große (und schmerzhafte) Chance, sich endlich von der Beschränkung auf das versalzene Weltkulturerbe und den revisionistischen Kaiser-Kitsch zu befreien. Zwischen Lehar-Festival und Grubenhund ist hier viel Platz für eine radikale, partizipative und nachhaltig zukunftsfähige Neuerfindung. Aber will die regionale Politik das überhaupt? Und könnte sie sich ein teures Kulturhauptstadtjahr überhaupt leisten?

Doch auch hier ließe sich ein Pro-Argument finden: Das auf drei Bundesländer aufgeteilte Salzkammergut hätte womöglich eine breitere (Länder-)Finanzierungsbasis als andere Städte / Regionen. In der oö. Landeskulturdirektion weiß man offiziell von gar nichts, rollt aber auf meine diesbezügliche Nachfrage vielsagend mit den Augen, und die Beamtin vom Bundeskanzleramt verweist kryptisch auf die angedachte Gruppenbewerbung einiger Vorarlberger Städte – gegen eine solche hätte wohl kaum jemand eine Chance. Aber fix sei das auch nicht.

Es bleibt also eh spannend.


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