Frau Tomani in Persien

Der Iran ist nicht nur ein riesiges Land, sondern auch eine enorme Leinwand für Projektionen aller Art. Veronika Moser über Erwartungen und Realitäten.

Heute flieg ich nach Iran. Nach Iran? Oder in den Iran? Ich bin mir nicht so sicher, manche Zeitungen schreiben über die Atomverhandlungen mit DEM Iran, andere über ebenjene ohne DEM. Schauen wir uns das mal genauer an. In der deutschen Sprache verfügen Ländernamen – genauso wie alle anderen Substantive – über ein grammatisches Geschlecht. Es gibt eine Handvoll Länder, die «männlich» sind, und die kriegen mitunter einen Artikel vorangestellt. Der Vatikan. Der Irak. Der Iran auch manchmal. Aber nicht unbedingt! Weil der Iran nämlich dort, wo er herkommt, gar kein Geschlecht hat. Die persische Sprache kennt kein Genus und somit auch keine Artikel. Farsi ist eine geschlechterlose Sprache! Über gendergerechtes Schreiben müssen sich die Iraner*innen wohl keine Gedanken machen.

Heute flieg ich also nach Iran. Am Flughafen Istanbul-Sabiha Gökçen mache ich einen Zwischenstopp. Sabiha Gökçen war die Adoptivtochter von Mustafa Kemal Atatürk, dem Begründer der modernen Republik Türkei, und sie war die erste Kampfpilotin der Welt. Irgendwie gruselig, eine Bomberpilotin der 1930er Jahre zur Namenspatronin für einen internationalen Passagierflughafen zu machen, finde ich.
Ich muss aufs Klo.

Vor der Damentoilette steht eine Frau und schaut mich skeptisch an. Als ich an ihr vorbeigehen will, schickt sie mich zur Tür gegenüber. Die Tür gegenüber ist die Herrentoilette und der Klomann schaut mich skeptisch an. Ich gehe wieder zurück aufs Damenklo. Verlegenes Lächeln. Insgeheim freu ich mich über das Nicht-Eingeordnet-Werden-Können und fühl mich so richtig schön queer.

Landeanflug Teheran, das große Verkleiden beginnt. Wie auf Befehl beginnen die Frauen rundherum, Tücher in allen Größen und Farben auszupacken und ihre Köpfe darin einzupacken. Ich kriege einen heißen Schädel. Wenn ich aufgrund meines androgynen Aussehens eh für einen Kerl gehalten werde – vielleicht kann ich mir dann auch das Kopftuch sparen? Am Feminismus und Krawall Camp in Linz hat eine Freundin gerade erst einen tollen Gender-Bending-Workshop angeboten. «Als Dragking unterwegs in Iran» seh ich schon die Überschrift für den Artikel in der KUPFzeitung vor meinem geistigen Auge, da stuppst mich meine Sitznachbarin an und zeigt erst auf ihr Kopftuch und dann auf mich. «First time in Iran?» Ich werde rot, binde mir den Schal um und beschließe, meinen mitteleuropäischen queer-feministischen Mittelstands-Aktionismus zu Hause zu lassen.

Der Flughafen in Teheran heißt Imam Chomeini International Airport. Imam Chomeini ist jener Ayatollah, der zwar schon tot ist, aber immer noch allgegenwärtig auf allen Ecken und Wänden. Er war es, der sich das Konstrukt der Islamischen Republik ausgedacht hat, die es seit der Iranischen Revolution 1979 gibt (1357 in islamischer Zeitrechnung). Mustafa Kemal Atatürk muss sich damals in seinem Grab umgedreht haben und gut, dass seine Adoptivtochter Sabiha Gökçen nicht mehr beim Militärflugdienst war! Aber genau das hat Ayatollah Chomeini doch zu seiner Islamischen Revolution bewogen: dass es die davor herrschenden despotischen Schahs mit dem Laizismus übertrieben haben. Reza Schah Pahlavi, ein großer Verehrer Atatürks, ging bei der Modernisierung Irans in den 1930er Jahren sogar so weit, ein Schleierverbot einzuführen, das er mit militärischer Gewalt durchsetzen musste. Da haben wir den Salat. Es ist nicht gut, den Leuten vorzuschreiben, wie sie sich anziehen sollen! Vorvorgestern noch Schleierverbot, heute Kopftuchzwang. Welcome to the Islamic Republic of Iran.

Aber die Leute tun sich eh keinen Zwang an und der Hijab ist nicht das große Problem. Nur ich selber scheine ein Problem damit zu haben und bin die ganze Zeit so darauf fixiert, ich Westeuropäerin, ich Mitteleuropäerin, ich Österreicherin, ich Landei! Ich Landei spaziere heute durch die Millionenmetropole Teheran and I see a lot of women who don’t give a shit about the hijab! Tolle Frisuren sehe ich und perfektes Hairstyling und vielleicht irgendwo über dem Haarknödel am Hinterkopf ein zartes Seidentuch elegant drüberdrapiert als wärs ein Accessoire. Schöne Frauen sehe ich und schöne Männer und viele Pflaster auf den Nasen – hatten die alle einen Autounfall oder was? – nein, nirgendwo ist die Gesichtschirurgie so verbreitet wie in Iran wird mir erklärt – echt jetzt? – ja, wegen der iranischen Nase. Ich habe keine Ahnung, was eine iranische Nase sein soll, aber das sind alles Äußerlichkeiten, in Teheran ist richtig viel Verkehr, ich meine, in Linz ist die Verkehrssituation schon eine ziemliche Belastung, aber in Teheran ist richtig viel Verkehr, ich steige in den Bus, ich steig hinten ein, weil vorne sind die Männer, ich steige in die Metro, da gibt es auch getrennte Waggons für Männer und für Frauen, aber jeweils ganz vorne und ganz hinten gibt’s auch gemischte Waggons, für Familien oder Pärchen, komm lass uns in die Konditorei gehen, ja, du stellst dich bei der Männerschlange an, ich mich bei der Frauenschlange, warte, gut, dass ich meinen Schal aufhabe, ohne Hijab wäre das verwirrend und wer weiß, was da rauskäme, war ja schon am Klo in Istanbul so kompliziert.

Die Moschee, ein Ort der Stille. Der Teppich ist weich, der Stoff des Chadors ist weich, der Blick der anderen Frauen ist weich. Ich atme durch, tief ins Zwerchfell, wie bei meinen Gesangsübungen zuhause, und schaue den Frauen beim Beten zu. Es erinnert mich ein wenig an den Sonnengruß beim Yoga, nur, dass man sich statt der Sonne Mekka vorstellt. Ein paar Frauen sitzen im Kreis und unterhalten sich, eine junge Frau liest ein Buch. Ein paar Kinder spielen Fangen und eine andere  Frau kommt her und bietet mir eine Süßigkeit an.
Wenig später werden getrocknete Kichererbsen herumgereicht. Nohod, nohod. Ich bin nicht religiös, aber ich fühle mich wohl hier. Sind das die Frauenräume, nach denen wir uns im europäischen Feminismus manchmal so sehnen? Meine iranische Freundin erklärt mir, dass das mit dem Süßigkeiten-Teilen eine Art Dankesgeste ist, wenn ein Gebet in Erfüllung gegangen ist.

Weißt du, sagt sie, in Iran dürfen Frauen seit der Islamischen Revolution nicht mehr solo singen. Also, zu Hause können sie tun was sie wollen, aber nicht in der Öffentlichkeit. Wenn du ein offizielles Konzert organisieren willst, brauchst du dazu die Genehmigung vom Ministry of Culture and Islamic Guidance. Wenn du nur die Background-Vocals zu einer männlichen Hauptstimme machst oder im Chor singst, ist es kein Problem. Aber wenn nur Frauen auf der Bühne sind – keine Chance. Außer, das Konzert findet vor rein weiblichem Publikum statt. Weißt du, Männern ist es verboten, der weiblichen Stimme zu lauschen. Ob das religiöse Gründe hat? Also, im Koran steht nix davon. Eine CD kannst du als Solosängerin oder Frauenband jedenfalls auch nicht herausbringen. Also, nicht offiziell. Weißt du, in Iran haben wir eine große Undergroundmusikszene. Es gibt einen Haufen Privatkonzerte und viele große Konzerte in den Nachbarländern, wo ein Haufen Iraner*innen hinfährt, um sie zu hören. Und im Internet? Ja, im Internet können sowieso alle hören, was sie wollen. Natürlich sind Seiten wie Soundcloud oder Facebook oder Youtube in Iran gesperrt, wegen der Zensur. Aber du installierst dir auf dem Computer eine Anti-Filtering-Software und fertig. Blöd ist nur, dass durch diese Filterprogramme das Internet so langsam wird, dass du schon Geduld brauchst, dir das anzuhören!
Ich muss aufs Klo.
 

Fotos: Veronika Moser