Obertöne. Medienkolumne von Olja Alvir
Ich bin eine von denen, die ohne ihr Handy nirgends mehr hingehen. Ich drücke darauf herum, wenn ich in den Öffis sitze, ich nehme es mit aufs Klo, ich studiere das Display manchmal sogar während dem Gehen. In der Dusche langweile ich mich fast tödlich ohne Bildschirm, aber gut, das spart wahrscheinlich Wasser. Vielen anderen geht es seit der Erfindung des Smartphones ähnlich – was viel Spott und Häme auslöst.
«Die jungen Leute von heute» würden gar nicht mehr «normal» sozial interagieren, sie wüssten nicht mehr, wie man Augenkontakt und eine direkte Konversation aufrecht erhält, sie würden ständig unhöflich ihre Aufmerksamkeit von der Situation und Umgebung in Richtung Internet, SMS und Social Media wenden.
Tatsächlich wird aber durch Smartphones viel mehr geschrieben, kommuniziert und gelesen als je zuvor. Wenn ich warten oder dieselbe Straßenbahnstrecke zum tausendsten Mal fahren muss, dann nütze ich eben gerne die Zeit, um Nachrichten oder interessante Texte zu lesen, mich in kleinen Portionen zu verschiedensten Themen weiterzubilden und auf Social Media die Inhalte und Stimmen zu treffen, die für mich wichtig sind – und so geht es vielen anderen «Handy-Süchtler*innen» auch. Kultur- und Technologiepessimist* innen tun immer so, als hätten Menschen vor der Erfindung des Smartphones im Zug oder in der U-Bahn ständig tiefgehende, lebensverändernde Unterhaltungen miteinander gehabt. Blödsinn: Früher hat man halt während Wartezeiten Zeitung oder Buch gelesen. Oder einfach in die Luft geschaut, was jetzt auch nicht gerade etwas ist, worauf man unbedingt so stolz sein müsste.
Die eigene Zeit sinnvoll und interessant gestalten zu wollen – zum Beispiel mithilfe von Medien und Technologie – ist nichts, was man jemandem vorwerfen sollte. Und wenn euch stört, dass wir immerzu aufs Handy schauen, dann könntet ihr ja mal versuchen, interessantere Gesprächspartner*innen zu sein, statt immer mit demselben bevormundenden, fortschrittsfeindlichen Kram zu kommen.
Olja Alvir konsumiert hauptberuflich Medien und arbeitet als freie Journalistin und Autorin in Wien.
→ olja.at